Die italienische Regierung verschärft die Politik gegen Sinti und Roma

Salvini denkt an die Kinder

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43 Prozent aller in Italien lebenden Sinti und Roma sind italienische Staatsbürger, also fast jeder Zweite. Das sind diejenigen, die man, wie Salvini jüngst bedauerte, nicht abschieben könne. Vor einigen Wochen hatte er eine Zählung Roma und Sinti angekündigt, deren Ziel es sein sollte, Ausländer ohne gültigen Aufenthaltsstatus auszuweisen. Damit hatte der Innenminister international für Aufsehen gesorgt. Es waren seine Koalitionspartner, die darauf verwiesen, jegliche Erfassung eines Bevölkerungsteils auf Basis der ethnischen Zugehörigkeit verstoße gegen die Verfassung. Ministerpräsident Giuseppe Conte schweigt bis heute.

Zum ersten Mal seit Amtsantritt der neuen Regierung wagte es die eigentlich stärkere Partei der Regierungskoalition, die Fünf-Sterne-Bewegung, Sal­vini zu widersprechen. Wenig rühmlich, nachdem sie wochenlang zur Hafen­schließung für private Seenotretter und zur mittlerweile fast täglichen Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten seitens des Innenministers geschwiegen hatte.

Salvini sah sich wenige Tage nach seiner Ankündigung dazu gezwungen, zu präzisieren, dass eine behördliche Erfassung der in Italien lebenden Roma oder eine Registrierung von Fingerabdrücken nicht geplant sei. Ihm sei es lediglich darum gegangen, ein Bild von der Lage in den Roma-Camps zu gewinnen, man wolle sich nur um die Kinder kümmern, die von ihren Familien zum Klauen gezwun­gen würden. Gerade mit dem Argument des Schutzes von Roma-Kindern hatten vor Salvini bereits andere versucht, eine Erfassung durchzusetzen. Im Jahr 2008 hatte die damalige Regierung unter Silvio Berlusconi nach einem antiziganistischen ­Pogrom in Neapel, bei dem ein aufgebrachter Mob drei Roma-Camps angezündet hatte, in drei Großstädten mit einer »erkennungsdienstlichen Registrierung« der in Camps lebenden Roma begonnen. Diese sah unter anderem vor, Fingerabdrücken zu nehmen – auch von Menschen ohne Vorstrafe und von Kindern. Die Lega, die damals noch »Lega Nord« hieß, stellte mit Roberto Maroni auch seinerzeit den Innenminister. Eine umfassende Zählung auf ethnischer Basis konnte weitestgehend verhindert werden, nachdem das Europaparlament und die ­Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ­hatten verlauten lassen, die Erfassung von Daten auf ethnischer Grundlage und das Sammeln von Fingerabdrücken seien illegal. Über 20 000 Menschen gingen damals auf die Straße, um gegen diese Pläne zu protestieren.

Statt Massenkundgebungen erlebt man heutzutage den Jubel des digitalen Mobs, der sich nicht einmal mehr die Hände mit dem Bau von Molotow-Cocktails schmutzig machen muss. Die Freude über die Räumung des »Camping River« in den sozialen Medien war gewaltig und übertraf sogar die Zustimmung zum Versuch der Regierung, Italiens Küsten abzuschotten.

Es ist offenbar einfacher, Roma zu hassen, als Menschen, die gerade vor dem Ertrinken gerettet worden sind. Für Roma und Sinti hat der normale Hassbürger nicht einmal Mitleid übrig. Sie werden als unmittelbare Bedrohung des eigenen Eigentums wahrgenommen, denn, so geht die Erzählung, sie beklauen Menschen und Läden, brechen in Wohnungen ein, stehlen Kinder. Sie sind das perfekte Feindbild für eine Regierung, die »im Namen des Volkes« einen Krieg gegen die Schwäch­sten erklärt hat.