Antimilitarismus statt Kriegsdienst

Die Waffen nieder!

Die Linke braucht nicht mehr militärische, sondern mehr antimilitaristische Kompetenz. Eine Antwort auf Lena Rackwitz’ Aufruf »Zu den Waffen, Genossen«, der vergangene Woche in dieser Zeitung erschien.

In ihrem Artikel »Zu den Waffen, Genossen« fordert Lena Rackwitz eine »Volksbewaffnung« und die »Wiedereinführung der Wehrpflicht«. Freuen dürften sich darüber Waffenhändler, die Rüstungsindustrie, Kriegsstrategen und die einzige im Bundestag vertretenen Partei, die offiziell und vehement die »Wiedereinführung der Wehrpflicht« auf ihre blauen Fahnen geschmiert hat, die AfD.

Rackwitz möchte, dass in Deutschland wieder Zigtausende junger Menschen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.
Zunächst etwas zur Klärung. »Wehrpflicht« und »Wehrdienst« sind militaristische Propagandabegriffe, die kaschieren sollen, dass es sich um Kriegsdienst handelt. Oder glaubt jemand, dass es bei den neoimperialis­tischen Kriegen, an denen sich die Bundeswehr seit dem Nato-Angriffskrieg gegen die damalige Bundesrepublik ­Jugoslawien 1999 beteiligt, um »Verteidigung« geht?

Wenn die Faschisierung der Armee beendet werden soll, sollte man dem Beispiel Costa Ricas folgen und die Armee endlich abschaffen.

Die »Wehrpflicht« wurde nicht, wie von Rackwitz behauptet, abgeschafft, sondern seit 2011 lediglich ausgesetzt. Dass es dazu kam, ist erfreulich für Menschenrechtler, für die jeder Zwangsdienst ein Angriff auf die Würde des Menschen ist. In der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2012 sind bei den zuständigen Behörden insgesamt 1 179 691 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eingegangen. Davon waren 31 985 Anträge von Sol­datinnen und Soldaten, denn das Recht auf Kriegsdienstverweigerung besteht auch für Menschen, die bereits bei der Armee sind. Der Kriegsdienst ist also unpopulär. Gut so.

Trotz der vielen Millionen Euro, die das »Verteidigungs­ministerium« in Bundeswehr-Werbekampagnen steckt, möchte kaum ­jemand das Mordhandwerk bei der Bundeswehr lernen, um anschließend im Sinne deutscher Kapitalinteressen in vielen Ländern der Welt auf Befehl zu morden, und selbst verstümmelt oder getötet zu werden.

Skrupellos wird in Schulen, Zeitungen, sozialen Netzwerken, bei Spielemessen und Stadtfesten Werbung für den Militärdienst bei der Bundeswehr gemacht. Dabei wird von den Werbern der Kriegsdienst als Abenteuerspiel verklärt. ­Offensichtlich fruchtet die Werbung vor allem bei jungen, noch unerfah­renen Menschen. Seit 2011 hat sich die Zahl der Minderjährigen bei der Bundeswehr verdreifacht. Mehr Kinder­soldaten als heute gab es in Deutschland wahrscheinlich zuletzt in den ­Tagen des sogenannten Volkssturms am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Spiegel berichtete am 9. Januar von ­einem Anstieg von 689 Minderjährigen im Jahr 2011 auf den bisherigen Rekordwert von 1 907 im Jahr 2016, der nun mit einem Wert von 2 128 über­troffen wurde.

Rackwitz behauptet: »Seit der ­Abschaffung der Wehrpflicht steigt die Zahl der Nationalrevolutionäre, ­Nationalkonservativen und Islamisten in der Bundeswehr.« Tatsächlich ­wurde die Bundeswehr mehr als zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unter dem Namen »Neue Wehrmacht« von ehemaligen Nazioffizieren gegründet. Sie war von Anfang an ein patriarchalischer Männerbund und Tummelplatz für Nazis und andere Leute mit menschenfeindlichen ­Ansichten. Wer den Militarismus als eine der wichtigen Quellen des Faschismus ausblendet, betreibt Geschichtsklitterung. So wie Rackwitz, wenn sie behauptet: »Um eine Faschisierung der Armee zu verhindern, bedarf es einer radikalen wehrpolitischen Wende in der Linken.«

Rackwitz blendet aus, dass das Militär eine Sozialisationsinstanz ist, die Militaristen aller Couleur als »Schule der Nation« gilt. »Der Mensch« ist nach Marx ein »Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse«. Das heißt, das Militär zieht nicht nur Rechte an, sondern es macht aus unpolitischen Menschen Soldaten, denen die Notwendigkeit einer Hierarchie, der Reiz von Uniformen, die Nation als entscheidende politische Einheit nicht hinterfragbar ist. Wenn die Faschisierung der Armee beendet werden soll, sollte man dem Beispiel Costa Ricas folgen und die Armee endlich abschaffen.

