Der Stadtentwicklungsplan »Skopje 2014« hat die mazedonische Hauptstadt monumental verkitscht

Monumente, die keiner braucht

Seite 2 – Internationaler Wiederaufbau

»Es gibt in Mazedonien eine weitverbreitete Tendenz, die Geschichte ­geringzuschätzen«, sagt die Architekturstudentin Natali Veleska, die vom Stadt­umbauprojekt wie viele ihrer Fachkolleginnen und -kollegen empört ist. »In jeder historischen Periode wurde das Vorherige verdrängt, obwohl das multiethnische Skopje eine Stadt der Brüche und des permanenten Wandels ist.« Im Zuge von Modernisierung und urbaner Umgestaltung erfuhren die osmanischen Siedlungsteile an der -5Wende zum 20.

Jahrhundert eine ­Erweiterung nach Süden. Der Zusammenbruch des Osmanischen Reichs 1922 schlug sich kurz darauf in einer Aufnahme europäischer Gestaltungskonzepte und einer »Entosmanisierung« nieder. Als ein verheerendes Erdbeben diesen südlichen Teil 1963 fast vollständig zerstörte, gab es Überlegungen, die Stadt aufzugeben. Schließlich entschied man sich für einen ambitionierten Wiederaufbau unter Schirmherrschaft der UN und Beteiligung von über 80 Ländern, den das blockfreie ­Jugoslawien zur Demonstration internationaler Solidarität nutzte. Als Grundlage diente ein Masterplan von Kenzo Tange, der die offene Ausschreibung gewonnen hatte und eine am japanischen Metabolismus orientierte Neustrukturierung der städtischen Achsen vorschlug.

»Der Wiederaufbau von Skopje war einer der größten Momente der Internationalisierung der Architektur im Kalten Krieg.« Vladimir Kulić, Kurator

Die ehemalige Provinzstadt verwandelte sich innerhalb weniger Jahre in eine riesige Baustelle, in der die renommiertesten internationalen Architekten mit neuen stadtplanerischen und ästhetischen Paradigmen experimentierten und eine Formensprache entwickelten, die die internationale Moderne mit folkloristischen Elementen verband. »Die großflächige Sichtbarkeit der Baumaterialien im Stile des zeitgenössischen Brutalismus sollte Transparenz und Stabilität unterstreichen und entsprach dem jugoslawischen Aufbaugeist der prosperierenden sechziger Jahre. Im Zeitraum von nur sechs Jahren entstanden über 150 neue Gebäude, von denen viele nationale und internationale Architekturpreise gewonnen haben«, erklärt Veleska mit Blick auf die weiße Kristallkonstruktion der Oper im Zentrum der Stadt.

»Der Wiederaufbau von Skopje war einer der größten Momente der Internationalisierung der Architektur im Kalten Krieg.« Vladimir Kulić, Kurator

Von der herausragenden Qualität der jugoslawischen Architektur ist auch das New Yorker Museum of Modern Art überzeugt, das ihr unter dem Titel »Toward a Concrete Utopia« ab Juli eine Ausstellung widmet. »Der Wiederaufbau von Skopje war einer der größten Momente der Internationalisierung der Architektur im Kalten Krieg«, meint Co-Kurator Vladimir Kulić.

Tatsächlich wurden wegen der Wirtschaftskrise der achtziger Jahre aber nur wenige Elemente des Masterplans realisiert, bevor Skopje für zwei Dekaden in einem Zustand der Agonie versank. Den Charakter des Unfertigen hat die Stadt seither nicht ablegen können. Die VMRO unter ihrem Ministerpräsidenten Nikola Gruevski hielt das moderne Skopje daher für ein natio­nales Trauma und ließ den offiziellen Stadtentwicklungsplan nach ihrem ­Regierungsantritt 2006 mehrfach grundlegend überarbeiten. Als eine der ersten Maßnahmen erhielt das denkmalgeschützte Parlamentsgebäude von 1938 einen gläsernen Kuppelaufbau, damit es dem deutschen Reichstagsgebäude ähnelt. In den folgenden Jahren projektierten unbekannte Architektinnen und Architekten im Auftrag der Regierung unzählige weitere Objekte im Stadtzentrum, ohne dass es eine vorherige Ausschreibung gegeben hätte. Ihre weitreichenden Ideen für einen erneuten Stadtumbau wurden erst 2010 in einem Internetvideo präsentiert, als bereits Verträge mit Bauunternehmen abgeschlossen waren.

