Das Musem Ludwig in Köln zeigt Filme von Günter Peter Straschek

Wider das Kino

Seite 2

Seine fast unbekannten, frühen Kurzfilme beschäftigen sich mit feministischen Themen. In seinem ersten Kurzfilm »Hurra für Frau E.« von 1967 zeigt er das Leben einer ­alleinerziehenden Mutter von vier Kindern in Berlin, die von ihrem Mann für eine andere Frau verlassen wurde. Die Bilder zeigen, wie Frau E. mit ihren Kindern in Berlin in Armut lebt. Eine kurze kommentarlose Einstellung zeigt, wie Frau E. einen amerikanischen Soldaten umarmt: Die Umstände haben sie in die Prostitution gezwungen.

Zur dieser Zeit beschreibt Straschek den Sozialismus und die Emanzipa­tion der Frau als seine dringlichsten Anliegen. Dennoch empörten sich vor allem Linke und Frauen über seine Filme, manchen Linken galt er gar als »Frauenfeind«. Laut Rausch bezeichnete Straschek sich selbst nie als Feminist.

In seinem zweiten Film »Ein ­Western für den SDS« setzt er die Arbeit mit Texttafeln, ähnlich wie im Stummfilm, bewusst als Stilmittel ein. In dem umstrittenen Film geht es um die Aufgabe der Frauen im Sozialismus, was anhand der Rolle von Frauen in der Protestbewegung im Berlin der Sechziger illustriert wird. Der Film zeigt drei Frauen, die sich auf unterschiedlichen Stufen der politischen Bewusstwerdung befinden sollen: die arbeitende Frau, die politisch sich bildende Frau und die Frau, die aktiv mit dem Ziel wird, die Verhältnisse zu ändern. Er zeigt in den sehr statischen Szenen, wie Frauen von ihren Mitstudenten belehrt werden, teilweise schweigsam am Tisch sitzen, wenn linke Theorie debattiert wird. Die eingeblendeten ­Zitate des italienischen Schriftstellers Cesare Pavese lassen verschiedene Interpretationen des Films zu. Einmal geht es um die »Technik des Ausweichens vor dem Mann«, die die Frau entwickelt habe, ein anderes Mal um die Intellektuellen, die sich von der Kommunistischen Partei (KP) lossagten, weil sie die Freiheit vermissten.

Für Straschek war das Filmemachen eher Handwerk als Kunst, was aber nicht bedeutete, dass er das Ästhetische vernachlässigte, um reinen Agitprop zu machen. Sein Anspruch war gleichsam an den Inhalt wie an die Form gerichtet. Stets äußerte er sich verächtlich über Linke, die Fähigkeiten und Können der Ideologie unterordneten: »Ich streite unversöhnlich für sozialistisches Bewusstsein und Fachwissen in einem praxisbezogenen Zusammengehören.«

Der Streit über den Film »Ein Western für den SDS« bedeutete zugleich das Ende seiner Karriere an der Filmakademie. Sowohl in seinen Filmen als auch gegenüber der Leitung und den Dozenten hielt er sich nicht mit Kritik zurück; die Situation spitzte sich bei den Dreharbeiten zu dem 23minütigen Film zu, wie der Filmemacher und Fotograf Carlos Bustamante im Gespräch mit der Jungle World erzählt. Bustamante war ebenfalls Student an der DFFB und mit Straschek befreundet. Als Assistent des Kameramanns Holger Meins war Bustamante dabei, als im Foyer des zum gleichnamigen Stahlkonzern gehörenden Klöcknerhauses gedreht wurde.

