Zum Stand der deutschen Rassismus-Debatte

Der Schatten des Orients

Wie Rassismus unter dem Banner des Liberalismus salonfähig wurde.

Es wird heiß in Deutschland. Der Orient kommt. Man hört schon die Trommeln. Es wird eng und die Zeit knapp. Der Osten rollt, rappte der ostdeutsche Hooligan Joe Rilla noch vor einigen Jahren. Sein Osten stand nicht für syrische Flüchtlinge, sondern für Ostberliner Hooligans, aber es wird noch zu sehen sein, dass die Gefahr aus dem Osten realer und anders ist als man denkt.

Das zentrale Motiv der kulturindustriellen Produktion der letzten Jahre ist und bleibt die anhaltende Flüchtlingskrise. Es rauscht im Blätterwald der Zeitungen und Magazine, der Gazetten und der akademischen Publikationen. Es flüstert so laut, dass man sich regelrecht taub stellen muss, um es zu überhören. Alle Welt weiß Bescheid, vor allem natürlich das Sturmgeschütz des Springerverlages das auf diesen Namen hört: Deutschland hat sich verändert .

Das Flüstern der Blätter

Neue Unsicherheit und Law and Order halten Einzug nach Deutschland, auch wenn mit den Migranten vorwiegend der Orient kommt. Man will wissen, ob der Islam zu Deutschland gehört und ob man die Flüchtlinge nicht einfach ertrinken lassen soll 
Kurzum macht man aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr und bespricht ganz offen und hemmungslos das schmutzige Geheimnis der liberalen Staaten: dass ihre Liberalität auf Exklusion beruht, auf der Entscheidung der Kohabitation und des ökonomischen Ausschlusses des größten Teils der Welt. Walter Benjamin wies darauf hin, dass es die Arbeit des Passagenwerks sein müsse, die Kunst, ohne Anführungszeichen zu zitieren, zur höchsten Höhe zu entwickeln, um das Aufblitzen des kritischen Moments zu gewährleisten.

Hören wir also an, was die Kulturindustrie flüstert:

Deutschland ist nicht mehr das, was es noch vor der Silvesternacht 2015 war. Nicht nur die Stimmung ist anders, sondern die gesamte Politik. Der islamistische Terrorismus ist 2016 endgültig in Deutschland angekommen. Die Deutschen sind verunsichert, registrieren die Meinungsforscher von Allensbach. Vor fünf Jahren befürchteten noch lediglich 29 Prozent, dass sie Opfer eines Verbrechens werden könnten. Dieser Anteil stieg über die Jahre und lag 2016 schließlich bei mehr als 60 Prozent. Nun verüben jene Terroranschläge, die in Deutschland Asyl beantragten.  Dabei treibt die Politik schon seit zwei Jahren den Ausbau der Sicherheitsbehörden voran. Und dennoch: Es scheint nicht zu reichen.  

Die Gesellschaft ist 2016 durch die anhaltend starke Zuwanderung vielfältiger, vor allem orientalischer geworden: Die meisten der rund 350.000 neu eingereisten Schutzsuchenden einschließlich nachziehender Angehöriger stammen aus dem muslimisch geprägten Krisenbogen. Für keine Partei ist die Wetterlage so günstig wie für die AfD. Die Bundeskanzlerin hat sich nie wirklich für Sicherheitspolitik interessiert. Zehn Jahre lang gab sie Innenexperten das Gefühl, dies seien lästige Nervensägen.

Seehofers Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sei "nicht zielführend und sogar kontraproduktiv", sagte BDK-Chef André Schulz, dem Handelsblatt. Der CSU-Minister schüre "unnötig innergesellschaftliche Konflikte und Vorurteile, die nicht zuletzt die Polizei auszubaden hat". Gefährden Flüchtlinge die innere Sicherheit? Sind Flüchtlinge ein Terror-Risiko? Die Flüchtlingsaufnahme unterläuft die IS Propaganda und ist somit eine Chance im Kampf gegen den Terror.

Mit der Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland hat Bundesinnenminister Horst Seehofer eine neue Debatte entfacht. Der Islam gehöre sehr wohl zu Deutschland und stehe der Integration nicht im Wege, findet Islamwissenschaftler Mathias Rohe.

