Hanns Eislers singende Arbeiter

Chor! Chor! Chor!

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Eisler machte es zu seiner Aufgabe, gegen die »Dummheit in der Musik« zu arbeiten. Er fasste darunter, wie er Hans Bunge in dem Gesprächsband »Fragen Sie mehr über Brecht« erzählt, sowohl die »schäbige Lebensfreude« der Walzerformen, das »pseudomilitärisches Gehabe« der Marschrhythmen als auch den »tiefsinnigen Schwulst« symphonischer Werke. Musikalische Erziehung hielt Eisler für ein geeignetes Mittel, die Dummheit aus der Musik auszutreiben. Daraus erwuchs bei ihm keine Verachtung der musikalischen Tradition, im Gegenteil schätzte er die Mittel, die sie bereitstellte und die er auch in seinen Werken zitierte.

Dass Aufklärung in der Musik nicht mehr nur im bürgerlichen Konzertsaal stattfinden konnte, sondern mit neuen Nutzungen und Anwendungen darüber hinauswuchs, nahm Eisler ernst. So komponierte er für den Film – beispielsweise für Joris Ivens’ Experimentalfilm »14 Arten, den Regen zu beschreiben«, für Fritz Langs Hollywood-Klassiker »Auch Henker sterben« (1943) und für den ersten Dokumentarfilm über die deutschen Vernichtungslager, »Nacht und Nebel« (1955) von Alain Resnais. Für »Kuhle Wampe« (1932) von Brecht und Slatan Dudow schrieb Eisler das berühmte »Solidaritätslied«, das einen vom Jazz inspirierten, synkopierten Marschrhythmus vorgibt. Zusammen mit Adorno verfasste Eisler das Buch »Komposition für den Film«, das die Kritik herkömmlicher, von der Spätromantik beeinflusster Hollywood-Filmmusiken verband mit Ratschlägen für eine Filmmusik, die sich an den Verfahren der Neuen Musik orientierte. Zugleich sah Eisler, wie auch Adorno, beispielsweise im Jazz eine Verdinglichung musikalischer Neuerungen, die in isolierter Form ihre Wirkungen gar nicht entfalten oder in Regression umschlagen könnten.

In den Diskussionen der DDR der fünfziger Jahre – Eisler lebte nach seiner Ausweisung aus den USA in der McCarthy-Ära als österreichischer Staatsbürger in Ostberlin – plädierte er allerdings gegen ein Verbot von populären Musikformen aus dem Westen, die Auseinandersetzung um musikalische Qualität ließ sich für Eisler nicht mit Verboten gewinnen. Auch seinen Lehrer Schönberg verteidigte er 1954 in einem Vortrag in der Berliner Akademie der Künste gegen Angriffe mit den Worten, dass ihm dessen »Schwächen lieber als die Vorzüge mancher anderer« seien. Den Fortschritt der Moderne wollte Eisler nicht verwerfen – aber auch nicht den der vorbürger­lichen Epoche, beispielsweise in Rückgriffen auf Komponisten wie Monteverdi und Gesualdo.

Eislers Kompositionen tragen den Zug eines populären Modernismus. Er nahm die Neuerungen in der Behandlung des musikalischen Mate­rials auf, die beispielsweise aus der Schule Schönbergs kamen, wollte diese aber auch über einen kleinen Zirkel musikalisch gebildeter Angehöriger der bürgerlichen Klasse hinaus bekannt und anwendbar machen. Mit diesem Programm stieß Eisler in der Weimarer Republik, in den USA und in der DDR neben Anerkennung auch auf Ablehnung. Manches Mal galt er als zu populär, manches Mal als zu modern. Ein ­Widerspruch, der auch in seinem Freundeskreis vorhanden war, zwischen Salon und Straßenkampf, ­Institut für Sozialforschung und KPD oder Bund proletarisch-revolutio­närer Schriftsteller. Eisler nahm den Widerspruch zwischen Kunst und Politik als konstitutiv, ein Widerspruch, der in jedem Kunstwerk selbst zu einer eigenen Dialektik des Ma­terials und seiner Behandlung kommen muss. Er wollte keinen Stil begründen, sondern die Widersprüche seiner Zeit zur Darstellung bringen und in die Konflikte eingreifen.

Gerichtet war sein Schaffen stets auf eine Utopie, die Eisler in den 1962 kurz vor seinem Tod fertiggestellten »Ernsten Gesängen« vertont hat. Auf Hölderlins »Komm ins Offene, Freund« folgt unter dem Titel »XX. Parteitag« ein Vorgriff auf das kaum erträumte Glück: »Leben, ohne Angst zu haben.«
Demnächst erscheint: Hanns Eisler: A-capella-Chöre 1925–1932. Band 5. Herausgegeben von der

 

Internationalen Hanns-Eisler-Gesellschaft und Johannes C. Gall. In: Serie I (Chormusik) der Hanns-Eisler-Gesamtausgabe. Breitkopf & Härtel, 2018.