»Plötzlich sagte ein Mann: ›Oh, was ist das?‹«, erzählt Bustamante: »Er verschwand und kam zwei Minuten später zurück, schrie uns an, entriss uns das Mikro und stieß Holger gegen die Wand.« Als er sich von Straschek nicht beruhigen lassen und auch keinen Wert darauf gelegt habe, die Dreherlaubnis zu sehen, habe die Crew eingepackt und sei abgezogen. »Daraufhin wurde Beschwerde beim Direktor eingereicht und Straschek von der Akademie verwiesen.«

18 Studenten solidarisierten sich mit ihm und mussten die Akdademie ebenfalls verlassen. Der umstrittene Kurzfilm verschwand aus dem Schneideraum und galt als nicht auffindbar, bis die Studenten nach Inkrafttreten der Notstandsgesetze im Mai 1968 die Büros besetzen und bei der Stürmung des Büros des Direktors eine Arbeitskopie im Schrank fanden. Einige Studenten wurden des Hausfriedenbruchs angeklagt. Diese Ereignisse wurden von den Studenten in dem Film »Requiem für eine Firma« dokumentiert.

»Ein Western für den SDS« galt seither als verschollen, bis Rausch ihn zu ihrer Überraschung kurz vor Beginn der Ausstellung in der ehemals gemeinsamen Wohnung wiederfand. Sie sagt: »Als ich den Film nach mühevollem Suchen gefunden habe, war das schon eine kleine Sensation.«

Für die Kuratorin Julia Friedrich zeigen die Filme das hohe Niveau der damaligen politischen Auseinandersetzung. Für sie ist »Ein Western für den SDS« ein einzigartiges Dokument, vor allem wegen seiner frühen Beschäftigung mit feministischen Themen und dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS): »Es geht um die Frage: Welche Literatur und welche Konzepte sind für die Bewegung und für die Revolution nötig?«

Auch der Film »Zum Begriff des kritischen Kommunismus bei Antonio Labriola (1843–1904)«, den Straschek 1970 drehte, wurde selten gezeigt. Er wurde erst während der ­Recherche für die Ausstellung wiedergefunden. Labriola gilt als der erste und einflussreichste italienische Marxist, der das Denken Antonio Gramscis entscheidend prägte. Eine Bettszene im Film kritisiert den Machismus der Studentenbewegung: Während die Frau unter der Bett­decke liegt, sitzt der männliche Protagonist nackt auf der Bettkante und sagt: »Ich verstehe nicht, dass ihr noch immer auf unseren Trick mit der Emanzipation reinfallt.«

Strascheks Filme stehen in der Tradition der Arbeiten des französischen Filmemacherduos Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, die mit ihren politischen und streng formalen Arbeiten dem Neuen Deutschen Film zugerechnet werden. Straschek wirkte als Darsteller an deren Film »Einleitung zu Arnold Schönbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene« von 1972 mit und entwickelte eine enge Freundschaft zu dem Paar. Ein Briefwechsel, der im Ausstellungskatalog abgedruckt ist, zeigt dies eindrucksvoll.

Der Streit um den Kurzfilm »Ein Western für den SDS« war bezeichnend für die Atmosphäre im Berlin Ende der Sechziger. »Die Stimmung war nicht nur in politischen Dingen aufgeladen, sondern auch im Alltag«, sagt Bustamante: »Man hatte es schwer, wenn man anders aussah oder sprach.« Auf der Straße wurden langhaarige Männer angepöbelt oder angespuckt. Für Bustamante hatte die Stadt dennoch etwas ganz Besonders: »Berlin war ein Zufluchtsort damals, da waren viele Künstler und Kreative, sonst wollte da niemand hin.«

Bustamante war aus den USA nach Deutschland gekommen, um Theater zu spielen und fand sich schnell an der Filmakademie wieder. Er empfand den menschlichen Umgang der Deutschen als verkrampft, selbst in der linken Szene meide man Körperkontakt und Umarmungen. »Der Alltag war so steif«, sagt er. Wegen seiner schlechten Deutschkenntnisse wurde er oftmals verächtlich behandelt, er erntete missbilligende Blicke und wurde von Verkäuferinnen gerne ignoriert.

Mit Straschek kam Bustamante in Kontakt, nachdem er seinen ersten Film an der DFFB gezeigt hatte. Straschek und Holger Meins, der auch zum ersten Jahrgang der Studierenden gehörte, kamen auf ihn zu und teilten ihm mit, dass sie inhaltlich nicht mit seinem Film einverstanden seien, aber seine Kameraarbeit mochten und gerne mit ihm arbeiten würden.

