Kritische Astrologie: Die Reform und ihre Macht über unser Leben

Diktaturen, die begeistern

Kolumne Von

Eine große Schwierigkeit moderner Prophetie ist die Langzeitprognose. Gleich, ob Wetterforschung, Tarot oder Eingeweidelektüre: Je tiefer man in die Zukunft hineinschaut, umso dunkler und klebriger wird ­alles; die Vorhersagen werden immer allgemeiner, bis sie schließlich rein gar nichts mehr auszusagen vermögen.

Glorreiche Ausnahme in diesem Bereich ist die Kunst der Reformvor­hersage im arabischen Raum. Dieses uralte journalistische Weissagungsverfahren ist seit vielen Jahrzehnten einstudiert und führt mittlerweile zu hochpräzisen Aussagen. Die dahinterliegende Metaphysik ist sehr kompliziert, die Technik aber recht einfach: Wann immer in Saudi-­Arabien, Iran oder einem anderen Ungustl-Staat etwas gelinde besser wird, müssen deutsche Journalisten sofort Hurra schreien und einen »Reformer«, gar einen »Modernisierer« hinter der Lockerung vermuten. Da kann der Reformer ein Henker und Schlächter noch und nöcher und die Reform ein Feigenblatt von einem halben Quadratzentimeter Größe sein: Die ewige Liebe der Korrespondenten ist ihm gewiss; sie wittern ­sogleich eine »Aufbruchstimmung«, die zwar im betroffenen Land noch nicht recht gespürt wird, deutschen Journalisten jedoch vor Erregung die Schnurrhaare erzittern lässt.

Die neuerliche Ankündigung, dass Frauen in Saudi-Arabien nun eventuell Auto fahren dürfen – vorausgesetzt, das Auto wurde von keinem unverwandten Mann gebaut, berührt oder unsittlich angesehen –, hat in den vergangenen Wochen entsprechend wieder zu tosendem Jubel in deutschen Redaktionsstuben geführt, ein Jubel, der immer stellvertretend für den der Exportindustrie ­verstanden werden muss, die sich selbst indes eher diskreter freut und beim Panzerverhökern eigentlich auch keine Cheerleader dabei­haben möchte. Nützt ihnen nix: Gegen das tiefsitzende Bedürfnis nach Diktatorenapologie kommt auch kein BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) an. Wenn man in Deutschland schon keinen Diktator mehr hat, dann kann man wenigstens fürs Ausland jubeln.