Der Unsinn der Protestparole »Ganz Berlin hasst die AfD«

Schaulaufen der Gutgesinnten

Die Berliner Proteste gegen die AfD haben gezeigt: Wer sich wie die Partei zum Vertreter der Mehrheit erklärt, kann der AfD nichts anhaben.
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»Ganz Berlin hasst die AfD« – so lautete die Parole der Herzen während der Proteste gegen die Partei am Sonntag in Berlin. So griffig, typisch »Berliner Schnauze« und voller radical chic, dass sie demnächst in einer Imagekampagne des Berliner Stadtmarketings landen könnte, wurde sie von Tausenden skandiert, tausendfach auf Facebook und Twitter herumgereicht und zu Schlagzeilen verarbeitet. Die Amadeu-Antonio-Stiftung war offenbar derart verzaubert von der magischen Formel, dass sie twitterte: »Direkt auf der anderen Seite des AfD-Aufmarschs steht schon der Gegenprotest. Sprechchöre: ›Ganz Berlin hasst die AfD.‹« Was jedoch unter dem Hashtag #stopptdenhass – die Stiftung hatte mit über 100 weiteren Organisationen unter diesem Slogan zu den Protesten aufgerufen – reichlich grotesk wirkte.

Dass nicht ganz Berlin die AfD hasst, ist offensichtlich. Berlinerinnen und Berliner haben die Partei in sämtliche Bezirksverordnetenversammlungen, das Abgeordnetenhaus und den Bundestag gewählt. Als Tatsachenbehauptung kann der Spruch also nicht durchgehen. Vielmehr reklamierten diejenigen, die ihn verbreiteten, wenn schon nicht ganz Berlin, so doch mindestens eine überwältigende Mehrheit zu vertreten. Das allerdings ist eine Masche, die auch die AfD in ihrem Propagandaarsenal hat: sich zur einzig wahren Vertreterin der Mehrheit zu erklären. So war die beliebteste Protestparole kein Angriff auf die Ideologie der Partei, sondern gab dem Umzug der AfD-Gegner eher den Anschein einer Konkurrenzveranstaltung. Hüben wie drüben zeigte sich in der Anrufung der Mehrheit die hässliche Seite der Volksherrschaft: Wer die Mehrheit hat, hat recht – nicht etwa diejenigen, die eine richtige Erkenntnis haben, mögen sie auch eine noch so kleine Minderheit sein. Vielleicht erklärt sich so auch, warum es die Protestierenden zum Abschluss auf die Straße des 17. Juni zog, wo sich sonst Mehrheiten am »Tag der deutschen Einheit« und auf der »Fanmeile« einfinden.

Ein Zusammenschluss von Berliner Theatern und freien Künstlern beteiligte sich ebenfalls an den Protesten – passenderweise unter dem Banner des Vereins »Die Vielen«. Kritischer Gehalt war hier nicht nur wegen der Mehrheitssehnsucht kaum zu erwarten. Als eines der größten am Protest teilnehmenden Theater der Stadt hatte das Berliner Ensemble vorab eifrig getwittert: »Das Berliner Ensemble setzt ein Zeichen für eine offene Gesellschaft! Wir sind ›Die Vielen‹, gemeinsam sind wir stark! #noAFD.« Zudem hatte das Haus ein Banner an der Fassade befestigt mit der Aufschrift »BE gegen rechts«. Im April waren solche Töne nicht zu vernehmen gewesen: Da hatte das Theater am Madách International Theatre Meeting (MITEM) in Budapest teilgenommen. Leiter des Festivals ist der Direktor des ungarischen Nationaltheaters, Attila Vidnyánszky, ein loyaler Anhänger der Regierung Viktor Orbáns und überzeugter Volkstumskämpfer. Daran störte sich der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, offenbar ebenso wenig wie an den warmen Grußworten des ungarischen »Ministers für Humanressourcen«, Zoltán Balog. Dass das Berliner Ensemble sich erst kürzlich vom politischen und kulturellen Personal eines Landes hatte hofieren lassen, von dessen Zuständen die AfD nur träumen kann, hielt das Theater nicht davon ab, auf dem Protestzug in Berlin mit allerlei in zivilgesellschaftlichem Eifer selbstgebasteltem Glitzerkram Bekenntnis abzulegen »gegen Ausgrenzung und Hass« und gute Gesinnung zu zeigen. Vielleicht war der Besuch in Ungarn ja auch nur eine demonstrative Maßnahme, um einen ungarischen Theaterfaschisten wie Vidnyánszky nicht auszugrenzen.

Selbstverständlich hat die AfD, die nach den Spaltungen und Querelen ihrer Anfangsjahre im Bundestag zu einer stabilen, faschistischen Form zu finden scheint, möglichst große Proteste verdient. Doch mögen am Wochenende auch statt der von der Polizei angegebenen 25 000 Menschen tatsächlich, wie von den Veranstaltern behauptet, 50 000, 60 000 oder 70 000 gegen die AfD auf die Straße gegangen sein – ein gemeinschaftsstiftendes und mehrheitsduseliges Schaulaufen der Gutgesinnten kann der Partei kaum etwas anhaben, selbst wenn sie nur 5 000 Leute ankarrt.