Unter jungen Leuten im Iran herrscht Aufbruchstimmung

Wie ein Lachen unter Wasser

Seite 2 – Auswandern ist nicht leicht
Reportage Von

Die Hoffnungen, dass es unter dem als Reformer gehandelten Präsidenten Hassan Rohani einen wirtschaftlichen Aufschwung geben würde, haben sich schon seit längerem zerschlagen. Mangels eines Sozialstaats sind alle, die nicht zu den Privilegierten gehören, auf die familiäre Solidarität angewiesen. Sie bewahrt viele Existenzen vor dem Bankrott. Doch in fast jeder Familie gibt es auch Menschen, die einfach wegwollen, sich nach Möglichkeiten der Emigration umsehen oder bereits ausgewandert sind. Der Wunsch, das Land zu verlassen, ist weit verbreitet.

Ajdin* ist ein Fotograf aus Bandar Abbas, einer Stadt im Süden des Landes. Er hat versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Nach einigen Monaten in verschiedenen Städten und Lagern hat er aufgegeben und ist wieder in den Iran zurückgekehrt. Da er aus einer relativ wohlhabenden Familie stammt, hat er es dort einfacher. Nur wenige haben Erfolg, aber sehr viele im Iran kennen Personen, die in Europa sind oder waren. »Wir rennen regelrecht davon«, sagt Ajdin. Für Wissenschaftler ist es vergleichsweise einfach, zu emigrieren, was zu einem brain drain führt.

Der Lehrer Faysin träumt davon, nach Italien zu reisen. »Nicht zum Auswandern, aber einfach mal hinfahren, Land und Leute kennenlernen. Ich liebe Italien!« Als echter Fan sammelt und kennt Faysin alles, was mit Italien zu tun hat: Kleidung, Filme und natürlich Kaffee. Die Leidenschaft von Faysins Bruder Said* gilt hingegen Deutschland. Europa ist im Iran äußerst beliebt. Auf die Frage, warum Faysin nicht auswandern will, entgegnet er, durchaus typisch für viele Kurden: »Ich bin Iraner und möchte im Iran leben.«

Abgesehen von den schwierigen Einreisebestimmungen ist es für die meisten finanziell schlicht nicht möglich, in andere Länder zu reisen. Auch die Filmstudentin Jasmin aus Teheran konnte nicht ausreisen. Ihr Film war in Cannes für einen Preis nominiert worden, die Reise nach Frankreich konnte sie jedoch nicht bezahlen. Ihre Freundin Leila konnte den Semesterbeitrag ihres geplanten Studienaufenthalts im Ausland nicht aufbringen. Sie hat ihren Abschluss zwar gemacht, arbeitet aber nun in einem Restaurant und versorgt damit die Familie. Ihr Vater ist im Vorruhestand und bezieht eine Pension, die aber nicht für die ganze Fa­milie reicht. Ihre Mutter hat ihren Arbeitsplatz in einem Restaurant vor kurzem verloren. Ihre ältere Schwester musste ihr Studium wegen einer Herzerkrankung abbrechen. »Ein Freund, der selbst promoviert, hat mir dann geraten, ich solle das mit dem Studieren ohnehin lieber sein lassen und arbeiten gehen, um Geld zu verdienen«, erzählt Leila. Viele finden in der Gastronomie Arbeit, doch auch hier wird die Lage schlechter.


Gedämpftes Lachen

Der Iran ist ein multiethnisches Land, Aserbaidschaner, Kurden, Luren und Turkmenen stellen nach den Persern die größten Bevölkerungsgruppen dar. Doch an Fremdsprachenkenntnissen mangelt es oft. Selbst von den Studierenden versteht und spricht nur rund ein Viertel Englisch. »Schande über dieses Land«, schimpft eine Studentin, »in Europa lernt man Englisch teilweise schon in der Grundschule.«

Die staatlich verordnete Feindschaft zu den USA wird von vielen, wahrscheinlich der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt, auch wenn viele über die Politik Trumps klagen. Trotzdem ist den meisten bewusst, dass die feindselige Haltung der USA nicht ihnen, sondern dem islamischen Regime gilt. »Wir können sehr gut zwischen der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Volk unterscheiden«, gibt Jasmin zu verstehen. »Wir wissen auch, was von uns erwartet wird, nämlich dass wir das Regime aus eigener Kraft abschütteln müssen«, so die Filmstudentin. »Einige wünschen sich den Schah zurück«, ergänzt sie. Vielen erscheint dessen Herrschaft im nostalgischen Rückblick als das kleinere Übel.

Der Iran ist derzeit die einflussreichste Regionalmacht im Nahen Osten, hat aber seine finanziellen und militärischen Kräfte wohl überfordert. Ein Rückzug ist dem sich ideologisch sich legitimierenden Regime jedoch kaum möglich, zumal ein solches Zeichen von Schwäche die Opposition im eigenen Land wohl ermutigen dürfte.

Nach Einschätzung vieler Iranerinnen und Iraner beginnt das Regime zu erodieren. Man fürchtet die »Sepah«, die Revolutionsgarden. Doch auch im Militär gibt es Unzufriedenheit. »No enjoy Iran«, gibt ein junger Wehrdienstleistender mit seinen paar Brocken Englisch auf einer Busfahrt in den Heimaturlaub zu verstehen und deutet Sympathien für die USA an. Trotzdem macht er ununterbrochen Späße. Das Gekicher seiner Kameraden sorgt für gute Stimmung, doch in seinem eigenen Gesicht sieht man nur ein schüchternes Lächeln. Das Lachen hier ist, wie ein Teheraner Student erklärt, »wie ein Lachen unter Wasser«, ein gedämpftes, nahezu unmögliches Lachen. Der Humor im Iran ist auch ein wenig bissiger und schamloser als anderswo, res­pektiert aber Tabus wie Religion, Geschlecht und Sexualität. Davon ab­gesehen wird jede Gelegenheit für Spaß genutzt. Wie sehr sich viele junge Menschen im Iran nach einem Ausbruch aus der politischen Enge und der wirtschaftlichen Misere sehnen, ist deutlich zu spüren in diesem Land der begrenzten Möglichkeiten.

*Name geändert