Für FOCUS Online hat er den Faktencheck gemacht. Wie verbreitet der Islam in Deutschland tatsächlich ist, lässt sich nicht genau bestimmen. Der Staat erfasst nicht bei allen Menschen die Religionszugehörigkeit.  Mit Tierblut verschmutzte Fassaden, Drohbriefe, Schmierereien wie "Islam stoppen" und Brandanschläge. 416 solche Angriffe auf Moscheen zählte das Bundeskriminalamt zwischen 2001 und 2016. Die Dunkelziffer dürfte dabei viel höher liegen. Viele Fälle werden der Polizei nicht gemeldet oder sie werden in der Statistik anders eingeordnet. Einen Großteil der Angriffe stufen die Behörden dabei als rechts motiviert ein. Einige sind aber auch auf Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zurückzuführen - wie etwa zwischen Türken und Kurden. Nur wenige Täter werden gefasst. 2015 blieben vier von fünf dokumentierten Delikten ungestraft, berichtet das Recherche-Netzwerk Correctiv. Und es sieht nicht so aus, als würden die Übergriffe zurückgehen.

Ob der Islam zu Deutschland gehört, wäre eine Frage die man mit gutem Grund hätte den deutschen Muslimen stellen können, etwa um ihre Zugehörigkeitsgefühle zum deutschen Staat auf die Probe zu stellen, stattdessen aber stellte man diese Frage den Deutschen schlechthin und stellte damit auf die Probe, ob die Muslime überhaupt im besten Fall einen Grund hätten sich zu Deutschland zugehörig zu fühlen.

Die unorthodoxe Art der Zitation ist tendenziös und unwissenschaftlich, was sie in so außerordentlichem Maße angemessen macht, um die Qualität der deutschen Berichterstattung wiederzugeben. Schließlich sind es nicht systematisch ausgewertete Studien, die in der täglichen Presse rezipiert werden, sondern Schlagwörter, Schlagzeilen, Trigger-Elemente, die dazu dienen, die Auflage oben zu halten und nicht in der Konkurrenz zurückzufallen. Kein Blatt wäre ernstzunehmen, dass es nicht mit den Sorgen der Leute hielte, sie nicht belieferte: genau wie die Kanzlerin und das Volk macht sich auch die Presse Sorgen darüber, wie es mit der Sicherheit steht. Dass gerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl (ein Gleichbleiben der autochthonen Bevölkerung vorausgesetzt) die Straftatenzahl durch die Flüchtlinge nicht stieg, sondern sank, interessiert in letzter Instanz so wenig wie die ökonomische Entwicklung Deutschlands, die ohnehin nur peripher durch die Flüchtlinge beeinflusst wird.

Die Integrationskrise liegt deutlich ohnehin anderswo: immer größere Teile der Bevölkerung sind bereit und willens zu verhandeln, ob und inwiefern Menschen unter bestimmten Umständen ihre Bürgerrechte abgesprochen werden sollten, zu denen nun einmal unweigerlich auch das Recht auf freie Religionsausübung im Rahmen der geltenden Gesetze gehört.

Ob der Islam zu Deutschland gehört, wäre eine Frage die man mit gutem Grund hätte den deutschen Muslimen stellen können, etwa um ihre Zugehörigkeitsgefühle zum deutschen Staat auf die Probe zu stellen, stattdessen aber stellte man diese Frage den Deutschen schlechthin und stellte damit auf die Probe, ob die Muslime überhaupt im besten Fall einen Grund hätten sich zu Deutschland zugehörig zu fühlen. Deutlich auch die Untrennbarkeit des Islam vom Terrorismus und den Akten sicherheitspolitischer Zuspitzung. Anstatt diese mit dem durch Xenophobie, nicht durch Fakten gespeisten Bewusstsein der Deutschen zu erklären, wird diesem durch die Blume recht gegeben, indem man die Sorgen der Menschen nicht etwa rationalisiert und kontextualisiert, sondern ihnen unmittelbar Recht gibt.

Der Wegfall der Hemmnungen

So konstituiert sich das Volk zunehmend als Mob, der bereit ist, der Demokratie zunehmend das Lebensrecht zu entziehen, indem noch derzeit wechselnde Gruppen als Feinde designiert werden, denen gegenüber immer vehementere und brutalere Repressalien gefordert werden. Sofern das Sicherheitsgefühl durch diese Repressalien nicht etwa steigt, sondern sinkt, begibt man sich damit in einen Teufelskreis hinein, aus dem derzeit kein Ausbruch in Aussicht steht. Die Barrieren, die anlässlich des Selbstmordattentats von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an öffentlichen Plätzen aufgestellt wurden, erhöhen nicht etwa das subjektive Gefühl sich in Sicherheit zu befinden, sondern senken es an all jenen Orten, an denen diese Barrieren nicht stehen. Durch den Terrorismusverdacht werden zunehmend große Bevölkerungsgruppen nicht nur von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, sondern es wird sukzessive auch ihre bloße Fähigkeit zu dieser Teilhabe in Frage gestellt.

