Über die Ablehnung des Westens von links

Monotonie der Ablehnung

Seite 2 – Anschlüsse
Essay Von

Nur bekennende Nazis, Querfrontler und Ethnopluralisten dürfen nicht mitmachen, obwohl sie den Westen und Amerika schon immer aus ehrlichem Herzen bekämpft haben. Inhaltlich überschneiden sich ihre Positi­onen mit linkem Ressentiment; etwa in der Gleichsetzung der Dynamiken des Weltmarktes mit Entscheidungen amerikanischer und europäischer Eliten. Zudem findet der rechte Furor gegen den Materialismus von Marktgesellschaften, die indi­vidualistische Herabsetzung der Gemeinschaft und die Entfremdung von kulturellen Traditionen durch universalistische Werte in linken Hoffnungen auf die Widerstands­potentiale unterdrückter Völker seine Resonanz.

Ein Beispiel ist die Katalonien-Solidarität von Gruppen wie der IL. ­Anlässlich des letztjährigen Unabhängigkeitsreferendums überschrieb das Bündnis seine Solidaritätsadresse für die separatistische Be­wegung mit »Alles Gute zum Tag der katalanischen Einheit«. Obwohl nur 42,5 Prozent der circa fünf Millionen Wahlberechtigten am Urnengang teilnahmen, es über 100 000 Nein-Stimmen sowie Tausende ungültig gemachte Stimmzettel gab und sich in Umfragen etwa die Hälfte der Einwohner gegen die Abspaltung ausgesprochen hatte, wurde der Ausgang des Referendums zum einheitlichen Volkswillen erklärt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo nur »die scheinbare Einheit unter Neoliberalismus und Kapitalismus« gefeiert ­werde, kämpften »die Menschen in Katalonien (…) für ein Leben in Würde und Freiheit«. Dass auf diese Weise jene Bevölkerungsteile entmündigt wurden, die den katalanischen Ethnonationalismus ablehnen, weist ebenso in Richtung rechter Identitätspolitik wie die Aussage, die Unabhängigkeitsfreunde hätten vor allem »Würde« und »Freiheit« im Sinn. Als individuelle Rechte im Geltungsbereich kapitalistischer ­Demokratien sind Menschenwürde und bürgerliche Freiheit in Spanien durchgesetzt. Erst die Annahme ­einer ethnozentrischen Selbstidentifikation und der absurde Glaube, die kulturelle Autonomie der Katalanen werde vom spanischen Imperialismus unterdrückt – was schon angesichts der katalanischen Amts­sprache wenig plausibel ist –, gibt dem Kampf der Separatisten einen Sinn, der allerdings ein rechter ist.

 

Fortschritt und Verbrechen

Ideengeschichtlich geht der linke Traum von der Befreiung auf die bürgerlichen Revolutionen zurück, während sich die Rechte stets als ­Opponent des Liberalismus verstand. Doch obwohl despotische, klerikale und autoritäre Regime den zwischenzeitlichen Siegeszug von am westlichen Vorbild orientierten Demokratien, wie er sich nach 1990 insbesondere in Osteuropa Bahn brach, mittlerweile gestoppt haben, verteidigen Linke die Lebensverhältnisse in den westlichen Kernländern nicht als Modell des historischen Fortschritts. Wer dies versucht, bekommt die ­Leichen der ursprünglichen Akkumulation und des Kolonialismus in ­Rechnung gestellt.

Zweifelsohne kann sich der Westen seiner Verbrechensgeschichte nicht entziehen. Steigendes Wohlstandsniveau und Warenreichtum gingen nicht nur mit der Eingrenzung zwischenmenschlicher Gewalt, sozialer Differenzierung und der Ausbildung bürgerlicher Umgangsformen einher, sondern beruhten gerade in ihren Anfängen auf der gewaltsamen Durchsetzung des Fabrik­regimes sowie Unterwerfung und Massenmord in der Neuen Welt. Auch die 1789 propagierten Werte »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« wurden im Rahmen kolonialistischer Praktiken gerade von den Ursprungsländern des Liberalismus missachtet. Als universeller Orientierungspunkt der Emanzipation gingen sie jedoch nicht verloren. Die Sklaven von Saint-Domingue schmetterten im Aufstand von 1791 ihren französischen Kolonialherren die Marseillaise entgegen, die Aufhebung der Sklaverei dokumentierte ebenso wie die Gewährung von Bürgerrechten für Frauen und religiöse Minderheiten die universale Sprengkraft der Europa und Amerika entstammenden ­Ideen. Ihr Ursprungsort machte sie zu westlichen Werten, ihre im Vergleich zu anderen Weltgegenden umfassendere und institutionell stärker abgesicherte Geltung in einigen Staaten macht diese noch heute ­jenseits geographischer Bestimmungen zum »Westen«.

