Wie könnte Israel an seinem 100. Geburtstag aussehen? Eine Zukunftsvision

Totgesagte leben länger

Israel feierte dieser Tage seinen 70. Geburtstag. Allen Untergangs­prophezeiungen zum Trotz hat sich das zionistische Projekt als widerstandsfähig und erfolgreich erwiesen und wird es auch in Zukunft bleiben.

Was haben die Mullahs in Teheran und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel gemeinsam? Sie machen sich viele Gedanken über Israels Zukunft. Und das seit Jahrzehnten. Bereits unmittelbar nach der islamischen Revolution 1979 hatte Ayatollah Khomeini den jüdischen Staat zum »kleinen Satan« erklärt, dessen Tage nun gezählt seien. Auch sein Nachfolger Ayatollah Khamenei sprach von Israel als einem »Krebs­geschwür«, das entfernt werden müsse. Voriges Jahr enthüllte man anlässlich der Feierlichkeiten zum alljährlichen al-Quds-Tag auf dem Palästina-Platz in Teheran eine Digitaluhr, die den Countdown bis zur Vernichtung des »zionistischen Regimes« anzeigt. Als Enddatum wird das Jahr 2040 angepeilt. Der Grund: Ayatollah Khamenei hatte 2015 prophezeit, dass der jüdische Staat in 25 Jahren Geschichte sein werde.

Auch beim Hamburger Magazin sieht man Israel vor dem Aus. Denn geht es um den jüdischen Staat, haben in der Spiegel-Redaktion die Endzeitpropheten schon lange das Sagen. So fragte 1990 Dieter Wild, damals Leiter der Auslandsredaktion: »Kann Israel unter­gehen? Wer wird mit dir, Jerusalem, Mitleid haben, und wer wird dich bedauern? Die DDR und Kuweit sind ­untergegangen, die Sowjetunion in ihrer bisherigen Gestalt ist dabei, unterzugehen. Hongkong wird 1997 folgen. Aber Israel?« Nach so vielen Fragezeichen ist Wild Antworten schuldig. Das funktioniert nur mit dem üblichen Rückgriff auf jüdische Kronzeugen. »Der einzige Weg aus der Misere ist der Weg in die Katastrophe«, zitiert er die israelische Politikwissenschaftlerin Susan Hattis Rolef. »Vielleicht müssen wir zusammenbrechen wie die DDR.« Wild selbst erklärt das Land zum »neuen Sparta«, das »gemästet von einer hochmütigen, ultrarechten Regierung, die verdächtig ist, den kollektiven Selbstmord im Programm zu haben«, sich seinen baldigen Untergang selbst zuzuschreiben habe. Ähnliches liest man heute bei Jakob Augstein.

Doch wie so oft leben Totgesagte gerne länger und sind putzmunter. Als Wild 1990 seinen Text schrieb, hatte Israel gerade einmal 4,7 Millionen Einwohner. Dann setzte der Zustrom von Neueinwanderern ein, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion. Heute, zum 70. Jahrestag seiner Unabhängigkeit, zählt das Land über 8,8 Millionen Einwohner – allen Untergangsprophezeiungen aus Hamburg oder Vernichtungsdrohungen aus Teheran zum Trotz. Seit der Staatsgründung 1948 hat sich die Bevölkerung also mehr als verzehnfacht. Mittlerweile leben 43 Prozent aller Juden in Israel. Auch mit der Wirtschaft ging es nach holprigem Start und einigen Turbulenzen in den vergangenen drei Jahrzehnten steil bergauf. Unbeeindruckt von Intifada und militärischen Auseinandersetzungen wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1990 und 2017 von 59 Milliarden Dollar auf über 320 Milliarden Dollar. Und wenn alles so weitergeht, wird Israel zu seinem 100. Geburtstag wohl Heimat von 15 Millionen Menschen sein – eine Zahl, die bis 2065 auf 20 Millionen ansteigen könnte. »Israel wird dann wohl die höchste Bevölkerungsdichte in der westlichen Welt aufweisen«, lautet dazu die Einschätzung von Sergio Della Pergola, einem der prominentesten Demographie-Forscher des Landes. Und nicht die ­israelischen Araber werden die größte Minderheit sein, sondern mit 5,3 Millionen die streng orthodoxen Juden. Denn während die Geburtenrate bei ihnen mit 6,5 Kindern pro Frau sehr hoch bleibt, nimmt sie in der arabischen Bevölkerungsgruppe kontinuierlich ab.

Wer wissen möchte, wie Israel 2048 vielleicht aussehen könnte, sollte heute dem zentralen Busbahnhof in Jerusalem oder Tel Aviv einen Besuch abstatten.

Wer aber wissen möchte, wie Israel im Jahr 2048 vielleicht aussehen könnte, sollte heute dem zentralen Busbahnhof in Jerusalem oder Tel Aviv einen Besuch abstatten. Genau wie an diesen Verkehrsknotenpunkten wird es bald überall ziemlich voll sein und ethnisch sehr bunt zugehen. Die Zeiten, in denen Aschkenasim, also Juden aus Europa oder Nordamerika, den typischen Israeli verkörperten – möglichst als Pionier mit der Waffe in der einen und der Schaufel in der anderen Hand, der eine menschenleere Wüste urbar macht – dürften wohl endgültig der Vergangenheit angehören. Heute können Israelis afrikanische oder asiatische Gesichtszüge haben, blond und blauäugig sein wie ein Skandinavier, dunkelhäutig wie ein Jemenit oder irgend etwas dazwischen. Zwar definieren sie sich mehrheitlich als Juden, doch auch darüber gibt es verschiedene Ansichten. Von betont weltlich, liberal über modern-orthodox bis hin zu streng orthodox ist so ziemlich alles möglich. Dazu kommen die vielen ­israelischen Araber, Drusen, Beduinen sowie eine wachsende Zahl von nicht­jüdischen Neu-Israelis mit Migrationshintergrund. Sie machen schon jetzt ungefähr ein Viertel der Bevölkerung aus.