Je mehr der deutsche Sicherheitsapparat sich aufbaut, wie unlängst durch die neuen Polizeigesetze, umso präsenter wird die „orientalische Vielfalt“, die die Welt beschwört, deutlich als eine sicherheitspolitische Dystopie, aus der es kein Entkommen gibt.

Es sind die Schamesschwellen schon so weit gefallen, dass man sich nicht genierte, die Ankerzentren die als Lager für die Flüchtlinge genutzt werden sollten, unter der Ägide einer sogenannten „Achse“ Wien-Berlin-Rom zu unternehmen, was dann zwischenzeitlich als Flüchtlingskooperation euphemisiert wurde, aber einem in Hinblick auf die offensichtliche Taubheit der Verantwortlichen so nachdrücklich zu denken geben sollte wie Melania Trumps Besuch in den US-amerikanischen Flüchtlingslagern, wo Kinder ihren Eltern entrissen wurden. Ihr Mantel bei diesem Besuch trug die Aufschrift „I really don’t care, do U?“ und brachte auf zynischste Art und Weise zum Ausdruck, dass es im gesamten für diesen Pressetermin verantwortlichen Stab keine einzige Person gab, der im Interesse der Verantwortlichen Einhalt geboten hätte.

Der Todeskampf des Neoliberalismus bestand darin, auch noch die marginalisiertesten Kleingruppen zu befreien, um so vorzubereiten, dass unter der nur scheinbar gleichen Prämisse der gemeinsamen Teilhabe am politischen Allgemeinwesen nun wieder weiße Männer nach der Macht greifen.

Man weiß inzwischen, dass es nicht Hemmungen, sondern der Wegfall derselben sind, die einen in der Wählergunst nach vorne katapultieren, auch wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, wie weit man in der Enthemmung schon gehen darf. Horst Seehofer jedenfalls scheute sich nicht, seinen 69. Geburtstag dadurch zu feiern, dass er sich über die passende Abschiebung von 69 Flüchtlingen freute und selbst als einer der Betroffenen sich im Zuge der sogenannten Maßnahme das Leben nahm, war vom deutschen Innenminister kein Wort der Entschuldigung über diese Geschmacklosigkeit zu hören. Dieses Feiern der Enthemmung ist das Feiern des Wegfalls eines Jochs. Die political correctness ist besiegt, der alte Liberalismus entthront und ein neues Zeitalter des ehrlichen Realismus angebrochen. Dieses neue Zeitalter allerdings meint die Bewahrheitung der Lüge als Cassandra-Prophezeihung. Die Rede von der Flüchtlingskrise, die hierzulande zunächst von Pegida und Konsorten angestimmt worden war, seucht sich über die AfD in die Parlamente hinein, trifft auf die SPD als Law-and-Order-Partei der kleinen Männer die sich schon von Berufs wegen gedemütigt fühlen und suppt bis ganz nach links, wo mit Wagenknecht und Lafontaine Machtpolitiker bereit sind, für den Machterhalt auch Steigbügelhalter des Faschismus zu spielen.

Das Integrationsproblem ist ein Problem der Marginalisierten und Abgehängten, mit anderen Worten ein Problem der überwiegenden Mehrheit der unter den gegenwärtigen Bedingungen lebenden Menschen, die in immer wieder versuchen, zur Verhandlung zu stellen, ob ihre Rechte noch einen Pfifferling wert sind. Zusehends wird zur Disposition gestellt, wer das Recht hat, an die Futtertröge zu gelangen und es stellt sich ein, dass vor allem diejenigen dazu berechtigt sind, die zur ständigen Denunziation des Nächsten in irgendeiner Form bereit sind. Der Todeskampf des Neoliberalismus bestand darin, auch noch die marginalisiertesten Kleingruppen zu befreien, um so vorzubereiten, dass unter der nur scheinbar gleichen Prämisse der gemeinsamen Teilhabe am politischen Allgemeinwesen nun wieder weiße Männer nach der Macht greifen.

