Im franquistischen Spanien raubten Mediziner, Pflegepersonal und Geistliche Neugeborene und verkauften sie an regimetreue

Das Land der gestohlenen Kinder

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Auch in Marokko, in Kliniken der Städte Nador und Oujda, gab es ein Netzwerk, das Babys raubte und für kinderlose Paare in Spanien und Frankreich über Spaniens nordafrikanische Enklave Melilla außer Landes brachte. Einer von bisher 53 bekanntgewordenen Fällen ist der von J. (39), den die Tageszeitung El Mundo bei seiner Spurensuche in Marokko beglei­tete. Geboren wurde J. im März 1979 in der al-Hassani-Klinik der Hafenstadt Nador, keine 20 Kilometer von Melilla entfernt.

Von seinen Zieheltern, die ihm bereits im Kindesalter offenbarten, dass er in Melilla adoptiert worden sei, wurde er liebevoll erzogen. In diesem Frühjahr reiste er erstmals nach ­Marokko, um mehr über den Kinderhandel und im besten Fall etwas über seine leiblichen Eltern zu erfahren. In der al-Hassani-Klinik soll es 21 Fälle von Kindsraub mit 31 involvierten Personen gegeben haben, von denen noch keine strafrechtlich belangt wurde.

In Nador machte J. zwei ehemalige Ärzte des Krankenhauses ausfindig sowie einen ehemaligen Polizisten und eine Krankenschwester, die in den Siebzigern und Achtzigern dort gearbeitet hatten. 2013 hatte der spanische Fernsehsender La Sexta bereits den Namen der Mittelsfrau herausgefunden, die den Schwestern der Klinik umgerechnet 300 Euro pro Kind bezahlt hatte. Mit dieser Frau hatten auch J.s Adoptiveltern in Kontakt gestanden. Fünf Babys hatte sie 1979 über die Grenze nach Melilla gebracht, darunter auch J.

Einige Kinder wurden zu Zieheltern nach Frankreich gebracht – wie der 1978 in Berkane, 90 Kilometer von Melilla entfernt, geborene Brahim Kermaoui. Er wuchs in Frankreich auf und beschrieb die erfolglose Suche nach seinen leiblichen Eltern in dem autobiographischen Buch »L’enfant égaré«, das 2015 erschien.

Von Erfolg gekrönt waren dagegen die Nachforschungen, die der 1981 ­geborene Mohammed Ali Bennani anstellte. Er war in der Klinik in Salé bei Rabat nach der Geburt gestohlen worden und in Frankreich aufgewachsen. Mit 20 Jahren entdeckte er zufällig auf einem alten ärztlichen Attest seines ­Adoptivvaters, dass dieser unfruchtbar ist, und verlangte, die Wahrheit zu erfahren. 2002 begann er die Suche nach seinen leiblichen Eltern. Sein leiblicher Vater hatte ihn glücklicherweise ins Geburtenbuch Salés eintragen lassen – obwohl die Klinik offiziell seinen Tod nach der Geburt dokumentiert hatte. Dadurch und durch den Zugriff auf die Archive des Krankenhauses konnte Bennani seine leibliche Familie ausfindig machen. 2016 traf er zum ersten Mal seine leibliche Mutter und zwei Geschwister.