Graffiti und Gang-Gewalt im Viertel »Comuna 13« von Medellín

Schöner leben mit Graffiti

Seite 2 – Dem Terror entfliehen

»Die Operación Orión war so etwas wie der Wendepunkt in der Geschichte der Comuna 13«, sagt Ciro. »Vorher erlebten wir eine Phase der Gewalt im Machtkampf der verschiedenen Guerillas, danach paramilitärischen Terror mit ­Unterstützung des Staats.« Die Bevölkerung konnte dem Staat nicht mehr trauen und die Einwohner der Comuna 13 beschlossen daher, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. »Wir sind keine Opfer mehr«, sagt Ciro, »sondern Überlebende.«

In den Jahren nach der Operación Orión entstanden immer mehr Initiativen im Viertel, um dem Terror mit Kunst zu begegnen. Musik, Theater und Graffiti eroberten die Comuna 13. In Kolumbien wurden zu der Zeit auch einige paramilitärischen Gruppen ­demobilisiert. Das erfolgte im Rahmen des Friedensprozesses zwischen dem paramilitärischen Dachverband Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) und dem damaligen Präsidenten Uribe. Allerdings war dieser Prozess nicht nur positiv, denn viele ehemaligen Kämpfer schlossen sich kriminellen Banden an. Bis heute sind einige von ­ihnen auch in der Comuna 13 aktiv, auch wenn sie nicht mehr die Kontrolle von einst ausüben.

»Ein ›mural‹ bringt Kunst zu Menschen, denen der Zugang etwa zu Museen sonst verwehrt ist – allein schon, weil sie selten ihre Viertel verlassen.« Joan Mateo Ariza, Sprayer

»Wir arbeiten seit über 15 Jahren im Viertel«, sagt Ciro. Gemeinsam mit anderen Organisationen veranstaltet das Kollektiv HipHop-Projekte, vor ­allem zu Rap und Graffiti, mit den Jugendlichen aus dem Viertel. 2014 entstand die Casa Kolacho, benannt nach dem Spitznamen des 2009 in der ­Comuna 13 ermordeten Sängers und Gemeindeführers Héctor Pacheco. »Wir wollten den Prozess, den Kolacho angestoßen hat, fortführen und brauchten dafür einen festen Ort«, sagt Ciro. Die Workshops und Kunstpro­jekte im Viertel finanzieren sich durch den Graffiti-Laden und seit einigen Jahren hauptsächlich durch die Einnahmen der Graffiti-Tour. Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sind im Viertel aktiv.

 

HipHop leben

»Wir machen keinen HipHop, wir sind HipHop«, sagt Jeison Castaño, alias Jeihhco, der die Casa Kolacho einst gründete. Er meint damit HipHop als soziale Bewegung, eine Art, zu leben und zu denken. Kunst ist hier nicht nur das Ziel, sondern auch das Mittel für eine so­ziale Umwälzung – die genauso selbst­gemacht und improvisiert ist wie die Häuser in der Comuna 13. Für Rap braucht man nicht viel mehr als die Stimme, für Graffiti nicht viel mehr als ein bisschen Farbe und eine Wand.

Auch die Graffiti-Tour soll nicht nur die unzähligen Bilder, die viele Häuserwände im Viertel zieren, zeigen. »Für uns stehen die Menschen in der 13 im Vordergrund, ihre Träume, ihr Widerstand, aber auch ihre Liebe zur Kunst«, sagt Ciro. »Die Comuna 13, die in den Neunzigern als ›No-go-Area‹ bekannt wurde, ist heute ein international anerkanntes Beispiel für eine basisdemokratische Transformation: Weil die Menschen es durch ihre eigene Kraft, weitestgehend ohne staatliche Unterstützung, geschafft haben, das Viertel voranzubringen.« Damit wird es auch zum Laboratorium für den Friedensprozess in ­Kolumbien. Das Viertel führt seinen Besuchern ein farbenfrohes, kreatives und aktivistisches Kolumbien vor Augen, ein Land, das bis vor wenigen Jahren nicht Modell für basisdemokratische Stadtentwicklung, sondern für einen gescheiterten Staat war.

»Wenn die Menschen früher ihre Fenster öffneten, blickten sie auf Drohungen und Bandenmarkierungen«, sagt Ciro. »Heute öffnen sie die Fenster und schauen auf Blumen und Farben.« Dabei seien viele Bewohner des Viertels zunächst skeptisch gewesen: Hip­Hop, Rap und Graffiti waren auch in Kolumbien lange stigmatisiert, ­galten als Ausdrucksformen krimineller Vandalen. »Daher hatten viele ­Menschen zunächst vor allem Angst, als die ersten Wandbilder im Viertel auftauchten«, sagt Ciro. »Sie dachten, das wären die Zeichen einer neuen ­bewaffneten Gruppe.« Doch nach und nach füllten die Bilder das Viertel mit Leben, gaben ihm ein neues Gesicht. »Da begann dann eine soziale Ver­änderung: Die Leute sehen positive Dinge in den Straßen, sogar in Ecken, die sie bislang gemieden haben«, sagt Ciro.

»Kunst ist eine Art menschliches Grundbedürfnis«, meint Joan Mateo Ariza, alias Jomag. »Gerade angesichts der Gewalt wird die Kunst zu einer Art Gegengewicht, aber auch zu einer Alternative«, sagt der Sprayer, der selbst häufig Graffiti-Seminare im Viertel gibt. »Ein mural bringt Kunst zu Menschen, denen der Zugang etwa zu Museen sonst verwehrt ist – allein schon, weil sie selten ihre Viertel verlassen.« Außerdem könne ein mural alles thematisieren, alles fragen: »Die Wandbilder konfrontieren die Menschen mit anderen ­Realitäten und bringen sie im Idealfall zum Nachdenken, zum Umdenken.« So werden die murales auch zu einer Art inoffiziellem Nachrichtenkanal, die Wände fangen an zu sprechen. »Es eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, auf Missstände öffentlich hinzuweisen – und für die eigenen Rechte zu kämpfen«, so Ariza. Wo zuvor die Mitglieder der Gangs das höchste Ansehen hatten, auf Anerkennung durch Angst setzten, bieten die Workshops nun die Möglichkeit, Anerkennung durch künstlerisches Können zu finden.

»Es ist ein Unterschied, ob die Kinder die Tür öffnen und auf Krieg schauen oder auf Kunst«, sagt Ciro. Das Leben im Viertel verändere sich – nicht zuletzt durch den Kontakt mit den Touristen. Dass die Menschen nun hoch in die ­Comuna 13 kämen und selbst der Regen sie nicht abschrecke, mache einen als Bewohner stolz, bekräftigt die Anwohnerin Ana Lucia.

»Die Bewohner der Comuna 13 haben ein sehr starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Viertel«, sagt Ciro. »Weil sie mit es mit ihren eigenen Händen, ihrem eigenen Schweiß zu dem gemacht haben, was es heute ist. Graffiti sind wie das i-Tüpfelchen, sie geben der 13 Freude und Farben.« Medellín sei ­immer noch keine Stadt in Frieden, sagt Castaño, aber eine, in der jeden Tag ein bisschen deutlicher werde, wie viel jeder einzelne ändern könne – und wie viel Potential in der friedvollen Umwälzung durch Kunst stecke.