Der Westen und die Menschenrechte

Die politischen Erschütterungen, die wir spüren, sind nach wie vor die Erschütterungen der Finanzkrise und Bankenkrise, die einerseits in Form kapitaler Macht den einzelnen Staaten des Westens Austeritätsprogramme auferlegte und sie dazu nötigte, die Sozialsysteme weiter einzuschränken und andererseits dieselben Staaten dazu brachte, in einen erweiterten Wettbewerb mit ihren Konkurrenten auf dem Weltmarkt zu treten, um nicht als Erste unters Rad zu kommen. In dieser Gemengelage erlebten nicht nur die USA, sondern sehr wohl auch in Deutschland das Gefühl einer nationalen Demütigung, einen Auftrieb, das sich ein Ventil suchen musste und es in den Mechanismen eines revitalisierten Imperialismus fand. Während vorerst noch die Westbindung gesucht wird und die transatlantische Freundschaft noch Lippenbekenntnisse bekommt, schwebt schon der Schatten eines Orients über dem Westen, dessen Orientalisierung nichts weiter ist als sein eigenes dunkles Geheimnis. Der Orient als solches existierte nie außer als Vorstellung des Okzidents und im gleichen Maß, in dem der Westen seine Autonomie gegenüber dem Kapitalverhältnis verliert, ersteht im Osten sein dunkler, autoritärer Gegenspieler als Gespenst des Kommunismus aus dem Grabe auf. Die Angst vor dem Osten koinzidiert mit dem Irrtum über den Westen als Geburtsort der Menschenrechte. Die Vereinten Nationen, die sich als Antwort auf den Nationalsozialismus überhaupt erst gründeten, konstituierten sich damit schließlich, obschon westlich, grade nicht im Sinne des Westens, sondern als der eigentliche Gegner eines mit Deutschland allemal westlichen Landes, dem es als erstes unterlaufen war, eine komplette Bevölkerungsgruppe aus seinem politischen Leben auszuschließen und so den Geist des Kommunismus zu bannen.

Die Furcht vor dem entfachten Weltbrand schließlich konstituierte den Westen neu als Geburtsort der Menschenrechte, die sich zurecht als Verwirklichung der Ideale von 1789 verstehen durften und die in ihrer Umsetzung dann ab 1989 und dem Zusammenbruch des Ostblocks beanspruchen konnten, eine regelrechte Alleinvertretung durch den Westen zu haben. Diese bereinigte Geschichte des Liberalismus, in der die Erinnerung an den Faschismus de facto ausgelöscht erscheint, konstituierte den Westen als den Statthalter der Liberalität, die sich in Form der „politischen Korrektheit“ sukzessive jede begriffliche Einordnung politischer Subjekte versagte und selbst beschnitt, was die politischen Subjektivitäten von einst — seien es Feministen, Kommunisten, Anarchisten oder gar Arbeiter — entpolitisierte und damit unter der Hand als reine Marktsubjekte setzte. Diese Marktsubjekte, deren Abstimmungsverhalten in letzter Instanz mit dem Geldbeutel erfolgte und darüber noch einmal eine klare Subjektivierung, zumindest auf dem Markt, erlaubte, sind in den politischen Raum zunehmend nur noch als Stimmvieh eingebunden, das in vierjährigem Turnus den status quo in einer Wahlaktion bestätigt und als zahlungskräftiger Absatzmarkt, dem zugleich allerdings im Zuge des Abschmelzen des Mehrwerts die Zahlungskraft verloren geht, was auch zu einer Entsubjektivierung auf diesem Gebiet führt.

Zurück bleibt nur das Gefühl totalen disenfranchisement, ein Begriff, der nicht zufällig dem Markt entlehnt ist: selbst das Merchandise, das der Markt anfangs noch anbot, als Zugehörigkeitsangebot zum Westen und das anfangs einem ostdeutschenfeindlichen Klischee zufolge auch in Form von Videorekordern und Bananen aus den Händen gerissen wurde, entpuppt sich zunehmend als Müll und verlangt nach neuen Formen der Partizipation.

Sofern die Partizipation in diesem neuen, totalitären Staat nur noch als Gängelung sichtbar wird, die sich in Jobcentern, Einkaufshallen und ähnlichem beständig zeigt als die Drohung, am sozialen und politischen Leben ohne monetäre Handhabe nicht mehr teilhaben zu dürfen, wird diese Gängelung, die im Neoliberalismus noch im selben Maße als scheinbar natürliches Schicksal der Armen galt, nun aktiv übernommen und bejaht. Die Enthemmung, die die Anhänger Trumps und Seehofers betreiben und zynisch bejahen, ist nichts anderes als die enthemmte Gewalt des Systems, das sich nun personifiziert ermächtigt und in die Lage setzt, endlich selbst einmal die Knute in der Hand zu halten und zu schwingen.