 

Hauptstadt des Kitschs

Als der Sozialanthropologe Goran Janev das Ankündigungsvideo zu »Skopje 2014« sah, hielt er es zunächst für einen üblen Scherz: »Wir haben damals so herzhaft gelacht. Das war zu wahnsinnig, um ernst genommen zu werden.« Im Video wurden 40 neue Objekte präsentiert, darunter zahlreiche Statuen, Regierungsgebäude, Museen, Hotels sowie eine orthodoxe Kirche, ein Theater und ein großer Triumphbogen. Mittlerweile ist die Zahl der tatsächlich gebauten Objekte auf 137 gestiegen und die Projektkosten haben sich von 80 Milli­onen Euro auf knapp 700 Millionen erhöht. Das ist fast ein Viertel des Staatshaushalts des kleinen Landes. Über 70 Monumente und Statuen neuer Nationalhelden markierten eine erinnerungspolitische Wende und sollten der Bevölkerung die »Tiefe der mazedonischen Geschichte« und den jahrhundertelangen nationalen Freiheitskampf vermitteln. Die albanische Minderheit, die knapp ein Drittel der Bevölkerung Mazedoniens stellt, wurde in der neuen Geschichtsschreibung völlig ignoriert.

Im Zentrum des Projekts stand die 22 Meter hohe Reiterstatue von Alexander dem Großen, die offiziell »Krieger auf Pferd« genannt wird und eine große Symbolkraft besitzt. Mit erhobenem Schwert springt der Krieger in Richtung des albanischen Stadtteils, wo sein ­Vater Philipp II. mit erhobener Faust thront. Zur Eröffnung bezeichnete sie der damalige Außenminister Antonio Milošoski als »unsere Art, den Griechen zu sagen, dass sie uns am  Arsch lecken können«.

Partisanendenkmäler und andere Objekte der jugoslawischen Zeit sollten durch »Skopje 2014« ihre prominente Stellung verlieren und wurden umgesetzt oder verbaut. Am geschützten Ufer der Vardar verdeckt nun eine neue Reihe an Gebäuden die preisgekrönte Oper und die dahinterliegenden Minarette der osmanischen Altstadt. Neben Neubauten ist auch die Rekonstruktion bestehender Gebäude im Projekt vorgesehen. Damit die Stadt auf Touristen »europäischer« wirkt, wurden etwa 100 bestehende Glas- und Betonfassaden mit barocken und neoklassizistischen Fassadenelementen aus billigem Gips überformt, die Baugesetzgebung mehrfach angepasst und das Urheberrecht der Architekten ignoriert. Im Zuge der Bauarbeiten hat man die Hälfte der öffentlichen Grünflächen im Zentrum versiegelt, obwohl Skopje weltweit zu den Städten mit der stärksten Luftverschmutzung gehört, die die Grenzwerte der EU um ein Zehnfaches überschreitet.

»Durch das Projekt wird Skopje viel schöner werden«, verkündete Gruevski zu dessen Beginn. Doch während die staatsnahen Medien die rege Bautätigkeit überschwänglich begleiteten, Schulklassen Ausflüge zu den Monumenten unternahmen und die Tourismusagentur die »Symphonie der Epochen« in immer neuen Perspektiven in Szene setzte, reagierten viele Einwohner mit Beschämung. Die Literaturprofessorin Jasna Koteska bezeichnete die eklektizistischen Fassaden als »Kakophonie eines nutzlosen und unpassenden Symbolismus«, ausländische Journalisten vergleichen das neue Skopje mit seinen Gold­lackierungen, falschem Marmor und übersteigertem Kitsch regelmäßig mit Disneyland und Las Vegas und konstatierten einen nationalen Minderwertigkeitskomplex.

