Wenn man über Digitalisierung spricht, braucht es auch einen neuen Begriff von Arbeit

Keine Arbeit für niemand

Die Digitalisierung besitzt emanzipatorisches Potential. Um es zu nutzen, braucht es ein neues Verständnis von Arbeit.

Im Zeitalter der Digitalisierung wird die Arbeitsgesellschaft grundlegend herausgefordert, weil Automatisierung, Robotisierung und Vernetzung viele Arbeitsplätze überflüssig werden lassen. Das bedeutet zugleich, dass für die von körperlich anstrengenden und geistig stumpfen Tätigkeiten entlasteten Menschen neue Freiräume entstehen. Zumindest wäre das eine Perspektive, die vernünftig erscheint; doch von solcher Vernunft ist die kapitalistische Gesellschaft weit entfernt.

Auch wenn Arbeit einen sinnstiftenden Aspekt hat und viele Menschen sich über ihren Beruf definieren, war Arbeit immer mit Entbehrung, Unsicherheit und Mühe verbunden. In anderen Sprachen macht dies schon die Herkunft des Wortes deutlich: Labour stammt vom la­teinischen labor, was sich mit Mühe und Entbehrung übersetzen lässt; das französische travail rekurriert auf ein Folterinstrument. Bis in die Moderne war die Arbeit Sklaven oder den unteren Klassen vorbehalten; die es sich leisten konnten, verzichteten auf sie.

Der Soziologie Daniel Bell beschrieb in den Siebzigern den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs­gesellschaft. Für ihn ist die Abschaffung körperlicher Arbeit ein anhaltender Prozess.

In der Moderne wurde Arbeit zum Lebensinhalt umgedeutet. Bei Martin Luther wurde sie zu einem gottgefälligem Akt. Von zentraler Bedeutung ist die Arbeit bei Karl Marx. Bei ihm beruht das gesamte kapitalistische System auf der Ausbeutung der Arbeitskraft. Auch heutzutage ist Arbeit noch mit Mühe, Krankheit und Tod verbunden: Traurige Berühmtheit erlangte hier die Foxconn Technology Group, die unter anderem ­Tablets für Apple fertigt. Dort glaubten zahlreiche Beschäftigte den skandalösen Arbeitsbedingungen nur durch Selbstmord entfliehen zu können.

Wider solche Auswüchse stellen Gewerkschaften und Sozialdemokraten ihre Forderung nach »guter Arbeit«. Sie fordern gerechte Löhne und ergreifen Partei für die »hart arbeitende Bevölkerung«. Ein Leben ohne Lohnarbeit ist kaum noch vorstellbar, es gilt gar als würde- und wertlos. Arbeit wird zum Fetisch, zum alles bestimmenden Lebens­inhalt.
Widerstand gegen diese Vorstellung gibt es wenig. Von der politischen Rechten ist derlei ohnehin nicht zu erwarten, aber auch die Arbeiterbewegung und sah die Arbeit durchweg positiv. Müßiggang galt in den Arbeiter- und Bauernstaaten als konterrevolutionär. Nur wenige Denker innerhalb der Linken formulierten Kritik am Arbeitsbegriff. Marx stritt sich mit seinem Schwiegersohn Paul Lafargue, der in seinem Buch »Das Recht auf Faulheit« den Arbeitsfetisch der Arbeiterbewegung kritisierte.

 

Derzeit wird eine neue Weise des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Arbeitens diskutiert, die allgemein unter dem Begriff der Digitalisierung gefasst wird. Technisch wird darunter die Optimierung von Informationsprozessen mittels digitaler Speicher-, Übertragungs- und Verarbeitungsmethoden verstanden. Durch die digitale Revolution – die Automatisierung, die Ausbreitung der Informationstechnologien und durch den Einsatz immer leistungsfähigerer Computerprogramme – könnten Millionen Arbeitsplätze in Industrie, Einzelhandel, Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor überflüssig werden. Doch woher kommt die Angst vor dieser Entwicklung? Ist nicht jeder Arbeitsplatz, der wegfällt und damit Platz und Zeit schafft für Tätigkeiten in der Pflege, in der Kultur oder auch nur für Muße, ein Fortschritt? Bietet die Digitalisierung nicht auch die Möglichkeit, das Verständnis von Arbeit zu überdenken, wenn viele Stellen wegfallen, vor allem solche, die keinen Sinn stiften?

