Die Identitäre Bewegung in Österreich hat Probleme

Gerichtstermin für Identitäre

Hausdurchsuchungen, Klagen, Sperren in den sozialen Medien – die österreichische Identitäre Bewegung steckt in einer Krise.

Der Mai 2018 dürfte den Funktionären der Identitären Bewegung (IB) wohl länger in schlechter Erinnerung bleiben. Nach Hausdurchsuchungen bei mehreren Mitgliedern der rechtsextremen Organisation und in von ihnen genutzten Räumlichkeiten erhob die Staatsanwaltschaft in Graz gleich mehrfach Anklage. Einerseits geht es um Delikte nach dem Finanzstrafgesetz; so soll der von den Österreichern Patrick Lenart und Martin Sellner betriebene Versandhandel »Phalanx Europe« Erlöse nicht ordnungsgemäß versteuert und Einnahmen aus dem Verkauf von Merchandise an andere Ortsgruppen der IB in Österreich transferiert haben. Wegen dieser Vorwürfe fanden An­gaben der Wiener Zeitung zufolge die Durchsuchungen statt, die Zeitung ­beruft sich auf Informationen der Staatsanwaltschaft. Sollte es hierbei zu einer Verurteilung kommen, müssten die Beschuldigten unter anderem mit erheblichen Strafen und Steuernachzahlungen rechnen.

Noch schwerer wiegt die zweite Anklage, die ganze 17 Personen und damit wohl die gesamte Führungsriege der österreichischen IB betrifft: Ihnen werden die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Verhetzung, Sachbeschädigung und Nötigung vorgeworfen. Der Prozess soll bereits im Juli beginnen und dem zuständigen Gericht in Graz zufolge auch noch in diesem Jahr mit einem Urteil enden.
Der von Staatsanwalt Christian Kroschl bemühte Paragraph 278a des Strafgesetzbuchs, der die Bildung krimineller Organisationen behandelt, ist in Österreich äußerst umstritten. So wurde er im Jahr 2007 bemüht, um umfangreiche Ermittlungen und anschließende Prozesse gegen Tierschützer zu ermöglichen. Erst 2014 endeten diese Verfahren mit Freisprüchen für alle Beteiligten – und dem finanziellen Ruin für viele Angeklagte. Einen auf diesen Paragraphen gestützten Prozess noch in diesem Jahr zu Ende führen zu wollen, klingt da sehr gewagt.

Doch nicht nur auf juristischem Gebiet läuft es für die österreichischen Identitären schlecht. So sperrten Facebook und Instagram ebenfalls im Mai diverse Accounts führender identitärer Gruppen und Einzelpersonen. Obwohl die Funktionäre offenbar schon länger mit diesem Schritt gerechnet und sich seit Monaten auf andere Kommunikationskanäle wie E-Mailverteiler, Blogs sowie Netzwerke wie VK und Twitter konzentriert hatten, schränkt dieser Schritt die Reichweite der Gruppen und Personen erheblich ein. Versuche der IB, gänzlich unabhängige Kommunikationsplattformen wie beispielsweise das App-Projekt »Patriot Peer« zu schaffen, stecken nach Jahren immer noch in der Testphase, neuere Vorhaben wie die von den Identitären gegründete Online-Zeitung Tagesstimme werden wegen der unbeholfenen Verwirklichung bislang ausschließlich in rechtsextremen Kreisen beachtet.

All das wirkt sich bereits auf die ­öffentliche Inszenierung der Organisation aus: Die jüngsten Auftritte der IB wurden außerhalb ihrer eigenen Filterblase kaum wahrgenommen. So ging eine Störung des Stücks »Gala Global« im Deutschen Theater in Berlin sang- und klanglos unter. Auch die von deutschen Identitären gegründete »Alternative Help Association«, die angeblich Hilfsleistungen in Krisen­gebiete bringt, findet selbst nach Monaten kaum Beachtung und das, obwohl sich hierfür anscheinend eigens zwei Kader in den Libanon begaben, um dort Videos von ihrer »Hilfsmission« zu drehen.

Die schlechte Lage der österreichischen Identitären sollte jedoch nicht davon ablenken, dass gerade der in ­Österreich anstehende Prozess wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein fundamentales Problem im Umgang mit organisierten Formen der extremen Rechten jenseits der FPÖ und deren Vorfeldorganisationen zeigt. Juristische Verfolgung und Verbote erscheinen in dem Land vielfach als erste, letzte und auch einzige Lösung. Im Fall der IB dürfte das ­jedoch zu Schwierigkeiten führen.

So ist es zum einen nach bisherigem ­Erkenntnisstand fraglich, ob das von der Staatsanwaltschaft gesammelte Material genügt, um eine Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu rechtfertigen. Zum anderen – und dieser Aspekt wiegt viel schwerer – verkennt die Anklage das Wesen solcher Organisationen wie der Identitären in Österreich. Es gibt zwar Gruppen wie den Wiener Ableger, der klandestin vorging, um die eigene Propaganda möglichst aggressiv zu verbreiten. Die IB feiert aber besonders in ländlichen Regionen beachtliche Erfolge, wo sie nicht die völkisch-militante Avantgarde bildet; vielmehr gelang es ihr dort, an bereits vorherrschende Ideologien anzuknüpfen und sich als eine Art offensivere Landjugend zu etablieren. So eint die Gruppen in der Steiermark eher ihre Liebe zu Kernöl und völkischen Traditionen als der Wille, immer größere und gewagtere öffentliche Auftritte auf die Beine zu stellen.

Dieser Entwicklung von staatlicher Seite aus allein mit Verboten beikommen zu wollen, ist im besten Fall blauäugig, im schlimmsten Kalkül. So ist Österreich im Unterschied zu Ländern wie Deutschland in der Demokratie­förderung und politischen Bildung schlechter aufgestellt denn je. Gerade im ländlichen Raum macht sich das ­bemerkbar. Die Zahl der Organisationen, die sich gezielt der Arbeit gegen die ­extreme Rechte widmen, bewegt sich in ganz Österreich im einstelligen ­Bereich.

Hinzu kommt, dass die österreichische Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ und die jeweiligen Landesregierungen kein Interesse daran haben, den Status quo zu ändern. Vielmehr – davon zeugt zumindest das Vorgehen der Grazer Staatsanwaltschaft – wird lediglich der Versuch unternommen, der Hydra zumindest kurzzeitig einen Kopf abzuschlagen.

Das Interesse an einem nicht nur juristischen Vorgehen gegen die IB ist auch in anderen Bereichen gering. So diskutierten namhafte Journalisten nach den Hausdurchsuchungen in völliger Verkennung des faschistischen Charakters der Identitären darüber, ob es gerechtfertigt sei, diese überhaupt als »rechtsextrem« zu klassifizieren, oder ob es sich bei der IB nicht doch eher um eine NGO wie Greenpeace handele. Repression und Verbote werden an diesem gesamtgesellschaftlichen Problem nichts ändern. Und überhaupt sollten sich diejenigen, die lediglich mit Verboten gegen die Identitären vorgehen wollen, ins Gedächtnis ­rufen, wie sie IB entstanden ist: Mit der Gründung der Bewegung und dem Verzicht auf herkömmliche Nazi­symbolik wollten die Protagonisten gerade ein Verbot nach dem österrei­chischen Wiederbetätigungsgesetz um­gehen.