Der Konflikt zwischen den Unionsparteien ist nur vertagt. Noch ist Horst Seehofers letzte Patrone nicht verschossen

Furor bavaricus

Horst Seehofers eskalierendes Dominanzgebaren gegenüber Bundes­kanzlerin Angela Merkel ist nicht weniger als ein rechter Griff nach der Macht. Der Ausgang ist offen.

»Die Lage ist ernst, aber bewältigbar«, schrieb Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Wochenende in ­einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Er hat in ­beiden Punkten Recht. Denn wenn ein knapp 70jähriger selbstverliebter Reaktionär ungestraft die Regierung destabilisieren kann, der er selbst angehört, dann ist die Lage zweifellos ernst. Bewältigen ließe sie sich freilich auch – mit seiner Entlassung. Zwar würde dies das Ende der Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU und den Verlust der Regierungsmehrheit für Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bedeuten. Aber gäbe die Kanzlerin nach, stünde nicht weniger auf dem Spiel als der ohnehin schwindende Zusammenhalt der Europäischen Union.

Diese Erkenntnis ist auch zur SPD durchgedrungen. Nachdem die sich ­tagelang tot gestellt hatte, wurde am Montagmittag die europäische Fahne auf dem Willy-Brandt-Haus gehisst – ein für sozialdemokratische Verhältnisse erstaunlich klares und passendes Zeichen. Hat Seehofer doch zuletzt deutlich signalisiert, dass er die EU nur zu gerne in einen Männerbund chauvinistischer Autokraten transformieren möchte.

In den markigen Worten des Innenministers schwingen alle sattsam bekannten Motive des weltweiten nationalistischen Rollbacks mit: Provinzialität gegen Weltoffenheit, Rassismus gegen Humanismus, Autokratie gegen Demokratie, Repression ­gegen Freiheit, Ressentiment gegen Argument und Patriarchat gegen Emanzipation.

Bereits als Ministerpräsident Bayerns machte er keinen Hehl aus seiner ­Bewunderung für Wladimir Putin und Viktor Orbán und erklärte 2011 seine ­Bereitschaft, sich »bis zur letzten Patrone« gegen »Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme« zu wehren. Als Bundesinnenminister versuchte er kürzlich sogar, mit der rechten Regierung in Italien und der Koalition aus konservativer ÖVP und völkischer FPÖ in Österreich ein Bündnis gegen Flüchtlinge zu initiieren. Seehofers Partner, der österreichische Bundeskanzler ­Sebastian Kurz (ÖVP), nannte es eine »Achse der Willigen zwischen Rom – Berlin – Wien«.

So mancher Kommentator fühlte sich da unangenehm an die Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs erinnert. Wozu genau diese »Achse« willig ist, blieb unklar. Seehofers neuer Plan, bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge (was aufgrund der geographischen Lage Deutschlands so ziemlich alle wären) an den Grenze zurückzuweisen, dürfte den Partnern jedenfalls kaum schmecken.

Mit Seehofers Aufbegehren gegen Merkel hat das weltweite nationalistische Rollback nun auch in Deutschland die Regierung erreicht, wenngleich die Entscheidung zunächst vertagt wurde. In den markigen Worten des Innenministers schwingen alle sattsam bekannten Motive dieses Rollbacks mit: Provinzialität gegen Weltoffenheit, Rassismus gegen Humanismus, Autokratie gegen Demokratie, Repression ­gegen Freiheit, Ressentiment gegen Argument und Patriarchat gegen Emanzipation.

»Ich kann mit dieser Frau nicht mehr arbeiten«, soll Seehofer der Welt am Sonntag zufolge in einer internen Sitzung mehrfach gesagt haben. Die Wahrheit ist, er konnte noch nie mit dieser Frau, mit Frauen überhaupt und schon gar nicht unter einer Frau arbeiten. Schon als er für sein Ministe­rium ausschließlich männliche Staatssekretäre berief, war das kein dummer PR-Fehler, sondern ein bewusst gesetztes Zeichen. Und der am Sonntag ­lancierte Satz »Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen« erinnerte deutlich an Walter Ulbrichts »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten«.