Der US-amerikanische Soziologie Daniel Bell beschrieb bereits in den siebziger Jahren den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Für ihn ist die Abschaffung einfacher körperlicher Arbeit ein anhaltender Prozess. Es entstehe eine neue Elite von Wissensarbeitern. Die Digitalisierung bedrohe nun jedoch auch diese Klasse der »Kopflanger«, wie Brecht sie genannt hat. Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Studie der Oxford University. Dort wurden 700 Berufsgruppen in den USA untersucht, mit dem Ergebnis, dass 47 Prozent aller Berufe durch die Computerisierung bedroht seien. Nicht nur einfache Tätigkeiten in der Produktion fallen hierunter, sondern auch mehr und mehr Wissensberufe.

Der Glaube an den emanzipatorischen Charakter von Maschinen ­allein reicht nicht aus. Es geht nicht nur darum, Roboter einzusetzen. Man muss sich auch die Frage stellen, wem diese gehören und in welcher Gesellschaft sie zu welchem Zweck eingesetzt werden.

Trotz dieser Entwicklung geht die Arbeit nicht aus. Vielmehr entsteht im gegenwärtigen Kapitalismus eine große Zahl von neuen sinn- und nutzlosen »Bullshit-Jobs«. Diesen Begriff prägte der US-amerikanische Anthropologe David Graeber. Er führt hier unter anderem Onlinemarketing, Social-Media-Teams, ­Public Relations sowie jede Menge Verwaltungstätigkeiten an. Die Po­tentiale für Arbeitszeitverkürzung durch Technologie und Digitalisierung seien nie genutzt worden.

Bei vielen dieser neuen Berufe erscheint die von Theodor W. Adorno als »bürgerlich« bezeichnete Trennung von Arbeits- und Freizeit überholt. An ihre Stelle treten Überstunden, Entgrenzung, Arbeitsverdichtung, durchgehende Erreichbarkeit via Smartphone und Projekthaftigkeit. Die Beschäftigungsverhältnisse werden diversifiziert. Es gibt immer mehr working poor, also Leute, die von ihrer Arbeit nicht leben können und daher mehrere oder häufig auch befristete Jobs haben.
»Den Maschinen die Arbeit und uns das Vergnügen«, heißt es in der Politrevue »Endlich wird die Arbeit knapp«, die im Herbst 2017 in Wien aufgeführt wurde. Es geht darum, dass auszehrende, monotone Tätigkeiten von Maschinen zu erledigen seien. Viele Arbeiten können von Robotern und Maschinen ausgeführt werden – und das sogar einfacher, besser, billiger und effizienter. Daher sollte die Automatisierung nicht als Schrecken, sondern als Segen ­gewertet, dieser zivilisatorische Fortschritt bejaht und forciert werden.

Von einer solchen Gesellschaft ist man aber unter gegenwärtigen Kräfteverhältnissen weit entfernt. Denn es gibt im Kapitalismus keine sinnvolle Planung der Automatisierung, bei der rational entschieden würde, was automatisiert werden soll und was nicht. Dies hat wenig mit der Digitalisierung selbst, aber viel mit Macht- und Herrschaftsstrukturen im Kapitalismus zu tun. Die Realität unter kapitalistischen Bedingungen zeigt, dass es für die Profitmaximierung ganz gleich ist, ob eine Arbeit von einer Maschine oder einem Menschen ausgeführt wird. Es hängt nur davon ab, was günstiger ist. Die Linke sollte diese Verwertungslogik der Digitalisierung kritisieren, nicht aber die Digitalisierung selbst. Es geht darum, dass kein Mensch Tätigkeiten ausführen sollte, die ein Roboter ebenso erledigen kann.

Autoren wie der britische Journalist Paul Mason (»Postkapitalismus«) oder die kanadischen beziehungsweise britischen Theoretiker Nick Srnicek und Alex Williams (»Die Zukunft erfinden«) fordern, die Linke solle sich politisch für Automatisierung, Arbeitszeitverkürzung und gegen das neoliberale Arbeitsethos einsetzen. Sie verbinden dies mit ­einem Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Der Glaube an den emanzipatorischen Charakter von Maschinen ­allein reicht nicht aus. Es geht nicht nur darum, Roboter einzusetzen. Man muss sich auch die Frage stellen, wem diese gehören und in welcher Gesellschaft sie zu welchem Zweck eingesetzt werden. Allein durch Automatisierung und Digitalisierung wird der Kapitalismus nicht überwunden werden. Hierfür muss die Eigentumsfrage gestellt und eine antikapitalistische Perspektive entwickelt werden. Es geht um die Befreiung der Maschinen vom kapitalistischen Verwertungszweck. Diese ist eine notwendige Bedingung für die Befreiung des Menschen. Dietmar Dath brachte dies in seinem Buch »Maschinenwinter« auf den Punkt: »Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können.«