Die Linkspartei buhlt um verlorene Wählerstimmen

Eine Frage der Zielgruppe

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Dabei sind Sammlungsbewegung und »Projekt 15 Prozent« Ausdruck desselben Wunschs. Die Linkspartei will endlich Bedeutung gewinnen. Die Auseinandersetzung um den Weg dorthin ist strategischer und inhaltlicher Natur. Doch vor der Strategie müsste eigentlich die Analyse stehen.

Der Ökonom Thomas Piketty, der mit seinem Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« zu einem Popstar der europäischen Linken wurde, sagte in der ARD-Dokumentation »Ungleichland«: Bei starker Ungleichheit bestehe »die Gefahr, dass diese Entwicklung eine Art Groll der unteren Schichten, auch der Mittelschichten, gegen die Globalisierung nährt«. Damit einher gehe die Ablehnung von EU und Einwanderung. Zu einer Analyse der Wahlergebnisse der Linkspartei gehört die Erkenntnis, dass die Wählerschaft sich verändert hat. Einer im Februar veröffentlichten Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge ist die Linkspartei mittlerweile mit 31 Prozent am beliebtesten bei Menschen aus der »kritischen Bildungselite«. So nennen die Forscher urbane, global denkende – und zumeist junge – Linke aus der Mittelschicht. Bei der als »abgehängtes Prekariat« bezeichneten Gruppe ist die AfD mit 39 Prozent die beliebteste Partei. Die Linke schafft es in dieser Gruppe gerade mal auf neun Prozent. Beim abgehängten Prekariat handelt sich um die Schwächsten der Gesellschaft. Diese Menschen hätten das starke Bedürfnis nach einem umfassenden Sozialstaat, der absichert und versorgt; zugleich herrschte in dieser Gruppe eine ausgeprägt autoritäre Haltung, Chauvinismus nach außen und eine Ablehnung von Migration vor, so die Studie.

Wagenknecht ist seit Jahren dafür bekannt, einer restriktiveren Migrations- und Flüchtlingspolitik das Wort zu reden. Bei der vorigen Wahl hat das allerdings nicht messbar geholfen, die Prekären wählten lieber die AfD.

Wagenknecht will die ehemaligen Wählerinnen und Wähler der Linkspartei zurückgewinnen. Dabei geht es ihr ums Ganze: »Wenn wir die weniger Wohlhabenden nicht mehr erreichen, ist die Linke gescheitert«, sagte sie dem Berliner Tagesspiegel. Ihr französisches Vorbild Mélenchon setzt auf einen linksnationalistischen Kurs mit populitischen Elementen und ist da relativ erfolgreich. In einem nicht namentlich unterschriebenen Programmapier für die linke Sammlungsbewegung mit dem Titel »#fairland« heißt es über die »Flüchtlingskrise«: »Wir halten die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen umgegangen ist, für unehrlich und inakzeptabel.« Probleme der »ohnehin Benachteiligten« hätten sich dadurch verschärft, das gesellschaftliche Klima sei vergiftet worden. Was aus dieser Diagnose für eine Migrations- und Flüchtlingspolitik folgen soll, ist in dem Papier nicht ausgeführt.

An anderer Stelle heißt es lediglich, man wolle ein »Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien, bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition und Identität«. Neben den Fragen der Einwanderung und der nationalen Identität ist in dem Papier auch von »mehr Personal und bessere Ausstattung von Polizei und Justiz« die Rede.

Wagenknecht ist seit Jahren dafür bekannt, einer restriktiveren Migrations- und Flüchtlingspolitik das Wort zu reden. Bei der vorigen Wahl hat das allerdings nicht messbar geholfen, die Prekären wählten lieber die AfD. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Linkspartei gegenüber der vorigen Wahl 22 Prozentpunkte aus der Gruppe der Abgehängten verloren hat. Insgesamt macht diese Gruppe, zu der der Studie zufolge etwa fünf Prozent aller Wahlberechtigten zählen, zwar nur eine Minderheit der AfD-Wählerschaft aus, es ist aber genau jener Teil, den die Linkspartei mutmaßlich an die AfD verloren hat.

In seinem Bestseller »Rückkehr nach Reims« schrieb der französische Soziologe Didier Eribon, die politische Linke habe aufgrund eigener Fehler verloren. Die reale Ausbeutung sei zusammen mit dem Begriff der Klasse aus dem Vokabular der Linken verschwunden. Eribon unterstützt Mélenchon, doch dessen »nationale Sym­bolik« nennt er einen Riesenfehler. Anfang Juni warnte Eribon in einem Interview im österreichischen Standard: »Wenn man das Vokabular des Feindes teilt, dann bekämpft man ihn nicht länger, sondern stärkt ihn sogar noch.«

Kipping steht im Gegensatz zu Wagenknecht für eine eher internationalistische Politik und offene Grenzen. Im Leitantrag des Parteitags findet sich ein Bekenntnis zur »solidarischen Einwanderungsgesellschaft«. Eine Antwort darauf, wie man die Abgehängten wieder einsammeln könne, gibt es in dem Papier allerdings auch nicht. Die Linkspartei scheint keine gemeinsame Antwort darauf zu haben. Solange es die nicht gibt, ist sie zur Stagnation verdammt – im besten Fall. Eine Option für einen Politikwechsel gibt es in dieser Konstellation jedenfalls nicht.