In Bulgarien stehen Asylsuchende wegen vermeintlicher Gewalttaten vor Gericht

Im Schlaf verprügelt

In Bulgarien beginnt Anfang Juni ein Prozess gegen Asylsuchende, denen vorgeworfen wird, 2016 im Flüchtlingslager Harmanli ­randaliert zu haben. Damals gab es zunächst friedliche Proteste gegen die katastrophalen Unterbringungsbedingungen.

Die bulgarische Stadt Harmanli am Fluss Mariza, der in Griechenland Evros genannt wird, liegt an einer wichtigen Transitroute nach Istanbul und hat etwas mehr als 20 000 Einwohner. Sie ist nur einige Dutzend Kilometer vom Dreiländereck zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei entfernt. Seit 2013 gibt es auf einem ehemaligen Militärgelände am Stadtrand ein Lager für Flüchtlinge, das derzeit etwa 2 710 Plätze hat. In den ersten Monaten nach Eröffnung des Lagers mussten Flüchtlinge notdürftig in Zelten unterkommen und sich am offenen Feuer wärmen. Schrittweise wurden die fensterlosen Gebäude renoviert und zusätzlich Container auf das Gelände gestellt.

Geschehnisse im Lager, die sich im Jahr 2016 ereigneten, beschäftigen zurzeit die bulgarische Justiz. Anfang September 2016 forderten Anwohnerinnen und Anwohner, das damals völlig überfüllte Lager zu schließen. Unterstützt wurden sie von der rechtsextremen Partei Bulgarische Nationale Bewegung (IMRO) und anderen rechtsextremen Organisationen. In der Stadt kursierten Gerüchte, die Flüchtlinge hätten Seuchen und bedrohten die Einwohner. Die Proteste wurden größer und der Druck auf die lokale Verwaltung stieg.

Schließlich verhängte sie im November 2016 eine permanente Ausgangssperre über das Lager, die vom Gesundheitsministerium in Sofia mit einer Quarantänemaßnahme gerechtfertigt wurde. Später stellte sich jedoch heraus, dass eine derartige Maßnahme gar nicht nötig gewesen wäre. Die Asyl­suchenden protestierten gegen die Abriegelung des Lagers, ihre vollständige Isolierung von der Außenwelt und die Zustände im Lager. Nach zwei Tagen Ausgangssperre griffen manche Protestierende zu Gewalt. Einige Asylsuchende hatten sich mit Steinen bewaffnet und warfen sie auf die Polizei, die das Lager großräumig abriegelte. Die Beamten antworteten mit Knüppeln und dem Einsatz von Wasserwerfern. Der Einsatz erstreckte sich bis in die darauffolgende Nacht. Freiwillige Helferinnen und Helfer erhielten Anrufe von Flüchtlingen, die sagten, sie hätten geschlafen und seien unvermittelt von der Polizei angegriffen worden, obwohl sie gar nicht am Aufstand beteiligt gewesen seien. Zahlreiche Fotos wurden noch in derselben Nacht in sozialen Netzwerken veröffentlicht, die Flüchtlinge mit blutenden Kopfwunden und Verletzungen am Körper zeigten. Rechtsextreme bedrohten diejenigen, die die Bilder veröffentlicht hatten.

Die Behörden gaben später an, dass 300 Asylsuchende während der Krawalle verhaftet worden seien. Am 28. November 2016 ließen sie verlauten, dass sich 50 afghanische Flüchtlinge bereit erklärt hätten, in das Land zurückzukehren. Um das Lager in Harmanli wurde ein über zwei Meter hoher Metallzaun mit Stacheldraht gebaut. Knapp 300 Polizisten, die am Einsatz beteiligt gewesen waren, erhielten Geldprämien, die Vorwürfe gegen die Polizei wurden nicht überprüft.

Im März 2018 äußerte sich eine Sprecherin des UNHCR Bulgarien zu den Lebensbedingungen in den offenen Unterkünften für Asylsuchende: Die hygienischen Zustände seien weiterhin mangelhaft und der Schutz von Asylsuchenden sei nicht ausreichend gewährleistet. Seit den Ausschreitungen von Harmanli nimmt die Staatliche Agentur für Flüchtlinge (SAR) in Bulgarien Menschen in Haft, deren Asyl­verfahren noch nicht entschieden sind.

Am 5. Juni soll der Prozess gegen 21 Personen beginnen, die angeklagt sind, an den Ausschreitungen im Jahr 2016 beteiligt gewesen zu sein. Sie werden des Rowdytums und der Zerstörung von Eigentum beschuldigt. Die Behörden beziffern den Sachschaden auf 85 000 Lewa (43 000 Euro). Eigentlich sollte der Prozess bereits im April stattfinden, doch nur zehn der Beschuldigten erschienen damals vor Gericht, woraufhin der Prozess nach 30 Minuten abgebrochen und vertagt wurde. Die zehn Angeklagten waren von der Migrationsbehörde aus der Haftanstalt für Migranten in Ljubimez abgeholt und zum Gerichtsgebäude gefahren worden; den anwesenden Medien erklärten einige von ihnen, dass sie unschuldig seien. Das Gericht erhofft sich nun bis 5. Juni Klarheit über den Verbleib der restlichen Ange­klagten.

Der Fall erinnert an das Gerichts­verfahren gegen 35 Migranten, die auf der griechischen Insel Lesbos festgenommen worden waren. Auch dort hatte es nach einem zunächst friedlichen Protest vor dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) am 17. und 18. Juli 2017 einen Aufstand im völlig überfüllten Lager Moria gegeben. Die rabiat durchgeführten Festnahmen fanden eine Stunde nach dem Abflauen der Unruhen statt. 32 Asylsuchende wurden im April zu zweijährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Viele von ihnen beteuerten vor Gericht ihre Unschuld und gaben an, willkürlich von der Polizei festgenommen und verprügelt worden zu sein.