Proteste gegen das Urteil im NSU-Prozess

Handarbeit statt Schlussstrich

Anlässlich der Urteilsverkündung im Münchner NSU-Prozess kam es in vielen deutschen Städten zu Protesten. Angehörige der NSU-Opfer und ihre Anwälte prüfen derweil weitere juristische Schritte.

Es gab einen kleinen Tumult vor dem Münchner Oberlandesgericht. Gerade war bekannt geworden, dass der im NSU-Prozess wegen Unterstützertätigkeit angeklagte Neonazi André Eminger das Gericht – vorerst – als freier Mann verlassen werde. Antifaschistinnen und Antifaschisten versuchten daraufhin, den vorderen Ausgang zu blockieren. Ein Kordon blau uniformierter Polizisten in Schutzwesten griff sofort ein. Vor laufenden Fernsehkameras kam es zu Handgreiflichkeiten. Protestierende riefen: »Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt.« Eminger hatte zu diesem Zeitpunkt das Gerichtsgebäude bereits durch einen Hinterausgang verlassen, hieß es später.

In mehr als 20 deutschen Städten fanden anlässlich der Urteilsverkündung Proteste statt. »Meine Mandantin Elif Kubaşik, Witwe von Mehmet Kubaşik, hat dieses Urteil als Ohrfeige bezeichnet«, sagte die Rechtsanwältin der Nebenklage Antonia von der Behrens auf der Bühne der gegenüber dem Gerichtseingang stattfindenden Kundgebung des Münchner Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus. Im Kreis linker Anwälte und Anwältinnen der Nebenklage waren die Erwartungen an das Urteil gegen die fünf wegen Mitgliedschaft im NSU oder dessen Unterstützung Angeklagten nie sonderlich hoch gewesen. Zu Beginn des Prozesses 2013 hatte Angelika Lex, die Anwältin der Familie des Münchner NSU-Opfers Theodoros Boulgarides, gesagt: »Auf diese Anklagebank gehören nicht fünf, sondern 50 oder noch besser 500 Personen, die mitverantwortlich sind für diese Mordtaten, diese Sprengstoffanschläge, nicht nur, weil sie sie nicht verhindert haben, sondern auch, weil sie nichts getan haben, um sie aufzuklären – aber auch, weil sie aktiv mitgewirkt und unterstützt haben.« Dieser Satz der damals bereits schwerkranken und 2015 verstorbenen bayerischen Verfassungsrichterin wurde zum Leitspruch weiter Teile der Nebenklagevertretung im NSU-Prozess. Daran orientierte sich auch das »Tribunal NSU-Komplex auflösen«, das im Mai 2017 eine alternative Anklageschrift im Schaupiel Köln verlas. Diese umfasst 90 Namen bekannter Neonazis, Geheimdienstler, V-Leute, aber auch hochrangiger Beamter, Politiker und Journalisten.

Martina Renner, Bundestags­abgeordnete der Linkspartei, sprach von einem »fatalen Signal in die Nazi-Szene«.Diese werde das Urteil als Ermutigung auffassen. Eminger und Wohl­leben hätten während des Prozesses an keiner Stelle von ihrer nationalsozialistischen Gesinnung Abstand genommen. Sie würden voraussichtlich in ­Freiheit dort weitermachen, wo sie aufgehört haben.

Für die meisten Besucher der Kundgebung anlässlich der Urteilsverkündung war es also keine Überraschung, dass die Rolle der Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes im Urteil unbenannt blieb. Doch dass der Strafsenat sowohl bei Eminger als auch bei Ralf Wohlleben unter dem von der Bundesanwaltschaft geforderten Strafmaß von zwölf Jahren blieb, war für viele ein Schock.

»In welchem anderen Terrorverfahren, in welchem Verfahren gegen Linke, hätte es eine solche Strafe gegeben? Für einen Steinwurf bei G20 gibt es mehr«, sagte Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann. Das Gericht habe mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe für Beate Zschäpe erreicht, dass die Medien ein »tolles Urteil« begrüßen würden. Doch durch die vergleichs­weise milden Strafen gegen die wegen Unterstützung Angeklagten sei systematisch deren Verantwortung für die Verbrechen des NSU heruntergespielt worden. Dabei habe André Eminger die drei NSU-Mitglieder von 1998 bis 2011 durchgängig unterstützt. Dafür wurde er, so Hoffmann, zu »gerade einmal« zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil habe nur gezeigt, was weiter gelte: »Antifaschismus ist Handarbeit.«

Martina Renner, eine Bundestags­abgeordnete der Linkspartei und zuvor Obfrau im NSU-Untersuchungsauschuss des Thüringer Landtags, sprach von einem »fatalen Signal in die Nazi-Szene«. Diese werde das Urteil als Ermutigung auffassen. Eminger und Wohl­leben hätten während des Prozesses an keiner Stelle von ihrer nationalsozialistischen Gesinnung Abstand genommen. Sie würden voraussichtlich in ­Freiheit dort weitermachen, wo sie aufgehört haben. Wie die ­Süddeutsche Zeitung berichtete, wird damit gerechnet, dass Wohlleben bereits im August zu seiner Familie in Jena heimkehren kann.* Die extrem rechte Szene unterstützte ihn während des mehr als fünfjährigen Prozesses mit »Freiheit für Wolle«-Aktionen. In der Szene ist »Wolle« Wohl­lebens Spitzname.