Die Proteste in Nicaragua gegen die Regierung von Daniel Ortega werden vor allem von Studierenden getragen

Aufstand gegen den Revolutionär

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Bereits wenige Tage nach Ausbruch der Proteste ging es nicht mehr nur um die Rentenreform. Die Protestierenden wollen das Land umkrempeln, sie fordern Neuwahlen und verlangen, dass der FSLN sich aus den Universitäten zurückzieht. Morales sagt: »Wir werden so lange demonstrieren, bis Ortega endlich verschwindet. Die Menschen haben schon lange genug von ihm. Jetzt ist der Zeitpunkt für einen Wandel gekommen.«

In den folgenden Wochen fanden sich die Studierenden in der »Bewegung des 19. April« zusammen. In der Hauptstadt Managua besetzten sie die polytechnische Universität UPOLI, in Léon bildeten Morales und seine Kommilitonen Arbeitsgruppen, um die Proteste zu organisieren. Sie sammelten Spenden und kauften Medikamente, Wasser und Verpflegung. Andere übernahmen die Kommunikation mit Bauernverbänden und Arbeitern. Jeden Tag versammelten sich die Demons­trierenden vor der Kirche in Léon und zogen durch die Straßen. Anders als beim ersten Mal hatten sie nun allerdings Stöcke, selbstgebaute Mörser und Molotow-Cocktails dabei. Am Abend des 20. April brannte das Haus des Studierendenrats in Léon. Morales sagt: »Wir sind friedlich, aber wenn es nötig ist, dann wehren wir uns.«

Die Studierenden sind mit den Geschichten aus der sandinistischen Revolution aufgewachsen. Aléman sagte in den Verhandlungen mit Ortega: »Wir kennen die Geschichte, genau wie Sie, Herr Präsident.« Doch die Jugend glaubt den mystifizierenden Erzählungen nicht mehr. Was sie stattdessen will, ist noch unklar. Noch hat die Bewegung keine Ideen für die Zeit nach Ortega.

Nachdem Alemán am 16. Mai seine Rede vor Ortega gehalten hatte, veröffentlichte ein regierungsnaher Radiosender ein Foto Alemáns samt seiner Passnummer und Adresse sowie die Namen seiner Eltern im Internet. Daraufhin erhielt der Student Morddrohungen. Auch von den Demonstrationen macht die sandinistische Jugend Fotos, die sie im Internet veröffentlicht. Immer wieder kommt es vor, dass daraufhin Studierende zu Hause angegriffen und verprügelt werden. Die regierungsnahe Presse schreibt, die Demonstrierenden seien von der CIA bezahlt, um die Regierung zu stürzen.

Vom 17. bis 21. Mai reiste eine Vertretung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) nach Nicaragua. Sie sollte untersuchen, von wem die Gewalt auf den Straßen ausging. In ihrem am Montag vergangener Woche vorgelegten Bericht schreibt sie von schweren Menschenrechtsverletzungen und unterdrückter Berichterstattung. Die Vertreter der CIDH berichteten, viele Menschen hätten sogar Angst gehabt, mit ihnen zu sprechen.

Eigentlich sollte das Treffen zwischen den Studierenden und Ortega einen Dialog zwischen Regierung und Protestbewegung eröffnen. Die Bischofskonferenz Nicaraguas hatte die Gespräche organisiert. Doch nach jedem solchen Treffen gingen mehr Demonstrierende auf die Straße, jede Woche wurden weitere Tote gemeldet. Am 23. Mai erklärte die Regierung schließlich die Gespräche für gescheitert. Man werde keinen Neuwahlen zustimmen, sagte ein Regierungssprecher.

Am Wochenende errichteten Protestierende Straßensperren im ganzen Land, viele von ihnen rüsteten sich mit selbstgebauten Mörsern aus. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei und regierungsnahen Schlägertruppen kamen am Wochenende mindestens acht Menschen ums Leben. Die Protestierenden wollen weitermachen, bis Ortega aufgibt.