Die Zahl der Islamisten in Deutschland steigt

Zurück aus dem Jihad

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Insgesamt führt die deutsche Justiz zurzeit mehr als 1000 Ermittlungsverfahren gegen Rückkehrer, nicht nur wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern auch wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen. Dem Egmont-Institut zufolge wurden Rückkehrer in europäischen Ländern anfänglich nicht systematisch belangt, erst die Terror­anschläge in Brüssel im Mai 2014 und in Paris im November 2015 führten zu einem anderen Vorgehen europäischer Behörden.

Das trifft jedoch hauptsächlich auf männliche Rückkehrer zu. Frauen, die sich in Syrien und im Irak Terrorgruppen anschlossen und wieder in ihre europäischen Herkunftsländer zurückkehren, werden bislang nur selten von der Justiz beachtet. In Gefangenen­lagern und Haftanstalten in Syrien und dem Irak sitzen derzeit etliche Frauen ein, die auf ihre Rückreise nach Deutschland warten. »Spiegel-TV« interviewte kürzlich Merve Aydin aus Hamburg und Sandra Mayer aus München in einem Gefangenenlager in der Nähe der nordsyrischen Stadt Kamischli, in dem ­weitere 40 Deutsche leben. »Ich wünsche mir, dass ich so schnell wie ­möglich mit meinen Kindern nach Deutschland zurück kann«, sagte ­Mayer den Reportern. Sie wolle mit ­ihren Kindern »ein gutes und ruhiges Leben« führen. Ay­din beklagte sich bei den Journalisten über die Bedingungen in dem kurdischen Gefangenen­lager: »Ich kriege Depressionen. Ich kann diese Zelte nicht mehr sehen.« Sie wolle sofort in die Bundesrepublik ­zurückkehren. Die Zeit, die sie im Gebiet des IS verbrachte, beschreibt sie in dem Beitrag so: »Ich hatte meine vier Wände, mein Kind, meinen Mann. Ich war glücklich, und mich hat eigentlich auch nichts anderes interessiert.« Für Mayer begannen die schlechten Zeiten erst mit der militärischen Offensive gegen den IS: »Bis zu diesem Tag war es eigentlich auch schön.« Aydin ­betonte mehrfach: »Wir sind absolut nicht gefährlich.«

In einem Interview mit der Zeit wies der Psychologe und Autor Ahmad Mansour im vergangenen Jahr explizit darauf hin, es sei damit zu rechnen, dass Rückkehrer lügen, um »hier in Europa eine Strafminderung zu bekommen und sich eine Zukunft aufzubauen«. Die Behauptungen dieser Jihadisten müssten von der Justiz geprüft werden. Zudem plädierte Mansour »für extrem hohe Strafen, um eine Botschaft an alle Menschen zu senden, die mit der Idee spielen, auszureisen oder sich in Zukunft solchen Gruppierungen anzuschließen«.

Ende Mai lehnte der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) jedoch die Strafverfolgung einer Frau ab, die sich dem IS angeschlossen hatte. Sibel H. aus Offenbach hatte in Syrien mit einem IS-Kämpfer zusammengelebt und war im April nach Deutschland zurückgekehrt. Dem Gericht zufolge liegt kein ausreichender Grund für einen Haftbefehl vor, die Frau habe sich zwar am »Alltagsleben im Herrschaftsgebiet« des IS beteiligt, dadurch aber keine direkte Unterstützung geleistet und sei deshalb nicht automatisch zu einem Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung geworden. Der Generalbundesanwalt Peter Frank hatte hingegen argumentiert, dass Frauen, die einen Kämpfer geheiratet, Kinder bekommen und diese im Sinne des IS erzogen hatten, die Organisation »von innen heraus« gestärkt hätten.

Die Offenbacher Islamismusexpertin Sigrid Herrmann-Marschall hält die Entscheidung des BGH für »problematisch«. Ihrer Einschätzung zufolge ­wären im Fall des IS »Männern und Frauen Handlungen in gleicher Weise« zuzurechnen. Wegen des Artikels 3 des Grundgesetzes – »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich« – halte sie das Urteil für »eine nicht tragende Auslegung«, so Herrmann-Marschall im ­Gespräch mit der Jungle World. Um den Gleichheitsgrundsatz zu wahren, müssten die Behörden »gleichermaßen für Männer die Schwelle für eine strafbare Unterstützungshandlung« erhöhen. So könne das Urteil letztlich »auch bei männlichen Personen erheblich die Strafverfolgung« erschweren.