Die konstitutionell verankerten Freiheitsrechte des Individuums, demokratische Teilhabe sowie geschlechtlicher, kultureller und religiöser ­Pluralismus werden zwar von Linken als lebensweltliche Existenzgrund­lage gern in Anspruch genommen, nicht aber offensiv gewürdigt. Stattdessen dient das historische Bewusstsein für die Möglichkeit des Umschlagens demokratischer Verhältnisse als Imprägnierung gegen die ­Anerkennung substantieller Unterschiede in der Staatenwelt. Schon für die Neue Linke nach 1968 erleichterte die Bezeichnung des repressiven Antikommunismus im Westen als Faschismus die Solidarität mit ­totalitären Staaten wie Albanien, China, Jugoslawien, oder eben als DKPler mit der Sowjetunion und der DDR. In den letzten Jahrzehnten ­verwischten die Warnungen vor einem »autoritären Etatismus«, der sich in den westlichen Staaten entwickle, die begriffliche Unterscheidung zu den zweifelsohne autoritären Regimen der Khameneis, Erdoğans, Putins und Xi Jinpings.

Linkes Verständnis für islamistischen Terror treibt diese Indifferenz auf die Spitze. Dass der Westen das ­eigentliche Problem sei und seine Institutionen als Werkzeuge kapi­talistischer Landnahme und kultureller Durchdringung abgelehnt werden müssten, fand sich nach dem 11. September 2001 in paradigmatischer Form im Buch des Politikwissenschaftlers Gazi Çağlar »Der ­Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt«. Der Autor forderte, den »fundamentalistischen Terror« nicht »ohne einen Blick (…) auf die ökonomisch-kulturelle und militärische Kolonialisierung, die eine terroristische Vereinheitlichung vorgefun­dener Sprachen und Wahrnehmungen betreibt«, zu erklären. »Wie Piraten« würden »die Mächte der kapitalistischen Moderne unter dem ­Banner der Menschenrechte – und im Schlepptau Nato und Hollywood – in das ›Andere‹« einfallen und »den Schatz der alten Imagi­nationen und alten Weltbilder« plündern. Weil die »kolonisierten Völker (…) angesichts der ökonomischen Barbarei« der Metropolen »zu anderen Gefühlsregungen nicht im­stande sind«, könnten sie einzig »mit regelmäßigen Ausbrüchen von Hass« reagieren.

Die Abschirmung der solcherart idealisierten »Anderen« vor Kritik und die Abwertung der kapitalistischen Moderne gegenüber einer ­guten Kultur des Althergebrachten entspringen der Sehnsucht nach schicksalhafter Unveränderlichkeit. Die besagten Formulierungen transportieren jenen Kulturalismus, den sie angeblich kritisieren. Solche Projektionen führen bis heute zur Unfähigkeit, sich mit islamisch gerechtfertigter Menschenverachtung auseinanderzusetzen. Ob in den ­Debatten nach Silvester 2015/16 oder im Anschluss an die sexuellen Übergriffe in Kulturzentren wie dem Conne Island in Leipzig – wer auf das »sexuelle Elend der arabischen Welt« ­(Kamel Daoud) hinweist und die Prägung durch ein fundamentalistisches, vor allem auch im Islam verankertes Frauenbild thematisiert, muss mit dem Vorwurf der Islamophobie rechnen. Im Umgang mit der Islamistin Linda Sarsour, eine der vier Hauptorganisatorinnen des »Women’s March on Washington« von 2017, zeigte sich, wie schwer ­Linken die Positionierung im Wertekonflikt zwischen islamischem ­Fundamentalismus und westlichem Freiheitsversprechen fällt. Obwohl das »Brooklyn Homegirl in a Hijab« (New York Times) strenggläubig ist, die Sharia verteidigt, zum Jihad gegen den »Faschismus im Weißen Haus« aufruft und das antiisraelische BDS-Netzwerk unterstützt, erfuhr sie ­Kritik einzig von konservativen und liberalen Politikern, während sie weltweit auf linke Fürsprache zählen konnte.

 

Geschichte einer Feindschaft

Die linke Verteidigung des Autochthonen geht auf den Kalten Krieg ­zurück. Dies hat Jan Gerber in seinem Buch »Das letzte Gefecht« heraus­gearbeitet. Nachdem die vormalige Staatenordnung zerstört war, flammten nach 1945 in Algerien, Vietnam und anderswo antikoloniale Kämpfe auf. In semantischer Anspielung auf den Begriff des Dritten Standes avancierte nun die »Dritte Welt« zum Träger revolutionärer Umwälzungen, da in ihr ähnlich den Bauern und Bürgern im Ancien Régime eine rechtlose Bevölkerungsmehrheit als Souverän der Geschichte gesehen wurde.

