Edith Lunnebach, Anwältin der Nebenklage, im Gespräch über die milden Urteile gegen die NSU-Unterstützer

»Das Urteil ist ein Skandal«

Edith Lunnebach ist im Münchner NSU-Prozess Anwältin der Nebenklage. Sie vertritt die Opfer des Bomben­anschlags, der 2001 in der Kölner Probsteigasse ein damals 19jähriges Mädchen schwer verletzte. Mit der »Jungle World« sprach sie über schwerwiegende Versäumnisse in der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und den politischen Charakter des Prozesses in München.
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Am 11. Juli wurde das Urteil im Münchner NSU-Prozess verkündet. Bei den Angehörigen der Mord­opfer, den linken Anwälten der Nebenklage und den Beobachtern und Beobachterinnen des Prozesses herrschte Enttäuschung über die vergleichsweise milden Urteile gegen einige der wegen Unterstützung Angeklagten. Zu Recht?
Es ist befremdlich, wie weit die Urteile unter die Anträge der Staatsanwaltschaft gegangen sind. Nicht, dass Linke die Anträge der Staatsanwaltschaft per se für richtig halten müssen. Aber wenn wir das Urteil im NSU-Prozess mit Urteilen vergleichen, die gegen Linke wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen verhängt worden sind, ist das ein Skandal.

André Eminger wurde ein enges Verhältnis zum NSU-Trio nachgewiesen. Das Gericht geht davon aus, dass er bis 2007 nur von kriminellen Taten des NSU wusste und diese unterstützte, erst danach den terroristischen Charakter der Taten kannte. Die Strafe fällt dann so gering aus, weil die Unterstützung der kriminellen Taten tatsächlich schon verjährt ist. Das mag rechtlich richtig sein, aber ausgerechnet dem erklärten Neonazi Eminger sein angebliches Unwissen abzukaufen, ist einfach skandalös.

Ich finde auch keine Begründung dafür, warum Holger Gerlach nur drei statt fünf Jahren bekommen hat. Er gab dem NSU-Kerntrio seinen Ausweis, unterstützte sie mit Geld, fuhr mit ihnen in den Urlaub, um dabei ihre Tarn­identität zu »checken«.

Das Strafmaß gegen Ralf Wohlleben fällt zwei Jahre niedriger aus als von der Bundesanwaltschaft gefordert. Bei ihm ging es um die Beihilfe zu den Mordtaten. Auch das ist eher ungewöhnlich bei Urteilen von Staatsschutz­senaten.

Eminger ist zu nur zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Von der Beihilfe zum Mordversuch an Ihrer Mandantin, der damals 19jährigen M. M., wurde er freigesprochen. Sie überlebte den Bombenanschlag in Köln 2001 sehr schwer verletzt. Hätten Sie da ein anderes Urteil erwartet?
Ja. Immerhin hatte der Senat ihn aufgrund der Anträge der Bundesanwaltschaft im September letzten Jahres wegen dringenden Tatverdachts und der hohen Straferwartung in Haft genommen. Seitdem hat sich die Beweislage im Prozess, der sich nur noch mit den Plädoyers beschäftigt hat, nun wirklich nicht mehr verändert. Wir rechneten daher mit der Bestätigung der Ansicht der Bundesanwaltschaft, Eminger habe sich der Beihilfe an dem Mordversuch gegen meine Mandantin schuldig gemacht. Im Urteil des Senats hieß es nun aber, dies sei ihm nicht nachzuweisen. Soweit es nur um die Frage geht, ob die Bombe, mit der der Anschlag gegen die Mandanten ausgeführt wurde, tatsächlich mit dem von Eminger angemieteten Wohnmobil transportiert wurde und er davon wusste, habe ich selbst im Plädoyer die Auffassung vertreten, dass das nicht nachgewiesen wurde. Meine Man­danten und ich gehen nämlich davon aus, dass die Bombe in Köln hergestellt wurde, mindestens aber von Kölner Tätern überbracht wurde.

Hierfür spricht aus unserer Sicht eben, dass anhand des nach der unmittelbaren Erinnerung erstellten Phantombilds des Ablegers der Bombe Uwe Böhnhardt als Täter nicht in Frage kommt. Ausgerechnet in dieser Frage hat sich der ­Senat in seinem Urteil der auch aus dessen Sicht ansonsten weitgehend unglaubwürdigen Aussage Beate Zschäpes angeschlossen, die dies von Uwe Böhnhardt selbst erfahren haben will. Meine Mandaten und ich gehen davon aus, dass es ein Kölner Netzwerk von Unterstützerinnen und Unterstützern ge­geben haben muss, die den Tatort ausgespäht und auch die Bombe platziert haben. Es gab nach unserer Überzeugung einen oder mehrere Unterstützer, die noch auf freiem Fuß sind. Wir glauben, die Bombe ist nicht mit dem Wohnmobil von Zwickau nach Köln transportiert, sondern in Köln hergestellt worden. Genauso wie der versteckte Tatort des Geschäfts der Mandanten nicht ohne Hilfe aus Köln gefunden werden konnte.

