Die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt

Die neuen Alten

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Aber ist die Frankfurter Altstadt wirklich dieses wiedererlangte Heimatidyll, das sich Rechtskonserva­tive erträumen? Bei einem Spaziergang durch das frisch eröffnete Quartier stellen sich nur schwerlich wohlige Heimatgefühle ein – genauer gesagt, gar keine. Das Ensemble der 35 Neubauten, von welchen lediglich 15 Rekonstruktionen sind, ist eher eine eigenartige Mischung aus alt und neu. Irritierend wirken darin die goldenen Verzierungen an manchen Fassaden. Für eine authentische Rückbesinnung auf vergan­gene Traditionen kann die Altstadt nur schwerlich gehalten werden. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sie schlichtweg Gefälligkeit erzeugen soll. Bei der Altstadt handelt es sich weniger um das Anknüpfen an verlorene Traditionen, als schlichtweg um eine gewinnbringende Tourismusattraktion. Ganz unumwunden wird dieser Aspekt von den ­Verantwortlichen, etwa dem Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann angesprochen, während der angebliche Gewinn für die Frankfurter Bürger eher im Nebensatz verschwindet. Dank des Flug­hafens ist Frankfurt für internationale Gäste ein zentraler Anlaufpunkt und insbesondere von Fernreisenden verspricht man sich einen hohen Umsatz. Orte, die von europäischer Geschichte zeugen, sind bei ausländischen Touristen besonders beliebt. Heidelberg, die Rheinregion und die mittelalterlichen Städte Bayerns zeigen: Aus Marketingsicht ist eine Altstadt ein echter Gewinn. »Die Menschen haben Sehnsucht nach der Frankfurter Altstadt. Sie ist ein Bedürfnis unserer Stadt«, sagte Feldmann bei der Eröffnung.  »Wir sind schon jetzt in Touristenführern abgebildet, obwohl das Projekt noch gar nicht fertig ist.« Dass das Alte gar nicht alt ist, spielt keine Rolle. Die Touristen kommen so oder so, da ist man sich sicher.

Mit ihrer harmoniestiftenden, sedierenden Atmosphäre ist die Altstadt Ausdruck einer Kultur­industrie, die konfliktlose Massenzerstreuung hervorbringt.

Die »neue« Altstadt muss also gar nicht authentisch sein. Tatsächlich hat sich Frankfurt mit ihr eine Attrappe ins Zentrum der Stadt gebaut. Die Rekonstruktionen täuschen ­Altstadt-Feeling vor. Für rechtskonservative Traditionsromantiker bedeutet das Enttäuschung: Anstelle der erhofften Verwurzelung in Mutter Erde hat man ein Frankfurter Disneyland bekommen. Mit ihrer harmoniestiftenden, sedierenden ­Atmosphöre ist die Altstadt Ausdruck einer Kulturindustrie, die konfliktlose Massenzerstreuung her­vorbringt. Es ist jene Kultur, die Wolfschlag eigentlich bekämpfen wollte.

Eine Altstadt wieder zu errichten, zeugt vor allem von der Langeweile in der gegenwärtigen Architektur. Vergeblich sucht man heute nach ­einer architektonischen Avantgarde, die solchem Heimatkitsch wirklich fortschrittliche Entwürfe entgegensetzt, am besten ­solche, die den ­eklatanten Wohnraummangel in Großstädten lindern helfen, statt neue Quartiere für ­gerade einmal 260 Einwohner und Luxusboutiquen zu schaffen. Auch das ist Teil des Problems.