Für antiimperialistische Linke bot die Trikont-Solidarität einen Ersatz für unerfüllte Hoffnungen. In den kapitalistischen Metropolen nahm mit dem wachsenden Wohlstand das revolutionäre Bewusstsein ab, die Grenzen zwischen Arbeiterklasse und Mittelschicht verschwammen. Hinzu kam die Ernüchterung über die Sowjetunion, der noch im Zweiten Weltkrieg viele Sympathien entgegengebracht worden waren, die sich aber mit der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 nicht als Unterstützerin der Freiheit, sondern als östliche Hegemonialmacht ­offenbarte. In der Folge sollte auf Jahrzehnte hinweg das Muster eines Kampfes zwischen der Ersten und der Dritten Welt – ideologisch von marxistischen Imperialismustheorien gestützt – die linke Wahrnehmung weltpolitischer Konflikte bestimmen. Insbesondere Lenins Annahme, ­wonach die Akkumulationsprobleme des Kapitals zu Monopolisierungstendenzen führen und die Industriestaaten, getrieben von Finanzoligarchie und Monopolkapital, zur Sicherung ihrer Profite die Aufteilung der Welt anstreben, versprach eine scheinbar materialistische Welter­klärung. Zudem bot die Diagnose, der Imperialismus sei als höchstes ­Stadium des Kapitalismus zur Ausbeutung von Kolonien gezwungen, was in der Folge im Aufbäumen »unterdrückter Völker« gegen die wachsende »Fremdherrschaft« resultiere, eine Handlungsorientierung für ­Metropolenlinke. Benötigt der Kapitalismus die Kolonien zu seiner ­Reproduktion, so treffe die Unterstützung des antikolonialen Kampfes ­direkt in das »Herz der Bestie«.

Als Konsequenz gerieten der Westen und insbesondere seine amerikanische Führungsmacht zum Feindbild, die »unterdrückter Völker« zur positiv besetzten Projektionsfläche. Dabei beruhte die Wahrnehmung der Vereinigten Staaten als Gegner des Fortschritts und der Freiheit nicht auf reiner Einbildung. Zwar hatten die USA Nationalsozialismus und Faschismus bekämpft, doch seit den fünf­ziger Jahren wurden sie aus Angst vor dem Kommunismus zum Sachwalter der untergehenden Kolonialreiche. In Südamerika setzten sie ihre antikommunistisch begründeten geostrategischen Pläne mit Hilfe von Militärdiktaturen durch. In solchen Zweckbündnissen ging man über Leichen. Die Partikularität des west­lichen Freiheitsversprechens wurde umso deutlicher, als die vom sowje­tischen Block unterstützen Entwicklungsdiktaturen in der Tat gesellschaftliche Verbesserungen anstrebten. In Angola, Kuba, Nicaragua und anderen von Kolonialmächten oder Militärdiktaturen befreiten Staaten erfolgten die rechtliche Gleichstellung der Frau sowie Maßnahmen zur ­sozialen Grundversorgung und Realisierung von Bildungsgerechtigkeit.

Nichtsdestotrotz zeigte sich erneut der potentiell universelle Charakter der westlichen Wertekonzeption, da sie sowohl Referenzpunkt und Ermöglichungsbedingung der Proteste gegen den Antikommunismus blieb, als auch in den Forderungen der ­Befreiungsbewegungen selbst präsent war. So hatte etwa die erste Verfassung Nordvietnams die der Vereinigten Staaten zum Vorbild und Ho Chi Minh erinnerte Richard Nixon in ­Briefen noch während der amerikanischen Invasion daran, dass der viet­namesische Befreiungskampf dem historischen Projekt antikolo­nialer Unabhängigkeit folge, dessen Produkt auch die Vereinigten Staaten seien, was bei Gerber nachzulesen ist.

Der linke Antiimperialismus stabilisierte sich indes nicht nur mit ­Hilfe berechtigter Empörung. Zur Sub­limierung revolutionärer Energie ­gehörten die Verklärungen ethno-kultureller Rückständigkeit und die Abwehr von westlicher Modernisierung. In Deutschland kamen Motive projektiver Geschichtsentlastung hinzu. Der Kampf gegen die USA entsprang einer »befreienden Verschiebung«, die in der linken Parole »USA–SA–SS« ihren grellen Ausdruck fand, wie Dan Diner in seinem Buch »Feindbild Amerika« schrieb.