Janev, der am Institute for Sociological, Political and Juridical Research forscht, hält die identitätspolitische Umgestaltung der Hauptstadt auch für ein Inst­rument rechtspopulistischer Staatsauffassung: »Die VMRO hat versucht, eine nationale Geschichtserzählung im öffentlichen Raum zu bauen. Sie wollte keine demokratischen, sondern ethnische Staatsbürger schaffen.« Die Folgen sind eine symbolische Teilung der Stadt und wachsende Spannungen ­innerhalb der mazedonischen Gesellschaft. Als im April 2017 mit Talat Xha­feri ein Albaner zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde, stürmten nati­onalistische Anhänger der VMRO das Parlament und verletzten zehn Ab­geordnete, darunter den Ministerpräsidenten Zoran Zaev.

 

Die Hypothek des Rechtspopulismus

Unter der Ägide der VMRO entwickelte sich Mazedonien immer stärker in Richtung eines autokratischen Regimes, das abweichende Meinungen verfolgt und Gesetze per Eilverfahren an die ­eigenen Bedürfnisse anpasst. »Sie dachten, sie können mit uns machen, was sie wollen«, sagt Janev. In den staatlichen und sozialen Medien wurden die Kritiker des Stadtumbaus, darunter Janev, regelmäßig als antimazedonische Ver­räter, Kommunisten und Sorosianer, Handlanger des philanthropischen ­Investors George Soros, beschimpft. Innerhalb von nur drei Jahren fiel Mazedonien im Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen von Rang 34 auf Rang 116. Die allgegenwär­tige Angst vor Repression und Gewalt lähmte die sozialen Proteste, die es von Anfang an gegen den Stadtumbau und den nationalpopulistischen Kurs von Gruevski gegeben hatte.

Ein politischer Skandal besiegelte im April 2016 den Niedergang der VMRO. Gruevski hatte über 20 000 Oppositionelle illegal abhören lassen, die Justiz unter Druck gesetzt und am Telefon über Wahlfälschung spekuliert. Über Monate hinweg demonstrierte die junge Bevölkerung in Skopje, deckte die gebauten Herrschaftssymbole mit Farbbeuteln ein und skandierte Rücktrittsforderungen. Nach einer langen Staatskrise übernahm 2017 der Sozialdemokrat Zaev die Regierungsgeschäfte und kündigte eine politische Neuausrichtung an. Im Januar erklärte der Kulturminister Robert Alagjozovski das umgehende Ende des Projekts »Skopje 2014«. »Wie Pandoras Büchse erzeugt es mit jedem Tag neue Kitschmonumente, Skulpturen, Passagen und Kolonnaden, die keiner braucht, für die wir alle aber einen heftigen Preis bezahlen«, so der Minister.

Die hohen Instandhaltungskosten der schlecht geplanten und zum Teil illegal gebauten Gebäude machen der Stadt nun zu schaffen. Nachdem das Stadt­archiv in das neue Archäologische Museum am Vardarufer eingezogen war, hatte es mit Überschwemmungen zu kämpfen. Das Verfassungsgericht musste sogar den Bau seines eigenen Gebäudes für unzulässig erklären. Gruevski, der Zaev vorwirft, von ausländischen Geheimdiensten unterstützt zu werden, wurde mittlerweile wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt. Gegen ihn sind vier weitere Verfahren anhängig.

Die VMRO sieht sich unterdessen als Opfer der neuen Regierung und beklagt die Politisierung von »Skopje 2014« durch die Opposition. Als Reaktion auf die Einigung im Namensstreit mit Griechenland mobilisierte sie kürzlich Tausende Anhänger nach Skopje. In ­einer Videobotschaft unterstütze der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die »mutigen und weisen« Rechtspopulisten, »die sich dem Druck ausländischer Mächte nicht beugen«. Ihre Hartnäckigkeit hat Mazedonien zehn Jahre politische Stagna­tion eingebracht.