Die kritischen Stücke des Dramatikers Ayad Akhtar zu Islam und Kapitalismus

Schwänke von der Krisenhaftigkeit der Welt

Endlich mal einer, der keine Angst vor komplexen Themen hat: Der US-amerikanische Dramatiker Ayad Akhtar bringt Islam- und Kapitalismuskritik auf die Bühne

Ayad Akhtar ist derzeit der wohl international erfolgreichste Dramatiker. Der 1970 in New York geborene Akhtar wuchs als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin auf, einer Stadt, in der knapp 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, in der Zwangsräumungen an der ­Tagesordnung sind und Rassismus ein alltägliches Problem darstellt. Diese Themen greift der als »Erfolgsdramatiker« gefeierte Akthar auch in seinen Theaterstücken auf.

Bekannt wurde er mit seinem Stück »Disgraced« (»Geächtet«), für das er 2013 den Pulitzer-Preis erhielt. Auf dem Broadway feierte das Stück ­große Erfolge; auf deutschsprachigen Theaterbühnen gehörte es zu den meistgespielten Stücken der vergangenen Spielzeiten. »Geächtet« ist ein sprachlich unauffälliges, dramaturgisch simpel, aber klug gebautes dinner party play in der Tradition Edward Albees, das einen grundlegenden Konflikt zur Darstellung bringt. Nicht nur formal erinnert das Stück an Yasmina Rezas »Gott des Gemetzels«.

Zehn Jahre nach 9/11 treffen im ­liberalen New Yorker Milieu zwei Paare aufeinander: die Malerin Emily, die mit der Adaption islamischer Kunst zu reüssieren versucht, und der ­erfolgreiche Anwalt Amir mit pakistanischen Wurzeln sowie der Kurator Isaac, der Emilys Kunst vermarktet, und Jory, eine Arbeitskollegin von Amir. Während man gemeinsam Baby­artischocken verspeist und teuren Wein trinkt, geht es im Gespräch um Religion, genauer: um den Islam. Emily zeigt sich ganz demütig begeistert von islamischer Fliesenkunst, und der jüdische Isaac verteidigt den Islam gegen seine vermeintliche politische Instrumentalisierung. Amir ist Apostat, hat also dem Islam abgeschworen, worauf im Koran die Todesstrafe steht. Er kommt nun in die Situation, dass er sich vor der Abendgesellschaft für seine Haltung rechtfertigen muss, also argumentiert er, dass Islam Unterwerfung bedeutet und dass es im Islam keine Trennung zwischen Staat und Kirche gibt.

Amir versucht, über den Islam zu sprechen, die Widersprüche aufzuzeigen. Doch seine Gesprächspartner weichen aus, die die Gleichwertigkeit aller Positionen unterstellen, ohne damit irgendein Urteil zu verbinden. Das erweist sich in der Folge als die eigentliche, verkappte Arroganz dieser Tischgesellschaft, dadurch dass sie ihre Position nicht zur Disposition stellt – und Amir quasi mit dem Islam (abgeschworen oder nicht) alleinlassen. Um seine Bekannten zu brüskieren, äußert Amir Stolz über die zum Einsturz gebrachten Twin Towers. Daraufhin eskaliert das Geschehen. Die Tragik von Amirs Figur liegt darin, dass er sein Umfeld – und möglicherweise auch sich selbst – nicht davon überzeugen kann, dass er kein Muslim ist, dass Glaubensfragen für ihn individuelle Entscheidungen sind. Weil der libe­rale Diskurs den islamischen Glauben wie eine unveräußerbare Eigenschaft behandelt – und nebenher auch als Projektionsfläche gebraucht –, wird jede Äußerung darüber nahezu ­unmöglich. Seine pseudoliberalen Bekannten verhalten sich ihm, dem Ex-Muslim, gegenüber damit ähnlich wie die Strenggläubigen, die eine ­Abkehr vom Islam nicht akzeptieren.

»Geächtet« ist ein Stück über verhinderte Aufklärung. Das große Thema sei »der Zusammenbruch des bürgerlichen Diskurses«, sagte Akhtar im Gespräch mit der FAZ. Der Konflikt des Stücks findet seine Fortsetzung außerhalb des Theaters, wenn Akhtar der Vorwurf gemacht wird, islamophobe Vorurteile zu bedienen. Dazu sagte Akhtar: »Wenn Sie einen Antihelden beschreiben, der weiß ist, ist er ein Antiheld. Wenn Sie aber einen Antihelden beschreiben, der nicht weiß ist, ist es ein Stereotyp.« Er wolle weder, dass sich die Zuschauer wohlfühlen, noch ständig für die positiven Seiten des Islam werben. Kunst sei keine heilsame Fiktion, so Akhtar weiter. Er selbst befinde sich in der ­paradoxen Situation, dass man ihm zubillige, Gesellschaftskritik zu üben, weil man ihm als Kind pakistanischer Einwanderer nicht den Vorwurf machen könne, seine Privilegien nicht genügend zu reflektieren.

Um Gesellschaftskritik in populärer Form bemüht er sich auch in seinem neuesten Stück: In »Junk« beschäftigt sich Akhtar mit den Grundlagen der gegenwärtigen Wirtschafts­ordnung. »Die großen Konflikte unserer Zeit lassen sich nur ökonomisch beschreiben«, sagte Akhtar. In »Junk« zeigt er, wie seit den achtziger Jahren Schulden zu Kapital gemacht wurden, wie die kapitalistische Produk­tionsweise aufgrund ihrer immanenten Krisenhaftigkeit in immer höherem Maß kreditgetrieben ist und die Finanzindustrie aufgrund der zu ­erzielenden hohen Profitraten der dominierende Sektor im Wirtschaftsprozess wurde.

