Im Dokumentarfilm »Taste of Cement« wird Freiheit zur Farce

Kunst auf dem Bau

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Ein Banner hängt über der Straße: »Ausgangssperre für syrische ­Arbeiter ab 19 Uhr, jede Zuwiderhandlung steht unter Strafe!« Die Männer in Khourys Aufnahmen schlafen reglos in Decken oder Teppiche ­gewickelt, liegen herum und schauen im Fernsehen und auf Smartphones die syrischen Nachrichten. Sie sitzen still, kauen getrockneten Fisch und hören von der Zerstörung Aleppos. Die Diskriminierung syrischer Flüchtlinge im Libanon hält sie davon ab, am öffentlichen Leben teil­zunehmen. Wenn sie sich bewegen, dann nur treppauf, treppab durch ein Loch am Grunde der Baustelle, vor und nach ihrer zwölfstündigen Schicht.

Einige Bilder erinnern an Fotografien des russischen Konstruktivisten Alexander Rodtschenko, wenn zum Beispiel ein Arbeiter auf dem Kran steht und nach links in den Sonnenuntergang schaut, oder wenn junge Männer an Gittern lehnen und durch die Untersicht der Kamera ihre ­Unfreiheit ironisch als heldenhafte Arbeiterpose inszeniert wird.

Auf dem engen Raum der Baustelle erlangt der Film das Bewusstsein über seine eigene Mechanisierung zurück. Es wird klar, warum schon Sergej Eisenstein in den zwanziger Jahren Begriffe aus der Ingenieurskunst für seine Arbeit verwendete und seine Teams »Bauhütten« nannte: Ein Arbeiter biegt ein Bewehrungseisen, einer klopft Gerüstschellen fest, ein dritter schalt eine Säule ein, ein anderer zieht mit Betonsteinen eine Wand hoch – in Parallelmontage entsteht ein neues Stockwerk. Das ganze wiederholt sich ­jeden Tag.

»Die Finger werden steif und die Gelenke verdörren. Du lässt Dinge auf den Boden fallen, ohne Gefühl für ihr Gewicht. Wenn du nur noch Stockwerke zählst, beginnen deine Fingerabdrücke zu verblassen«, schildert der Erzähler den Verlust des Bewusstseins von sich selbst. Dem inneren Stillstand gebeutelter Väter und Söhne stellen Regisseur und Kameramann ein beispielloses mechanisches Ballett des Kriegs und des Fortschritts gegenüber. Aus der subjektiven Perspektive aller ­Gerätschaften blickt man auf zugerichtete Männer: Eng gedrängt stehen Maurer im Fahrstuhl, die Kamera filmt durch ein Loch die vorbeiziehenden Etagen: 24 Bilder pro Sekunde, zehn Stockwerke pro Minute ziehen wie Schmalfilm vorüber. Khoury ­findet zu seiner Bildsprache, indem er die Möglichkeiten von Militär-, Bau- und Filmtechnik zusammensetzt. Seine Kamera funktioniert als Auge einer Maschinerie, die baut und zerstört. Panzer zerbomben syrische Ziele, die die Kamera vorher anvisiert, Kräne schwenken und Beirut bewegt sich durchs Bild, ein ­Zementbottich schwebt über Köpfe hinweg, im Abendlicht wachsen anmutig Bauten in den Himmel, wenn die Kamera im Lift abwärts fährt. Khoury leugnet nicht, dass die Schönheit seiner Bilder maschinengemacht ist.

Gitter und Gerüststreben dienen Khourys Apparat als Kadrierung oder gar zur Hervorhebung der vierten Wand zwischen Bild und Betrachter. Diese Technik schafft nicht nur Wandpanoramen mit Anleihen aus der Renaissance oder illusionistische Momente römischer Interieurs, sondern entblößt nebenbei – wie ihre Vorbilder – jegliche Konstruktion des dokumentarischen Bildes. »Die empirische Wirklichkeit zeichnet sich gegenüber einer artifiziellen Inszenierung dadurch aus, dass sie rahmenlos wahrgenommen wird. Zwar sind im urbanen Raum von der Architektur Türen, Bögen und Fenster gestellt, doch dienen diese praktischen Zwecken und nicht der ästhetischen Einfassung eines Bildes«, schreibt der Medienwissenschaftler Wolfgang Bock über Rahmen und ­Gestelle im Film. Doch Kalthoum geht es nicht nur um die Konstruktion von Filmbildern.

Eine Erinnerung an ein Poster, auf dem das Meer zu sehen ist, gesprochen aus dem Hintergrund: »Vor mir erstreckt sich das endlose Meer, ­tapeziert auf die Küchenwand: der weiße Strand, das blaue Meer, zwei Palmen an den Seiten. Zum ersten Mal sehe ich das Meer. Ich lächle. Mein Vater hatte es aus Beirut nach Syrien mitgebracht.« Vor dem Rohbau liegt dagegen die tatsächliche, unerreichbare blaue See. Mit vom Rohbau eingefassten Panoramen des libane­sischen Mittelmeers bebildert Kalthoum auch die Desillusionierung seines Erzählers. Die Zukunft eines Jungen, dessen Vater aus dem Ausland zurückkehrte, wirkt plötzlich wie in festen Bahnen. Der Umzug einer Posterwand vom Libanon nach Syrien setzte zwei weit entfernte Orte schicksalhaft in Beziehung zueinander.

Die Verhältnisse in Syrien und im Libanon haben alte Symbolik obsolet gemacht. Das Meer taugt nur als Freiheitssymbol, wenn es sich bewegt. Zement taugt nur als Garant für ein sicheres Leben, wenn er fest ist. Wenn er als Staub unter Trümmern des ­Eigenheims Nase und Mund verklebt, birgt er nur Tod. Während der Bei­ruter Hafen als eine Art echter Panoramatapete die Arbeiter im Rohbau lockt und gleichzeitig verhöhnt, fließt unentwegt Spritzbeton aus Schläuchen über Gitter. Dazu hört man Meeresrauschen. Flüssig ist Zement den syrischen Männern nur Garant für Arbeit. Der Freiheitsbegriff des Erzählers von »Taste of Cement« liegt dabei irgendwo zwischen Tapete und Wand. »Von oben sehe ich das Meer, den blauen Himmel, die Stadt in ihrem Dunst. Eine Tapete, die um das Gebäude geschlagen wurde.« Im flüssigen Zement, im starren Meer gerinnt die Hoffnung auf ein besseres Leben, ein neues Haus und Freiheit zur Farce.

 

Taste of Cement (Deutschland / Libanon / Syrien / Vereinigte Arabische Emirate / ­Katar 2017). Regie: ­Ziad Kalthoum. Filmstart: 24. Mai