Donald Trumps Handelskonflikte mit der EU und China

Erweiterter Selbstmord

Wie der Trump’sche Handelskrieg die kapitalistische Weltordnung erschüttert.

Wie schon Clausewitz wusste, beginnen Kriege erst mit der Verteidigung. Der EU-Führung scheint klar zu sein, dass das auch für Handelskriege gilt. Jedenfalls hat sie angesichts der von US-Präsident Donald Trump verhängten Strafzölle auf Stahl und Aluminium nur mit mehr oder minder symbolischen Maßnahmen geantwortet. Im Juli traten Zölle auf Bourbon-Whiskey, Erdnussbutter und ähnliche Nischenprodukte in Kraft. Parallel dazu reichte die um Schadensbegrenzung bemühte EU Klage bei der Welthandelsorganisation WTO ein, wohl wissend, wie wenig die US-Administration sich um einen für sie ­ungünstigen Richterspruch scheren wird. Ansonsten signalisiert die EU, mit der schwachen Hoffnung, die US-Regierung vielleicht doch noch ab­zuschrecken, dass mit der Einführung von Strafzöllen auf Autos die »rote ­Linie«, wie es oft heißt, überschritten wäre.

Während der transatlantische Handelsstreit nach dem »Deal« zwischen Jean-Claude Juncker und Trump erst einmal vor sich hin schwelt, stehen die Zeichen im Konflikt der USA mit China auf Eskalation. Das liegt zum einen an der Taktik der chinesischen Regierung, die auf jede neue Strafabgabe mit Gegenzöllen im gleichen Gesamtvolumen reagiert. Zum anderen ist der Konflikt mit China in der Sache weit brisanter als der mit der EU. Bezieht man die Dienstleistungsbilanz mit ein, zu der die Einnahmen von Unternehmen wie ­Microsoft und Amazon zählen, besteht nämlich überhaupt kein Ungleich­gewicht zwischen den USA und dem EU-Raum als ganzem. Hohe Defizite ­erwirtschaften die USA ausschließlich im Handel mit Deutschland samt ­seiner verlängerten Werkbänke und nur auf dem Feld der industriellen ­Produktion. Dagegen entfällt fast die Hälfte des US-Handelsbilanzdefizits von zuletzt 811 Milliarden Dollar auf China, beim Leistungsbilanzdefizit sind es sogar 77 Prozent.

Fast allen Ökonomen steht angesichts der Trump’schen Handelspolitik der Angst­schweiß auf der Stirn – zu Recht.
Umso blödsinniger ist freilich die landläufige Kritik daran.

Die gewaltigen Handelsbilanzdefizite der USA gehören seit der neoliberalen Revolution in den frühen achtziger Jahren zur Grundstruktur der Weltwirtschaft. Hatte die westliche Vormacht in den siebziger Jahren noch eine klassisch keynesianische Politik betrieben, um durch niedrige Leitzinsen und Währungsdumping die Wettbewerbssituation der US-amerikanischen Industrie zu verbessern, so vollzog die Reagan-Regierung einen radikalen Strategiewechsel. Sie nutzte die Sonderstellung des Dollars als Weltgeld, setzte auf die Dynamik der Finanzmärkte und verwandelte die USA mit ihrer Hochzins- und Steuersenkungspolitik in das gelobte Land des nach Anlagemöglichkeiten suchenden globalen Geldkapitals. Seitdem treibt der permanente Zufluss ausländischen Geld­kapitals die US-Konjunktur. Die neoliberale Therapie zur Überwindung von Wachstumsschwäche und galoppierender Inflation hatte freilich auch Nebenwirkungen. Schon das hohe Zinsniveau belastete die US-­Industrie damals enorm. Noch fataler wirkte sich aber der mit dem Ansaugen des ausländischen Geldkapitals einhergehende ­Höhenflug des Dollars auf die internationale Konkurrenzfähig­keit aus. Das Land machte eine regelrechte Deindustrialisierung durch, von der es sich nie mehr erholt hat.

Damit bildete sich auch eine neue Form von internationaler Arbeits­teilung heraus, auf der bis heute das Wachstum der Weltwirtschaft beruht. Die USA exportieren immer größere Massen fiktiven Kapitals, wie Aktien und Schuldtitel, die einen Vorgriff auf zukünftigen Wert darstellen, in alle Welt. Das ermöglicht namentlich Ostasien und dem Exportweltmeister Deutschland, im Gegenzug auf den globalen Gütermärkten zu reüssieren. ­Statistisch erscheint dieser Austausch von Gütermarktwaren gegen fiktives Kapital als US-Außenhandelsdefizit. ­Allein in der ersten Amtsperiode Rea­gans verfünffachte sich dieses auf 122 Milliarden Dollar jährlich und wuchs in der Folge kontinuierlich weiter.

Der große Krisenschub von 2008 stellte diese verrückte Ordnung vor eine Zerreißprobe. Nach der Pleite von Lehman Brothers drohte ein massen­hafter Abzug von privatem Geldkapital aus den USA, der nicht nur den dortigen Finanzsektor zusammenbrechen hätte lassen können, sondern das ­gesamte auf der Vorabkapitalisierung künftiger Wertproduktion beruhende weltwirtschaftliche Gefüge. In dieser Situation leistete ausgerechnet das staatskapitalistische China, der größte Gläubiger der USA, den entscheidenden Beitrag zur Rettung des gemeinsamen kapitalistischen Ladens. Auf ­Anweisung der Regierung kauften die chinesischen Staatsfonds im großen Stil US-amerikanische Kapitalmarktwaren auf, insbesondere Staats­papiere, und beendeten damit die ­Kapitalflucht aus den USA.
Knapp zehn Jahre später wird die für das von der Finanzmarktdynamik ­abhängige Weltkapital charakteristische Arbeitsteilung zwischen den USA und ihren Partnern abermals infrage ­gestellt. Diesmal geht die Gefahr aber nicht vom privaten Geldkapital und dessen schwindendem Vertrauen in die Solvenz der US-Banken aus. Vielmehr bläst die US-Politik unter Trump zum Generalangriff auf die Handelsbilanzüberschüsse der anderen und kündigt damit die Geschäftsgrundlage des ­kapitalistischen Weltgesamtbetriebs auf. Die westliche Vormacht räumt damit die Ordnung ab, die sie vor 40 Jahren selber installiert hat.

Fast allen Ökonomen steht angesichts der Trump’schen Handelspolitik der Angstschweiß auf der Stirn – zu Recht. Umso blödsinniger ist freilich die landläufige Kritik daran. Allenthalben wird wieder einmal das hohe Lied auf den Freihandel und seine segenspendende Wirkung angestimmt, ganz so, als würde der globalisierte Kapitalismus nicht Heerscharen von Verlierern ­produzieren. Würden jedoch tatsächlich von den vermeintlichen Vorteilen des Freihandels alle US-Amerikaner gleichermaßen profitieren, gäbe es das Phänomen Trump nicht.