Absoluter Erfolg und totale Niederlage der Kulturindustrie gehen hierbei Hand in Hand: die wechselseitige Gängelung durch immer neue Typen der Diskriminierung sorgt dafür, beständig den Druck auf die einzelnen Bevölkerungsteile zu erhöhen, am Wettlauf teilnehmen zu wollen, während andererseits der Wettlauf sich selbst delegitimiert. Die personalisierte Herrschaft, die sich in der Hand einiger weniger Gewinner sammelt, erscheint gegenüber der anonymen Vergesellschaftung des Kapitals, die für eine gleichberechtigte Diskriminierung aller sorgt ,mit einem Male als geradezu ansprechend und beruhigt. Die elitären Gruppen können sich dabei der Zugehörigkeit auch liberaler Teile der Bevölkerung versichern, indem sie ihren Anteil an der Deliberalisierung zunächst als Liberalisierung verschleiern. Ein Fallbeispiel mag das demonstrieren.

Özil und Deutschland

Während nach dem Besuchs des Fußballers Oliver Bierhoffs bei Putin keinerlei Kritik laut wurde, erfolgte ein wesentlich höheres Echo beim nach eigener Aussage „halben Russen“ Lothar Matthäus, bis die Situation schließlich über das Foto von Mesut Özils mit Erdogan eskalierte. Nachdem Özil sich so starken Anfeindungen ausgesetzt sah, dass er schließlich seinen Platz in der deutschen Nationalmannschaft aufgab, trat die Presse noch einmal nach, indem sie flächendeckend den Brief des Kurden Deniz Naki veröffentlichte, der ihn dazu aufforderte, zunächst gegen Rassismus in der Türkei Stellung zu beziehen, bevor er sich zu Rassismus in Deutschland äußere. Indem so die Deutschen vom Vorwurf selbst rassistisch zu sein exkulpiert wurden und der Rassismus in der Türkei angesiedelt wurde, gelang es einerseits der deutschen Presse ein liberales Statement zu äußern und andererseits den Vorstoß zu machen, einem deutschen Staatsbürger mit türkischen Wurzeln mitzuteilen, er solle in die Türkei heimkehren.

So desolat der Zustand der Presse bereits jetzt schon ist, ihren Untergang wird sie in dem Moment besiegeln,  indem sie beginnt, auf die Berichterstattung über fake news aufzuspringen: Kulturindustrie und Journalismus sägen am Ast, auf dem sie sitzen.

Rassismus wird unter dem Banner des Liberalismus salonfähig, bevor er sich offen zu sich selbst bekennt, indem die Eliten und Mehrheiten erkennen, dass sie eigentlich die „meistbetroffenen“ sind. So berichtete die Welt, dass es „natürlich Rassismus“ sei, wenn Deutsche als Kartoffeln beleidigt würden. Die inhaltlich völlig korrekte Aussage fügt sich in einen Kontext, in dem es sich zunehmend normalisiert, dass unter liberalen Vorzeichen grade die Kämpfe der im Liberalismus benachteiligten Gruppen um Partizipation wo nicht negiert, so doch hintangestellt werden, um der Mehrheitsbevölkerung mitzuteilen, dass ihre relative Bevorzugung doch etwas sei, woran sie als ebenfalls Benachteiligte das Recht hätten, festzuhalten. Dieses Recht, an übervorteilenden Privilegien festzuhalten wiederum bildet die Grundlage des Umschlags in das, was dann in den USA bereits unter Trumps Ägide betrieben wird und als Herrschaft der Lüge angesehen werden kann. Sofern die Lügen, die ab diesem Punkt benötigt werden, um die Übervorteilung durch partikulare Interessensgruppen noch plausibel erscheinen zu lassen, auch als solche kenntlich sind, rechnet es zu ihrer Strategie, noch das benennen der Lüge als Lüge zu verfälschen und ihre Herrschaft damit total zu machen.

So desolat der Zustand der Presse bereits jetzt schon ist, ihren Untergang wird sie in dem Moment besiegeln,  indem sie beginnt, auf die Berichterstattung über fake news aufzuspringen: Kulturindustrie und Journalismus sägen am Ast, auf dem sie sitzen. Ob die vierte Gewalt die anderen drei vor sich selbst retten kann, ist fraglich.