Die Menschenrechtslage in den WM-Austragungsorten ist für die Fifa zweitrangig

Wenn der Ball erst rollt

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Die Fifa und ihre Kontinentalverbände versuchen, diese Entwicklung zu unterlaufen. Erfolgreich wurden in beinahe allen Kontinenten Champions Leagues etabliert – mit der Folge, dass der beste Fußball mittlerweile nicht mehr von den national zusammengesetzten Auswahlteams bei WM und EM gespielt wird, sondern in der europäischen Champions League. Und die Fifa versucht – derzeit noch nicht allzu erfolgreich –, eine Club-WM zu installieren.

Die großen Clubs, fast alle in Europa ansässig, sind schon seit einigen Jahren dabei, neue Märkte für sich zu erschließen. China und Indien sind, schon ob ihrer Größe, am attraktivsten. Mit Fernsehrechten, Merchandising und der Vermarktung der Clubsignets ist ein Markt mit Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich entstanden.

Sehr ähnlich agiert die Fifa auch, die sich Begriffe wie »FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018«, »FIFA Fussball-Weltmeisterschaft«, »World Cup«, »RUSSIA 2018« oder »WM 2018« markenrechtlich hat schützen lassen. Entsprechend ging sie auch juristisch gegen Bäckereien vor, die »Weltmeister-« oder »World-Cup-Brötchen« im Angebot hatten. Auch beim »Public Viewing«, gleich ob sie vor großer Leinwand oder auf dem Trottoir vor einem Kiosk stattfinden, wird kassiert.

Interessant ist auch der Sponsorenschutz, den die Fifa garantiert. »Sie leisten einen wesentlichen finanziellen Beitrag und machen diese privat finanzierte Veranstaltung damit erst möglich«, sagt die Fifa über ihre Finanziers. »Als Gegenleistung ist den Fifa-Rechteinhabern eine Anbindung an den Wettbewerb garantiert, insbesondere über das Recht zur Nutzung der offiziellen Marken (das offizielle Emblem und das offizielle Maskottchen) bei ihren PR- und Werbeaktionen.« Das kann so weit gehen, dass andere Bierwerbung als die für den Fifa-WM-Sponsor Budweiser verhüllt werden muss – auch auf öffentlichen Plätzen.

Dass ein Monopolist wie die Fifa so agiert, irritiert nicht. Sie tut es, weil sie es kann. Die Frage lautet: Warum lassen Nationalstaaten so mit sich umspringen? Warum garantieren Staaten wie Deutschland (2006), Südafrika (2010), Brasilien (2014) und Russland (2018), die sich hinsichtlich politischer Verfasstheit, ökonomischer Stärke und weltpolitischen Standings deutlich unterscheiden, einem dubiosen Akteur wie der Fifa so weitgehende Privilegien?

Der Vorteil, den eine Fußball-WM (Ähnliches gilt für Olympische Spiele) für einen Staat und eine Nationalökonomie bieten, dürfte größer sein, als üblicherweise vermutet wird. Das beginnt beim Imagegewinn, der, wie man spätestens seit dem »Sommermärchen« 2006 weiß, enorm hoch sein kann. Das hat innenpolitische und gesellschaftliche Auswirkungen, was die Modernisierung von Nationalismus angeht: Schwarz-Rot-Gold gilt seither nicht mehr als Erkennungszeichen rechten Denkens, sondern avancierte zum Accessoire hedonistischen Partyvolks. Zudem sind Gentrifizierungsprozesse und gesteuerte Stadtentwicklungsmaßnahmen leichter zu begründen und durchzusetzen, wenn sie einer populären Sache wie dem Fußball zu dienen scheinen. Proteste gegen die Verdrängung aus Stadtvierteln lassen sich beispielsweise mit dem Versprechen schwächen, dass alles einem tollen Event diene. Solche Großereignisse werden auch stets mit der Schaffung von Arbeitsplätzen begründet, und temporäre prekäre Arbeitsverhältnisse, etwa im Dienstleistungsbereich, sind die Folge.

Diese Skizze der politischen Vorteile muss unvollständig bleiben, denn diese sind bei den verschiedenen Staaten auch unterschiedlich: Ist eine Modernisierung des deutschen Nationalismus ein Ergebnis der WM 2006, so sind die Effekte der WM in Südafrika und Brasilien keineswegs so klar zu beschreiben. In Brasilien gehörte die Arbeiterpartei der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff und ihres Vorgänger Luiz Lula da Silva definitiv nicht zu den politischen Profiteuren der WM.

Nun also Russland und Wladimir Putin. Die eingangs erwähnten Einwände gegen eine Sportveranstaltung von diesem gigantischen Ausmaß sind nicht falsch. Die immer wieder zu hörenden Appelle an den Weltverband Fifa, er möge doch in einem sympathischen Sinne auf die politischen Akteure einwirken oder sie bestrafen, haben aber mit der Realität des Weltsports nichts zu tun. Das hieße ja, den Bock zum Trainer zu machen.