Der Regierungswechsel in Spanien könnte eine Chance für Deeskalation bieten

Chance auf Deeskalation

In Spanien ist nach einem erfolgreichem Misstrauensvotum gegen Mariano Rajoy der Sozialist Pedro Sánchez neuer Ministerpräsident.
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Die Zukunft Mariano Rajoys schien bis 2020 gesichert: Der bisherige spanische Ministerpräsident hatte den Haushalt für 2018 mit Hilfe der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) durchgesetzt und konnte seine wacklige Position trotz der mehr als 60 Korruptionsfälle, die seine konservative Volkspartei (PP) tangieren, mit einer harten Linie im Katalonien-Konflikt behaupten. Doch dann kam das Urteil des nationalen Sondergerichts im größten Korruptionsskandal Spaniens, dem Fall »Gürtel«. In dem 1 687 Seiten langen ­Urteil werden 29 Angeklagte, die Rajoys Partei nahestehen, zu insgesamt 351 Jahren Haft verurteilt. Die Richter sprechen von einem institutionellen Korruptionsnetz, über das Schmiergelder für staatliche Aufträge flossen. Dabei habe die Volkspartei mindestens 250 000 Euro an Bestechungsgeldern erhalten. Die Richter bezweifeln auch Rajoys Zeugenaussage, er habe als Parteivorsitzender von der jahrelangen illegalen Finanzierung nichts gewusst.

Nach Bekanntgabe des Urteils am 24. Mai war die Empörung in Spanien groß. Die rechtsliberale Partei Ciudadanos forderte Neuwahlen, sie würde gern ihr derzeitiges Umfragehoch nutzen. Doch die linke Bewegungspartei Podemos sicherte den Sozialisten (PSOE) ihre Unterstützung für einen Misstrauensantrag zu. Für den Generalsekretär der PSOE, Pedro Sánchez, war es die Chance, an die Regierung zu kommen. Den katalanischen Separatisten der ERC (Republikanische Linke) und der PDeCAT (Demokratische Euro­päische Partei Kataloniens) bot er einen Dialog an. Der PNV versprach er, die Zusage zusätzlicher Milliardeninvestitionen, die diese bei den Haushaltsverhandlungen für die Unterstützung Rajoys erhalten hatten, einzuhalten. Mit 180 zu 169 Stimmen bei einer Enthaltung hatte erstmalig in der spanischen Demokratie ein Misstrauensantrag Erfolg. Rajoy wünschte seinem Nachfolger »viel Glück, denn das werden Sie brauchen«.

Viele Spanierinnen und Spanier werden Sánchez schon dafür dankbar sein, dass er die rechtskonservative Volkspartei gestürzt hat, die mit Arbeitsmarktreformen zwar mehr, aber prekäre Stellen schuf, die Sozialausgaben kürzte und die Rentenrücklage ruinierte, das Strafrecht verschärfte, die Meinungsfreiheit einschränkte und sich im Katalonien-Konflikt hinter der Justiz verschanzte und Spa­nien damit in seine schlimmste institutionelle Krise seit 1978 führte. Sánchez bezeichnet sich als proeuropäischen Politiker. Er ist auch der erste Ministerpräsident seit dem Spanischen Bürgerkrieg, der bei seinem Amtseid auf religiöse Symbole verzichtete. Um mit ­einer schwachen Minderheitsregierung von 84 Abgeordneten bei 350 Sitzen im Parlament einen Richtungswechsel im Land einzu­leiten und die nächsten Wahlen gewinnen zu können, muss er nun den Dialog mit anderen Fraktionen vor allem der Linken, aber auch den baskischen und katalanischen Parteien suchen.

In Katalonien ist der Jubel dennoch verhalten. Der bürgerlichen Zeitung La Vanguardia zufolge glauben nur 63 Prozent ihrer Lese­rinnen und Leser, dass der Regierungswechsel die politische Lage in Katalonien verbessern wird. Sánchez unterstützte im Oktober ­Rajoys Zwangsverwaltung, die mit der Vereidigung der neuen – ebenfalls separatistischen – katalanischen Regierung durch den ­neuen Präsident Quim Torra endete. Diese wird die Dialogbereitschaft des spanischen Ministerpräsidenten vor allem daran messen, wie er mit den inhaftierten und exilierten Politikern umgeht. Mit der neuen Zentralregierung tritt auch ein neuer Generalstaatsanwalt sein Amt an, was eine Chance für Deeskalation bietet.