 

»Viele Linke wissen heute nicht mehr, dass die Forderung nach einer allgemeinen Wehrpflicht beziehungsweise einer ›Volks­bewaffnung‹ im 19. und 20. Jahrhundert eine linke Kernposition war«, schreibt Rackwitz. Sie fordert, dass die Linke ihre ablehnende Haltung gegen die Bundeswehr über­denken soll. Die »alte Forderung nach einer ›Volks­bewaffnung‹« solle »aufgegriffen« werden und ihr durch die »Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht Nachdruck« verliehen werden. Dies sei auch »im Hinblick auf eine Stärkung der militärischen Kompetenz der Linken« sinnvoll.

Dass Kriegsdienstpflichtige in der Bundeswehr militärische Kompetenz und analytische Fähigkeiten zur Lösung bewaffneter Konflikte erwerben können, darf getrost bezweifelt werden. Die Studien der Friedensforschungsinstitute belegen hinlänglich, dass es gerade der nicht bewaffnete Widerstand aus der Bevölkerung ist, der zu langfristigen friedlichen Lösungen von kriegerischen Konflikten führen kann.

Zu wünschen wäre statt der Vorschläge von Rackwitz eine Stärkung der antimilitaristischen Kompetenz und die Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aller Kriegsparteien. Offensichtlich haben militaristisch denkende Menschen noch nichts aus der Geschichte gelernt. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass den deutschen Offizieren zu Beginn des Ersten Weltkriegs vom Geheimdienst sogenannte Anarchistenlisten übergeben wurden, damit sie die zum militärischen Zwangsdienst herangezogenen linksradikalen Soldaten als Kanonenfutter in die ersten Reihen schicken konnten.

Für Kurt Tucholsky und andere Antimilitarist­innen und Antimilitaristen war die Dominanz des Militärischen eine Ursache für den deutschen Untertanengeist, der emanzipatorische Entwicklungen behinderte. Nach Ende des Ersten ­Weltkriegs machten Antimilitaristinnen und Antimilitaristen den preußischen Militarismus auch für die katastrophalen Zustände an der Front verantwortlich.

Tucholsky schrieb: »Worauf es uns ankommt, ist dies: den Deutschen, ­unsern Landsleuten, den Knechtsgeist auszutreiben.«
Selbstverständlich gab es in der Geschichte der etatistischen Linken ­unzählige Militaristen. Auch das liegt in der Natur der Sache. Wer keine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, sondern die Diktatur einer Partei anstrebt, braucht den Militarismus, um seine Ziele durchzusetzen. Ähnlich wie heute Rackwitz empfahlen in den 1970ern die K-Gruppen ihren Jüngern, zum olivgrünen Bund zu gehen, um sich fit zu machen für den bevorstehenden »Klassenkampf mit der Waffe«.

Heute sollte klar sein, dass der Marsch durch die militärischen Institutionen auch aus Linken Befehlsempfänger, aber keine Revolutionäre macht. Zur Revolution haben die Aufrufe der K-Gruppen nicht geführt, und dazu wird auch Lena Rackwitz’ Aufruf nicht führen. Ihr Revolutionsverständnis ist nicht ­emanzipatorisch, sondern eine ­grau­same ­Gewaltphantasie vom bewaffneten Aufstand. Dieser steht hier­zulande nicht auf dem Programm. Und das ist gut so.

Man sollte lieber Sand in den Tank des Militarismus streuen, alle Soldatinnen und Soldaten zur Desertion auf­rufen, Gelöbnixe organisieren, ein Ende aller Waffenexporte sowie die Abschaffung aller Armeen fordern und es ansonsten mit Albert Einstein halten. Der wusste bereits vor 80 Jahren: »Heldentum auf Kommando, sinnlose ­Gewalttat und die leidige Vaterländerei – wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg; ich möchte mich lieber in Stücke ­schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen!«


Statt »Zu den Waffen, Genossen« ist heute Bertha von Suttners Ruf aktueller denn je: »Die Waffen nieder!«

 

Der ist Autor ist Redakteur der Zeitschrift Graswurzelrevolution