»Das Urteil zeigt: Wer konsequent schweigt, kommt mit einer milden Strafe davon, wer die Aufklärung torpediert, kommt erst gar nicht vor Gericht.«

Zu der Person und dem Phantombild: Sie haben doch auch einen möglichen Verdächtigen in Ihrem Plädoyer genannt?
Ja, das ist der Verfassungsschutz-V-Mann Johann H., der jetzt ja auch durch die Medien gegangen ist. Sein Aussehen passt zum Phantombild. Natürlich lässt sich alleine aufgrund einer Lichtbildidentifizierung nicht sagen: »Für uns ist er der Täter.« Aber für uns ist es ausgesprochen problematisch, dass er 2001 nicht befragt worden ist, obwohl er als V-Mann in der rechten Szene aktiv war, mit dem angeblichen Ziel, potentielle Taten und Gefahren durch Rechtsextreme aufzuspüren. Es wurde also schon damals weder gründlich ermittelt noch beim Verfassungsschutz nachgefragt, ob es Kenntnisse über rechtsextremistische Strukturen, zum Beispiel in Köln, gibt, die als Täter des Anschlages in Frage kommen. Als dann 2011 und 2012 die Ähnlichkeit zwischen H. und dem Phantombild bekannt wurde, wurde nicht gegen ihn ermittelt.

 

Das hätte doch eigentlich auch im Prozess passieren müssen. Warum hat das keine Rolle gespielt?
Da hat das insoweit eine Rolle gespielt, als dass wir eine Aufklärung gefordert haben und entsprechende Anträge vom Gericht zurückgewiesen worden sind.

Das heißt, im Prozess gab es schwerwiegende Versäumnisse?
Ich möchte Folgendes klarstellen: Nur weil wir Linke sind, können wir nicht sagen: »Macht mit den Rechten das, was wir immer kritisieren.« Aber wir hatten einen Verdacht, wir haben ihn offengelegt und gefordert, dass im Prozess darüber gestritten wird. Das ist nicht geschehen. Das bedeutet aber nicht, dass ich die Indizien für ausreichend halte, um H. anzuklagen. Da sind Versäumnisse passiert, diese können nicht 17 Jahre nach der Tat einfach wiedergutgemacht werden.

Das Urteil ist im Vergleich zu Urteilen gegen Linke, wie Sie bereits sagten, oder auch gegen Islamisten ausgesprochen milde. Die Nebenklageanwälte, Alexander Hoffmann, Carsten Illius und Antonia von der Behrens, haben bereits von einer Signalwirkung für die rechte Szene gesprochen. Inwiefern ist der NSU-Prozess eigentlich ein politischer Prozess?
Ich kann mich meinen Kolleginnen und Kollegen da nur anschließen. Das Signal ist: »Brüder, schweigen.« Eminger, gegen den das mildeste Urteil gesprochen wurde, hat den ganzen Prozess offensiv geschwiegen; das hat seine Auswirkung gehabt auf die Leute aus der rechten Szene, die ausgesagt haben und dabei gelogen, oder erst gar nichts gesagt haben und sich auf Erinnerungslücken bezogen haben. Das Urteil zeigt: Wer konsequent schweigt, kommt mit einer milden Strafe davon, wer die Aufklärung torpediert, kommt erst gar nicht vor Gericht. Das ist, was übrigbleibt, und ich finde es, angesichts der Tatsache, dass Rechtsextremismus, Nationalismus und Straftaten gegen Ausländer nach wie vor erschreckend zahlreich sind, verbrecherisch.

Sie haben auch Erfahrung aus Prozessen gegen Linke, die wegen ähnlicher Delikte vor Gericht standen.  Was ist da anders gelaufen?
Nehmen Sie die PKK als Beispiel. Sie hat seit 1983 in Deutschland keine Gewalttaten mehr begangen. Nach Einführung des Paragraphen 129b Strafgesetzbuch wurden Sympathisanten der in der Türkei agierenden PKK, wenn sie zum Beispiel in Deutschland Flugblätter verteilten oder Spendengelder sammelten, zu Funktionären der PKK im Ausland hochstilisiert und zu hohen Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt. Das war und ist bei der DHKP (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, eine marxistisch-leninis­tische Untergrundorganisation in der Türkei, Anm. d. Red.) und den Links­terroristen genauso. Selbst wenn man im NSU Komplex Eminger nur wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung verurteilt hat, dieser aber durch seine Unterstützungshandlungen und Tarnungen zum Fortbestehen der mörderischen Serie beigetragen hat, ist die Verurteilung zu gerade mal zwei Jahren und sechs Monaten unverhältnismäßig milde.

