In Brasilien werden Agrargifte von internationalen Konzernen eingesetzt, die in der EU verboten sind

Gift für den Süden

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Eine »sachgemäße Anwendung«, wie sie Bayer beschreibt, sei in Brasilien zudem nahezu unmöglich, kritisiert Tygel im Gespräch mit der Jungle World: »Die vorgeschlagene Schutzkleidung für die Arbeiter ist völlig ungeeignet für das Klima. In der gleißenden Sonne mit der kompletten Montur, wie soll das gehen?« Auch die Entsorgung der Verpackungen, in denen die Chemikalien verkauft werden, ist ein ungelöstes Problem, da die Hersteller keiner Rücknahmepflicht unterliegen und vor allem Kleinproduzenten den anfallenden Müll lieber verbrennen oder vergraben, anstatt ihn kostenpflichtig zu recyceln. »Das alles ist offensichtlich und gut dokumentiert«, sagt Tygel. »Doch leider gibt es zu viele Wissenschaftler, die sich vor den Karren der Industrie spannen lassen und beständig Zweifel säen, damit der Einsatz der Agrargifte weiterläuft wie bisher.«

Auch nach dem Ende der Diktatur verhielt sich der Staat keineswegs passiv, als die Menge der eingesetzten Chemikalien in Brasilien ständig wuchs – zwischen 2000 und 2014 um 300 Prozent. Die am Export von Agrarprodukten orientierte Entwicklungspolitik ging zu Lasten einer nachhaltigen Produktion gesunder Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung. Devisen auf internationalen Märkten zu erwirtschaften, war auch für die Agrarpolitik der von 2003 bis 2016 regierenden Arbeiterpartei (PT) stets eine Priorität. Die programmatische Hinwendung des MST zur ökologischen Landwirtschaft im Jahr 2000 fiel mit einem Kompromiss zwischen der Agrarindustrie und der Linken zusammen, die drei Jahre später so erstmalig das Präsidentenamt erringen konnte.

Seit 2016 ist der PT wieder in der Opposition und die Agrarindustrie tritt seitdem noch forscher auf. Die bancada ruralista, ein parteiübergreifendes Bündnis aus parlamentarischen Abgeordneten, die der industriellen Landwirtschaft nahestehen, versucht derzeit eine als »Giftpaket« bekannt gewordene Gesetzesänderung durchzusetzen. Gelingt das Vorhaben, wird es künftig legal sein, noch größere Mengen an Pestiziden einzusetzen. Das Agrarministerium soll das letzte Wort bei der Zulassung von Produkten erhalten und der Nachweis, dass Chemikalien genetische Veränderungen verursachen, nur noch bei »nicht akzeptablen Risiken« zu einem Verbot führen.

Ob dieses politische Vorhaben finanziell auch von Herstellern von Agrargiften unterstützt wird, ist nicht belegt. »Die Unternehmen sind sehr vorsichtig, sie spenden nicht direkt für politische Kampagnen«, sagt Tygel. »Aber sie sind in Industrieverbänden organisiert, mit einer starken Lobby.« Auch Bayer ist in solchen Verbänden in Brasilien vertreten, so zum Beispiel im Nationalen Verband der Pflanzenschutzmittelindustrie (Sindiveg), und hat großes Interesse, seine in Brasilien zugelassene Produktpalette zu erweitern. Zum landwirtschaftlichen Angebot gehören längst auch genetisch modifizierte Pflanzen. »Bayer versuchte vor einiger Zeit, eine Zulassung für Genreis zu bekommen, blitzte damit aber erst einmal ab«, erinnert sich Tygel. »Aber nach der Fusion mit Monsanto wird die Lobbymacht weiter steigen.« Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten sein könnte, gab im Februar die brasilianische Antikartellbehörde, die der Übernahme ohne weitere Auflagen zustimmte.