Die Kontroverse von Stadt- vs. Landleben verfehlt das Thema

Frag mal die Katze

In der linken Stadt-Land-Kontroverse wird in ständigem Wechselspiel eine Projektion gegen die andere ausgespielt. Das lenkt von den wichtigen Fragen ab.
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Ich liebe Brandenburg und ich liebe unser Haus auf dem Land. Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, mit zehn Freundinnen und Freunden zusammen dieses alte Gutshaus zu kaufen. Aber ich liebe auch die Tatsache, dass ich nicht entschieden habe, vollständig aus der Stadt auszuziehen, und deswegen nicht so tun muss, als sei das einzig wahre Leben das Landleben und meine eigentliche Bestimmung in einem mit AfD-Plakaten verzierten Funkloch Brennnesselsuppe zu essen.

Seit wir unser Haus vor sieben Jahren gekauft haben, sind viele Diskurswellen zum Thema Land- vs. Stadtleben übergeschwappt und wieder versickert. Das Landleben: der wirkliche Fortschritt? Einziger Ausweg aus der kapitalistischen Maschine? Letzte Möglichkeit nichtentfremdeten Lebens? Richtiges Leben im falschen? Oder der nie gänzlich unfruchtbare Schoß, aus dem die Nazis kriechen? Ist das Leben auf dem Land die Lösung für alles oder die Wurzel aller Backlash-Probleme und jeden Rechtsrucks?

Es ist natürlich nichts davon und gleichzeitig alles ein bisschen. Es gibt Freaks auf dem Land und gleichzeitig Freaks in der Stadt. Es gibt Nazis hier und Nazis da, man kann hier und da in Hunde­scheiße treten, einen Fuchs sehen oder an der Bushaltestelle heulen.

Ich kann die Leute nicht mehr hören, die ihre eigene Zerrissenheit auf wehrlose Landschaften projizieren und glauben, all ihre Genervtheit von der hektischen Stadt würde sich in einen sanften Sommerregen auflösen, wenn sie nur eines Tages aufs Land zögen. Sie werden schon lernen, was Landhektik ist, wenn sie vergessen ­haben einzukaufen und die einzige Einkaufsmöglichkeit im Umkreis von zehn Kilometern – außer einem Kaugummiautomaten – in ­einer Viertelstunde schließt.

Und ich kann die Leute nicht mehr hören, die sagen, sie könnten das ja nie im Leben, auf’m Dorf leben, und sie bräuchten den ­wilden Trubel der Metropolen und 13 Theater in Laufnähe, und die dann fünf von sieben Abenden pro Woche netflixen, 90 Prozent ihrer Sozialbeziehungen per Chat pflegen und ihre Klamotten bei Zalando bestellen. Auf dem Land gibt es auch W-Lan, ihr Eier.

Es gibt selbstverständlich Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben. Muss man nur mal die Katze fragen.

Aber die Unterschiede sind nicht so riesig, dass sie die Vorurteile und die Ablehnung der einen oder der anderen Lebensform auch nur im Geringsten rechtfertigen könnten.

Auf dem Land hat man angeblich seine Ruhe. Klar. Aber wenn die Nachbarn auf der Terrasse stehen und ins offene Haus reinrufen, kannst du dich nicht verstecken, auch wenn du 35 Zimmer hast. Dann suchen sie dich halt. Angeblich ist es auf dem Land idyllisch, aber sie ertränken auch Katzenbabys. In der Stadt ist angeblich immer alles so schnell erreichbar, aber dann steht man im Schienener­satzverkehr im Stau und hasst die Welt, und das Hallenbad hat zu wegen Streik. Auf dem Land lebt man angeblich näher an der ­Natur, aber so öko ist es nicht, wenn man alle Einkäufe mit dem Auto erledigt (oder von DHL erledigen lässt) und dann nach ­Hause kommt und dem Nachbarn zusehen kann, wie er seine gelben Säcke hinterm Haus verbrennt.

Ob das eine eher richtig ist als das andere, ist eine sinnlose Debatte. Niemand, der nur das Land oder nur die Stadt liebt, wird sich durch Argumente überzeugen lassen. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen aus der Stadt aufs Land ziehen, hat ihre tiefe ­Ursache in der Dysfunktionalität politischer Entscheidungen, die das Land altern und sterben lassen und die Städte unbezahlbar und stickig machen. Das sind die Debatten, die geführt werden müssten. Hier und dort.