Zum Stand der deutschen Rassismus-Debatte

Der Schatten des Orients

Seite 2 – Der Wegfall der Hemmnungen

So konstituiert sich das Volk zunehmend als Mob, der bereit ist, der Demokratie zunehmend das Lebensrecht zu entziehen, indem noch derzeit wechselnde Gruppen als Feinde designiert werden, denen gegenüber immer vehementere und brutalere Repressalien gefordert werden. Sofern das Sicherheitsgefühl durch diese Repressalien nicht etwa steigt, sondern sinkt, begibt man sich damit in einen Teufelskreis hinein, aus dem derzeit kein Ausbruch in Aussicht steht. Die Barrieren, die anlässlich des Selbstmordattentats von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an öffentlichen Plätzen aufgestellt wurden, erhöhen nicht etwa das subjektive Gefühl sich in Sicherheit zu befinden, sondern senken es an all jenen Orten, an denen diese Barrieren nicht stehen. Durch den Terrorismusverdacht werden zunehmend große Bevölkerungsgruppen nicht nur von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, sondern es wird sukzessive auch ihre bloße Fähigkeit zu dieser Teilhabe in Frage gestellt.

Je mehr der deutsche Sicherheitsapparat sich aufbaut, wie unlängst durch die neuen Polizeigesetze, umso präsenter wird die „orientalische Vielfalt“, die die Welt beschwört, deutlich als eine sicherheitspolitische Dystopie, aus der es kein Entkommen gibt.

Es sind die Schamesschwellen schon so weit gefallen, dass man sich nicht genierte, die Ankerzentren die als Lager für die Flüchtlinge genutzt werden sollten, unter der Ägide einer sogenannten „Achse“ Wien-Berlin-Rom zu unternehmen, was dann zwischenzeitlich als Flüchtlingskooperation euphemisiert wurde, aber einem in Hinblick auf die offensichtliche Taubheit der Verantwortlichen so nachdrücklich zu denken geben sollte wie Melania Trumps Besuch in den US-amerikanischen Flüchtlingslagern, wo Kinder ihren Eltern entrissen wurden. Ihr Mantel bei diesem Besuch trug die Aufschrift „I really don’t care, do U?“ und brachte auf zynischste Art und Weise zum Ausdruck, dass es im gesamten für diesen Pressetermin verantwortlichen Stab keine einzige Person gab, der im Interesse der Verantwortlichen Einhalt geboten hätte.

Der Todeskampf des Neoliberalismus bestand darin, auch noch die marginalisiertesten Kleingruppen zu befreien, um so vorzubereiten, dass unter der nur scheinbar gleichen Prämisse der gemeinsamen Teilhabe am politischen Allgemeinwesen nun wieder weiße Männer nach der Macht greifen.

Man weiß inzwischen, dass es nicht Hemmungen, sondern der Wegfall derselben sind, die einen in der Wählergunst nach vorne katapultieren, auch wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, wie weit man in der Enthemmung schon gehen darf. Horst Seehofer jedenfalls scheute sich nicht, seinen 69. Geburtstag dadurch zu feiern, dass er sich über die passende Abschiebung von 69 Flüchtlingen freute und selbst als einer der Betroffenen sich im Zuge der sogenannten Maßnahme das Leben nahm, war vom deutschen Innenminister kein Wort der Entschuldigung über diese Geschmacklosigkeit zu hören. Dieses Feiern der Enthemmung ist das Feiern des Wegfalls eines Jochs. Die political correctness ist besiegt, der alte Liberalismus entthront und ein neues Zeitalter des ehrlichen Realismus angebrochen. Dieses neue Zeitalter allerdings meint die Bewahrheitung der Lüge als Cassandra-Prophezeihung. Die Rede von der Flüchtlingskrise, die hierzulande zunächst von Pegida und Konsorten angestimmt worden war, seucht sich über die AfD in die Parlamente hinein, trifft auf die SPD als Law-and-Order-Partei der kleinen Männer die sich schon von Berufs wegen gedemütigt fühlen und suppt bis ganz nach links, wo mit Wagenknecht und Lafontaine Machtpolitiker bereit sind, für den Machterhalt auch Steigbügelhalter des Faschismus zu spielen.

Das Integrationsproblem ist ein Problem der Marginalisierten und Abgehängten, mit anderen Worten ein Problem der überwiegenden Mehrheit der unter den gegenwärtigen Bedingungen lebenden Menschen, die in immer wieder versuchen, zur Verhandlung zu stellen, ob ihre Rechte noch einen Pfifferling wert sind. Zusehends wird zur Disposition gestellt, wer das Recht hat, an die Futtertröge zu gelangen und es stellt sich ein, dass vor allem diejenigen dazu berechtigt sind, die zur ständigen Denunziation des Nächsten in irgendeiner Form bereit sind. Der Todeskampf des Neoliberalismus bestand darin, auch noch die marginalisiertesten Kleingruppen zu befreien, um so vorzubereiten, dass unter der nur scheinbar gleichen Prämisse der gemeinsamen Teilhabe am politischen Allgemeinwesen nun wieder weiße Männer nach der Macht greifen.