So begann die Zusammenarbeit mit Bustamante. Als Holger Meins in den Untergrund ging, stieg Straschek vom Assistenten zum Kameramann auf. »Wenn Holger nicht gegangen wäre, weiß ich nicht, ob ich es gemacht hätte«, sagt Bustamante. Meins sei einer der Besten gewesen, der sich sehr viele Gedanken über die Arbeit gemacht habe. Bustamante war traurig über den Weg, den Meins eingeschlagen hatte: »Er kam später mal in den Schneideraum und hat es überhaupt nicht verstanden, warum wir noch Filme machen wollten.«

Strascheks feministischer Ansatz ist Bustamante nach eigenen An­gaben lange Zeit entgangen. »Mein Deutsch war damals noch sehr schlecht«, sagt er. »Wir waren alle in unserer eigenen Welt und haben eine Menge Hasch geraucht.«
Rausch lernte ihren späteren Mann während der Vorbereitungen zu dem Film über Antonio Labriola kennen. Straschek habe sie gefragt, ob sie beim Dreh mitmachen und eine kleine Rolle übernehmen wolle.

In den letzten Jahren in Berlin wandte sich Straschek mehr und mehr der Forschung zu. Sein In­teresse an Filmemachern, die aus Deutschland emigrieren mussten, zeigt sich schon in früheren Schriften, die Idee zur Exilforschung kam ihm bei seiner Arbeit am »Handbuch wider das Kino« (1975), als er feststellen musste, dass es kaum Materialien zu Emigranten in der Filmbranche gab.
Sein letztes filmisches Werk war die fünfstündige Serie » Filmemi­gration aus Nazideutschland«, für die er in den USA und Europa über 80 zumeist jüdische Filmschaffende interviewte, die vor den Nazis ins Exil geflüchtet waren. Die Serie wurde vom WDR produziert und 1975 ausgestrahlt. Seine Recherche war nur der Anfang seiner Forschung und Archivarbeit, die etwa 2 800 Akten mit mehr als 3 000 Interviews mit Emigranten aus der Filmbranche nach 1933 umfasst.

1975 gingen Rausch und Straschek nach London. Die Forschung zur Emigration bestimmte fortan das Leben der beiden. »Wir sind ständig durch die Welt gereist und haben monatelang in Archiven gesessen und gelesen«, so Rausch. »Das Projekt war sein Kind und ist auch zu meiner Arbeit geworden.« Sie arbeitete so lange an dem Vorhaben, bis sie 1980 im Spezialgebiet »Deutsch als Fremdsprache« in Linguistik promovierte und danach den gemeinsamen Unterhalt und Strascheks Forschung finanzierte.

»Er hat immer gedacht, er wird fertig, aber es ging immer noch weiter«, so Rausch. Mit jedem Interview seien noch weitere Personen dazugekommen, die er auch noch befragen musste. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe es plötzlich Zugang zu zahlreichen Archiven in den ehemaligen Ostblockstaaten gegeben, die er noch berücksichten wollte. »Es war für ihn schrecklich zu wissen, dass er stirbt und das Archiv unvollständig ist.«

Nach Strascheks Tod 2009 verkaufte Rausch das Archiv an die Exilabteilung der Nationalbibliothek in Frankfurt, wo nun weiter daran gearbeitet wird. So hatte es Straschek verfügt.

Die Arbeit an der Ausstellung war für Rausch nicht einfach: »Ich freue mich sehr, dass es eine späte Würdigung gibt und die Filme gezeigt werden, aber bin auch traurig, dass Straschek es nicht erleben kann.« Der Mangel an Zuspruch habe ihrem Mann zu schaffen gemacht.

Ein Anliegen der Ausstellung sei es, die Filme und die WDR-Serie Strascheks der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sagt Julia Friedrich. Die Ausstellung sei aber nur ein Auftakt. »Wir haben bei Straschek einen Anfang gemacht mit dem, was uns interessiert«, sagt sie. »Aber letztlich ist er ein Filmemacher, dessen Werk noch lange nicht vollständig entdeckt ist.«

 

Günter Peter Straschek: Emigration – Film – Politik. Museum Ludwig, Köln.
Bis 15. Juli 2018