Der Journalist Giuliano Santoro erklärt im Gespräch, warum die Fünf-Sterne-Bewegung nicht links ist

»Querfront an der Macht«

Seite 2
Interview Von

Wie ist es möglich, dass die Basis des M5S die Allianz mit der Lega einfach so hinnimmt? Der M5S soll auch Stimmen von linken Wählerinnen und Wählern bekommen haben, wie können sie damit leben?
Der M5S ist seit fünf Jahren eine Partei. Ich finde, das ist genug Zeit, um zu ­sagen, dass es keine enttäuschten Linkswähler mehr gibt. Der Erfolg des M5S kann nicht mit sozialen Konflikten oder Klassenzugehörigkeit erklärt werden. Es gibt keine Klassendefinition für die Wählerinnen und Wähler, die sich ­abgehängt fühlen, die in der urbanen Peripherie leben oder im Süden des Landes mit seinen strukturellen Problemen, die von der Wirtschafts- und Finanzkrise verschärft wurden. Das, was diese Wählerschaft eint, ist die Wut; Inhalte sind verhandelbar. Die einzelnen politischen Themen spielen eine untergeordnete Rolle. An erster Stelle steht für den M5S die Botschaft: Wählt uns, um sie, das Establishment, weg­zuschicken.

Daher rührt die ganze Rhetorik des Wandels und der »dritten Republik«. Sie sind wirklich überzeugt, das Neue zu sein. In gewissem Sinne sind sie es auch: Sie waren erfolgreich beim Branding dieses Neuen als Revolte. Sie haben damit eine Marke aufgebaut und erfolgreich die Botschaft platziert, dass politische Inhalte und vor allem Debatten über Inhalte nutzlos seien, weil sie ideologisch seien. Das hat dazu geführt, dass sie auch Antirassismus und Antifaschismus für Ideologien halten, mit denen sie nichts anfangen können. Das ist das Gegenteil einer politischen Kultur, die von Meinungsvielfalt lebt. Es ist eine bemerkenswerte Verschiebung in der politischen Kultur, sie ist für eine Demokratie gefährlich.

Es wird immer wieder versucht, den Populismus des M5S durch vor­handene Kategorien zu charakterisieren. Mittlerweile hat man sich, zumindest in ausländischen Medien, auf »linkspopulistisch« geeinigt. Haben Sie einen besseren Vorschlag?
Ich weigere mich, eine Partei, die eine Koalition mit Rechtsextremen bildet, als links zu bezeichnen. Und ich frage mich, warum darauf beharrt wird, ­diese Bewegung mit rechts oder links zu definieren, in Italien spielt diese Frage mittlerweile kaum eine Rolle. Es stimmt, dass der M5S weder rechts noch links ist. Aus diesem »weder rechts noch links« haben sie sogar eine postideologische Identität gebildet, die sehr gefährlich ist, weil die Flanke nach rechts offen steht. Nach links gibt es weniger Anknüpfungspunkte.
Ich würde sagen, dass sich in der Allianz zwischen M5S und Lega eine Form von Querfront institutionalisiert hat, die im Souveränismus ihr ver­binden­des Element findet.

Kann man von einer Faschisierung der italienischen Gesellschaft reden?
Leider ist das kaum zu bestreiten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Wahlen im März eine Partei an die Macht ­gebracht haben, die auf lokaler Ebene beste Beziehungen zu offen neofaschistischen Organisationen unterhält. Die bekannteste ist Casa Pound, die sich bereits zufrieden mit der neuen Regierungskoalition erklärt hat. Einer der Lega-Minister wurde mehrmals auf ­Demonstrationen der Neofaschisten von Forza Nuova gesehen. Salvini, der sich explizit am französischen Front National orientiert, hat der Lega durch seine nationalistische, völkische Wende ein deutliches rechtsextremes Profil gegeben. Er hat nicht trotzdem, sondern deswegen Stimmen gewonnen. So einfach das klingen mag, das ist Faschisierung. Verantwortlich für den Rechtsruck ist auch der Umstand, dass in ­einer Phase, in der linke Bewegungen und Debatten de facto kaum existent waren, eine Bewegung wie der M5S Themen der Linken – Ökologie, Prekarisierung, Partizipation – politisch ­besetzt und rekontextualisiert hat.