US-Präsident Donald Trump hat die Krise der Nato nur offensichtlich gemacht

Prozente statt Politik

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Als antisowjetische Allianz hatte die Nato eine klare Zielsetzung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion diente sie gelegentlich der Koordinierung multinationaler Militäreinsätze. Der bedeutendste, die Intervention in Afghanistan, wird in rituellen Fortschrittsmeldungen als Erfolg bezeichnet, obwohl nach fast 17 Jahren Krieg die Taliban in 70 Prozent des Landes aktiv sind. Intern sieht man die Dinge möglicherweise realistischer, jedenfalls hält sich der Enthusiasmus in Grenzen, wenn es um die Beteiligung an ähnlichen Einsätzen geht. Sie werden von wechselnden multinationalen Koalitionen mit Drohnen und kleinen Truppenkontingenten geführt.

Bleibt Russland, das über eine recht imposante konventionelle Streitmacht verfügt und das Baltikum mit einem Überraschungsangriff überrennen könnte. An der Überlegenheit der Nato kann jedoch kein Zweifel bestehen, es gibt auch militärisch keinen Grund, in allen Bereichen, also etwa bei der Zahl der schnell in Osteuropa einsetzbaren Panzer, gleichzuziehen. An Waffen fehlt es der Nato nicht, die noch immer etwa zwei Drittel der globalen Militärmacht vereinigt. Weniger klar ist, ob die politische Einigkeit so groß ist, dass im Fall eines – derzeit sehr unwahrscheinlichen – russischen Angriffs auf das Baltikum tatsächlich der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags eintreten würde.

Auch viele Linksliberale hoffen derzeit, die Nato könne helfen, die »westliche« Demokratie zu schützen und zu stabilisieren. Dazu müssten jedoch Grundlagen geschaffen werden, die weit über das vage Bekenntnis zur Demokratie im Nato-Vertrag hinausgehen, die Mitgliedschaft an überprüfbare Kriterien binden und politische Ziele festschreiben – das Militärbündnis müsste dann wohl auf einige Staaten verzichten. Über rechtsautoritäre Regimes wie das der Türkei aber wird nicht einmal debattiert. Trumps Provokationen haben die Probleme der Nato nicht geschaffen, sondern nur offensichtlich gemacht. Sein Aufstieg zum US-Prä­sidenten ist allerdings das herausragende Beispiel für die tatsächliche Gefahr, die von Russland ausgeht, und Trump dessen Partner bei der Unterstützung der populistischen und extremen Rechten in Europa. So bezeichnete er kurz vor Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der rechtsextreme Parteien in Europa unterstützt, die EU als »Gegner«.

Seine Kritik am Nord-Stream-2-Projekt hat Trump beim Gipfeltreffen am Montag in Helsinki zurückgenommen. Russland sei nur ein »Konkurrent« im Energiegeschäft, er sei sich nicht sicher, ob das Projekt »im besten Interesse Deutschlands ist oder nicht«. Konkrete Ergebnisse des Treffens wurden nicht bekanntgegeben. Die meisten US-Medien achteten vor allem darauf, ob und wie Trump zum Vorwurf Stellung nehmen würde, Russland habe den Präsidentschaftswahlkampf 2016 zu seinen Gunsten manipuliert. Am Freitag voriger Woche hatte Sonderermittler Robert Mueller zwölf russische Geheimdienstler wegen des Hacker­angriffs auf das Hauptquartier der Demokraten angeklagt und deren Vor­gehensweise ausführlich dargelegt. Trump aber berief sich erneut darauf, Putin habe ihm versichert, mit der ­Sache nichts zu tun zu haben.

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nur noch die Frage, ob Trump von der Kooperation seiner Mitarbeiter mit Russland gewusst beziehungsweise sie angeordnet hat. Die Manipulation des Wahlkampfs zeigt beispielhaft, wo die tatsächliche Stärke Russlands liegt: in Cyberangriffen sowie der hybriden und asymmetrischen Kriegführung. Deren Erfolg ist jedoch abhängig von nütz­lichen Idioten, die bereitwillig fake news glauben, und rechten Verbündeten, die mit Putins Hilfe ihre eigenen Interessen verfolgen. Russische Interven­tionen können nur eine ohnehin vorhandene gesellschaftliche Strömung stärken. Kein US-Bürger war gezwungen, den nicht sonderlich skandalösen geleakten E-Mails der Demokraten ­Beachtung zu schenken.

Trump gibt ein gutes Feindbild ab, doch er ist nur ein Symptom der Krise der Demokratie, nicht deren Ursache. Es ist nicht seine Schuld, dass fast alle konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und linkssozialdemokratischen Parteien Europas sich als konsequent unfähig und oft auch unwillig erweisen, der Offensive der populistischen und extremen Rechten etwas entgegenzusetzen, und ihnen eine Kuschelpolitik mit Autokraten als öko­nomisch notwendig, wenn nicht gar als moralische Pflicht gilt. Eine Erhöhung der Militärausgaben hilft nicht weiter, wenn man den Feinden der Demokratie die Tore längst geöffnet hat.