Es gab ja den Vorwurf aus konser­vativen Juristenkreisen, die Nebenklage politisiere den Prozess. In der linken juristischen Literatur gelten Verfahren nach dem berühmten Paragraphen 129a, Bildung einer terroristischen Vereinigung, als eine Form der politischen Justiz, nicht zuletzt, weil diese Verfahren sich in den siebziger und achtziger Jahren fast ausschließlich gegen Linke richteten. Inwiefern war das NSU-Verfahren ein politischer ­Prozess?
Paragraph 129a ist ein politischer Straf­tatbestand, ein politisches Instrument. Was eine terroristische Vereinigung, was Terrorismus ist, bestimmt die Politik. Auch ein Konservativer würde sagen, ein nationalsozialistischer Untergrund, der Menschen tötet, muss nach diesem Paragraphen verurteilt werden. Natürlich ist es dann ein politischer Prozess, es handelt sich um einen Angriff auf die Grundfesten dieses Staates. Immerhin hat die Bundesanwaltschaft die Taten als Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland verstanden.

Ging es aber nicht bei der Verfolgung von Linken vor allem darum, über 129a-Verfahren möglichst viele Leute für Straftaten verantwortlich zu machen, die sie nicht individuell begangen hatten, während im NSU-Prozess der Kreis möglichst eng gezogen wurde?
Klar. Das zeigt, dass die linke Kritik an diesem Paragraphen, nämlich die, dass er ein politisches Instrument sei, berechtigt ist. Im NSU-Prozess ging es um das Modell des abgeschotteten Trios, das sich durchgesetzt hat, ob das passte oder nicht. Eminger und Gerlach haben ja zum Beispiel irgendwann davon gewusst, dass sie auch mitan­geklagt werden könnten – und zwar als Mitglieder einer terroristischen Ver­einigung.

Passt der NSU-Prozess also in den alten Vorwurf linker Anwälte, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind sei, dafür aber links härter durchgreifen? Diese Kritik gibt es ja seit der Weimarer Republik.
Ja. Es ist unangenehm, immer auf diese alten Geschichten zurückzukommen, oder? Es ist leider offensichtlich. Ich habe aber auch nicht erwartet, dass das heutzutage anders ist. Aber ich hätte erwartet, dass ein Gericht mehr tut als das, was diese technokratische Urteilsverkündung jetzt erwarten lässt. Da wird festgelegt, was passiert ist, und die durch die Staatsschutzbehörden verhinderte Aufklärung spielt keine Rolle. Ich wage mal die Prognose, dass das im schriftlichen Urteil auch nicht stehen wird.

Die Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens hat selbstkritisch gesagt, man habe zu sehr auf den Staatsschutzsenat gehofft, insbesondere dem Vorsitzenden Richter Götzl, und darauf, dass die müh­same Arbeit und die vielen Beweisanträge den Prozess beeinflussen würden, das aber letztlich keinen Einfluss gehabt habe. Sehen Sie das auch so?
Antonia von der Behrens ist an diesem Punkt zu selbstkritisch. Ich würde sagen, seitens der politischen Nebenklage ist alles getan worden, um die Aufklärung zu erwirken. Dass man trotzdem enttäuscht ist, haben wir alle in unseren Plädoyers deutlich gemacht.

Natürlich haben wir irgendwo auf das Gericht gesetzt, das macht man immer am Ende eines Prozesses. Aber mehr als das, was wir getan haben, hätten wir nicht tun können.

Hätte man vielleicht konfrontativer mit dem Vorsitzenden Richter umgehen müssen?
Nein, gestritten haben wir uns genug mit dem Gericht. Ich will nicht sagen, dass wir alles richtig gemacht haben, aber es liegt sicher nicht an der Nebenklage, dass einige der Urteile so milde ausgefallen sind.

Wie wird es nach dem Prozess weitergehen? Wird der Kampf um die bis heute ausgebliebene Aufklärung auf juristischer Ebene weitergeführt werden?
Bei einer Revision kann man nicht von einem Kampf ausgehen, das ist eine furchtbar trockene Angelegenheit. Interessant wird sein, ob die Bundes­anwaltschaft nächste Woche in Revision geht, weil die ja, was Eminger angeht, unterlegen ist. Es gibt auch im Land Hamburg die Forderung nach einem weiteren Untersuchungsausschuss, ansonsten sind die ja auch schon alle durch. In Nordrhein-Westfalen und Thüringen waren die Berichte der Untersuchungsausschüsse einigermaßen gut, aber das bedeutet nicht, dass auf politischer Ebene das Netzwerk aufgeklärt wurde.

Interview: Carl Melchers