 

Das Stück unterscheidet sich von dem Film »The Wolf of Wall Street« dadurch, dass der Finanzkapitalismus nicht nach dem Muster von Entgrenzung und daraus notwendig folgender Beschränkung – also Gier und Maßregelung – interpretiert, sondern der widersprüchlichen Entwicklung des Kapitals selbst nachgespürt wird. Um die in den siebziger Jahren einbrechenden Profitraten zu stabilisieren, waren und sind ­unkonventionelle Methoden geradezu erforderlich, auch um die Stellung der US-amerikanischen Ökonomie im Weltmaßstab zu sichern. In der Folge treffen die Machtansprüche verschiedener Kapitalfraktionen aufeinander, wobei die »alte« Industrie mittels einer patriotischen und mal mehr, mal weniger latent antisemitischen Propaganda ihre Vorherrschaft zu sichern versucht, selbst wenn dies zum Nachteil gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt gerät.

Akhtars Hauptfigur Robert ­Merkin erinnert deutlich an den US-amerikanischen Investmentbanker ­Michael Milken, der als »The Junk Bond King« zu zweifelhaftem Ruhm gelangte. Wie dieser kauft Merkin Schrottanleihen, sogenannnte junk bonds, auf, um angeschlagene ­Unternehmen zu kassieren. »Junk« ist kein Plädoyer für den moralisch eingehegten Kapitalismus, sondern zeigt deutlich, dass der Regelbruch schon immer die Grundlage des Erfolgs im kapitalistischen System war. Merkins Gegenspieler ist der Unternehmer Everson, ein Relikt des ­Industriezeitalters, der nur durch gefälschte Bilanzen verbergen kann, dass Teile seines Imperiums – vor ­allem die Stahlproduktion (also das, was Donald Trump gegenwärtig mit Schutzzöllen zu hätscheln versucht) – inzwischen unprofitabel geworden sind.

Es beginnt ein Ringen um die Übernahme des Unternehmens, in dem Everson unterliegt, der daraufhin antisemitische Ressentiments gegen Merkin hegt. Deutlich wird: Es gibt keine guten und bösen Kapitalisten, es gibt nur über- und unterlegene. »Wir bewegen uns alle auf dem Markt. Reagieren auf ihn. Wachsen mit ihm. Unterliegen seinen Gesetzen. Wer diesen Gesetzen nicht gehorcht, fällt zurück. Wenn er zurückfällt, ­bemerkt man seine Schwäche. Und die Schwachen werden schließlich geschluckt«, sagt Merkin. Und Helden gibt es in »Junk« schon gar nicht, auch eine investigativ recherchierende Journalistin lässt sich am Ende kaufen. Das Stück setzt auf Analyse statt Empörung – mit Erklärungskraft für die Gegenwart. Für Akhtar ist es kein Zufall, dass der »König der Schulden« (Trump über Trump) inzwischen Präsident der USA ist.

Wenn man ökonomische Vorgänge auf die Bühne bringt, stellt sich das Problem, dass man mit einer begrenzten Anzahl von Figuren im Rahmen einer beschränkten Handlung eine überindividuelle gesellschaftliche Struktur darstellen muss – Bertolt Brechts »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« oder Peter Hacks’ »Der Geldgott« sind recht gelungene ­Beispiele für den Umgang mit diesem Problem. »Junk« kann das Problem der Komplexität trotz vieler guter Ideen künstlerisch nicht zufriedenstellend lösen. Im Münchner Residenztheater bekam man Ende April, zwei Wochen nach der deutschsprachigen Erstaufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, die Schwächen des Stückes recht deutlich demonstriert. Über 20 Figuren und über 70 Szenen können das Interesse des Publikums am Bühnengeschehen nämlich recht schnell ermatten lassen, wenn die Regie den Stoff nicht zu greifen und künstlerisch zu schärfen vermag.

Die Misere von »Junk« ist eine ­ästhetische, das Stück ist zu sehr einem illustrativen Naturalismus verhaftet. Handlung und Konflikt sind überzeugend gestaltet, doch Figuren und Rede sind nur Abbilder ihrer Vorlagen. Dabei schadet es in der Dramatik nicht, wenn die Charaktere klüger sind als in Wirklichkeit – oder eine stilisierte Sprache pflegen, die der alltäglichen nicht entspricht. Akhtar steht zunächst für einen kritischen Naturalismus auf Grundlage eines soliden dramatischen Handwerks. Die Broadway-Kunst ist weit besser als ihr Ruf. Der Boulevard ist eine Form, von der Welt zu erzählen, und damit das Pendant zu dem Ende letzten Jahres uraufgeführten, sich in selbstreferentiellen Sprachspielen erschöpfenden Trump-Drama »Am Königsweg« von Elfriede Jelinek. Was dem einen an Inhalt fehlt, mangelt dem anderen an Sprache. So bleibt das epochale Drama der Deindustrialisierung des Westens vorerst noch ungeschrieben. Akhtars Ansatz, die Konflikte der Gegenwart als drama­tischen Stoff auf die Bühne zu bringen, ist dennoch vielversprechend.