Beate Zschäpes Verteidiger bedient sich im NSU-Prozess altbekannter Schutzbehauptungen

Von nichts gewusst

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Nun outete sich ihr Wahlverteidiger Borchert zu Beginn des Plädoyers als derjenige, der die Aussage seiner Mandantin verfasst habe, und gab zu, dass für eventuelle Mängel allein sein literarisches Talent verantwortlich zu machen wäre. In der damals – vor allem von Hinterbliebenen der Mordopfer – mit großer Enttäuschung aufgenommenen Einlassung Zschäpes hatte sie sich selbst als Opfer von Mundlos und Böhnhardt dargestellt oder darstellen lassen. Sie sei naives Opfer ihrer eigenen emo­tionalen Hörigkeit gegenüber Böhnhardt gewesen, sei von diesem misshandelt worden und habe den Absprung von Mundlos und Böhnhardt auch nicht geschafft, nachdem sie schrittweise und selbstverständlich immer erst im Nachhinein von deren Mordtaten erfahren habe. Nur von den 15 Raubüberfällen habe sie gewusst und sich von diesem steten finanziellen Nachschub abhängig gewähnt.

Borcherts teils als pathetisches Lamento, teils gebetsmühlenartig vorgetragenes Plädoyer baut auf dem Vorwurf auf, dass die BAW die Aussage der Angeklagten weitgehend ignoriert oder ihr nur Mosaiksteinchen zur Belastung Zschäpes entnommen habe, ohne den entlastenden Inhalt zu würdigen. Dabei lässt Borchert konsequent den offensichtlichen Selbstschutzcharakter der Einlassung außer Acht: Darin sind keinerlei Aussagen zu den zahl­reichen Leerstellen des NSU-Verfahrens enthalten, die über das hinausgehen würden, was ohnehin nicht mehr zu leugnen war. Dass etwa ihre Finger­abdrücke auf einem ausgeschnittenen Zeitungsartikel im NSU-Anschlagsarchiv gefunden wurden, weiß der Anwalt wortreich in ihre Unschuldsgeschichte einzubauen. Niemand wird belastet und nicht eine einzige offene Frage beantwortet.

Der 6. Juli 2016 hätte ihr großer Tag der Wahrheit und Entlastung sein können, als eine ganze Reihe von Nebenklageanwältinnen und -anwälten Zschäpe etwa 300 scharfsinnige Fragen zur Mittäterschaft weiterer Personen, zur Auswahl der Opfer und Anschlagsziele, zum Netzwerk des NSU, zum ­Tatentschluss und zum Leben im »Untergrund« gestellt hatten. Fragen, die auch dem Gericht und der BAW als peinliche Aufzählung all dessen hätten ­erscheinen müssen, was sie selber nicht gefragt, geschweige denn ermittelt hatten. Doch Zschäpe weigerte sich, die Fragen zu beantworten.

Borchert, der die Hälfte der Beweisaufnahme nicht mitbekommen und offensichtlich wenig Ahnung vom Vorgehen rechtsextremer Terrorgruppen gemäß Handbüchern wie den »Turner Diaries« hat – die auf fast allen beschlagnahmten Rechnern des NSU und seines Umfelds zu finden waren –, entschied sich für einen anderen Stil. Voll theatralischer Inbrunst rief er etwa der BAW zu: »Dann widerlegen sie doch die von der Mandantin geschilderte Liebe zu Uwe Böhnhardt!« Zum Teil gestützt auf das psychiatrische Gutachten eines als befangen abgelehnten Sachverständigen, der Zschäpe eine »dependente Persönlichkeits­störung« bescheinigt hatte, verneinten die beiden Zschäpe-Anwälte konsequent die Mittäterschaft ihrer Mandantin bei den Verbrechen des NSU – auch die Beihilfe zu den Morden und Sprengstoffanschlägen, von deren Vorbereitung und Durchführung sie nichts gewusst oder eben erst im Nachhinein erfahren habe. Einzig von den Raubüberfällen habe sie Kenntnis gehabt und sei deshalb allenfalls mit zehn Jahren Gefängnis »tat- und schuldangemessen« zu bestrafen. Neben­klageanwalt Björn Elberling kommentierte trocken: »Wenn die Verteidigung Zschäpes ihr Plädoyer ernst meinen würde, müsste sie spätestens heute die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihre Mandantin beantragen. Dass sie das nicht gemacht hat, zeigt, dass sie es nicht ernst meint.«

Dieser Auftakt lässt einiges befürchten für die weiteren Plädoyers der Verteidigung, insbesondere was die der Anwältin und Anwälte von Ralf Wohl­leben angeht – sie sind als Anwälte der Naziszene bekannt. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat die kommenden Schlussvorträge vorläufig bis zur ersten Juniwoche terminiert. Folgen könnten möglicherweise noch eine Replik der BAW und die letzten Worte der Angeklagten, ehe nach einer gewissen Pause das Urteil zu erwarten ist – vielleicht Ende Juni, Anfang Juli.