In Deutschland gibt es immer mehr Salafisten

Sind so viele Salafisten

Der Zuwachs der islamistischen Szene in Deutschland entfällt fast vollständig auf salafistische Kreise. Einzelne Islamisten stehen oder standen auch mit dem »Islamischen Staat« in Kontakt.

Hamburg, vor gut einem Jahr: Ein 26jähriger Mann sticht in einem Supermarkt in Hamburg mit einem Messer auf einen Kunden ein und verletzt ­diesen tödlich. Danach greift er sechs weitere Menschen an, einige werden schwer verletzt, ehe der Täter auf der Flucht von Passanten überwältigt werden kann. Es war der einzige islamistische Terroranschlag in Deutschland, den die Behörden 2017 registrierten. Die gesunkene Anzahl solcher Anschläge – im Vorjahr waren es noch sechs – führt das Bundesamt für Verfassungsschutz vor allem auf die Bemühungen der Sicherheitsbehörden zurück. Das dürfe »aber nicht über die weiterhin hohe Anschlagsgefahr in Deutschland hinwegtäuschen«.

Die Zahl der registrierten Islamisten in Deutschland ist weiter gewachsen. Dem kürzlich vorgelegten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für 2017 zufolge rechnet die Behörde insgesamt 25 810 Personen der islamistischen Szene zu. Den größten Zuwachs verzeichneten die Salafisten. Ihre Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr um 1 100 auf 10 800 an. Seit 2011 habe sich die Zahl der Salafisten in Deutschland fast verdreifacht. »Die Anhänger der salafistischen Ideologie sind damit die einzige islamistische Gruppe mit signifikant steigendem Personenpotential«, so das Bundesamt. »Insgesamt setzt sich der Trend einer Kräfteverschiebung hin zu salafistischen Strömungen und global orientierten ­jihadistischen Gruppierungen sowie zu gewaltorientierten Aktionsformen fort«, heißt es in dem Bericht.

Das deutsche Schulsystem sei für muslimische Kinder eine Gefahr, da es Selbstbestimmung und freie Partnerwahl lehre, wird in einer salafistischen Moschee in Plauen gepredigt.

Verstärkte Ermittlungsanstrengungen führten die Behörden Mitte Juni auf die Spur eines Tunesiers, der in Köln-Chorweiler an der Herstellung einer Biowaffe gearbeitet hatte (Jungle World 25/2018). Nach Einschätzung des Bundeskriminalamts (BKA) bereitete Sief Allah H. einen Anschlag vor. Er soll bereits 84,3 Milligramm hochgiftiges Rizin hergestellt und sich bei der Herstellung an einer Anleitung der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) orientiert haben. Zudem fanden die Ermittler bei ihm 3 150 Rizinussamen, aus denen sich Rizin gewinnen lässt. Über soziale Medien hatte der Mann im Herbst 2017 Kontakt zu Mitgliedern des IS in Syrien aufgenommen. Der Bundesanwaltschaft zufolge hätten diese ihm vorgeschlagen, in Deutschland einen Anschlag zu verüben. Seine Frau Yasmin H. soll in die Pläne involviert gewesen sein. Wie Spiegel Online Anfang vergangener Woche berichtete, wurde auch sie mittlerweile festgenommen. Yasmin H. soll unter anderem eine ­Bestellung von mindestens 1 000 Rizinussamen mit organisiert haben.

Ebenfalls wegen einer IS-Verbindung verhafteten Spezialkräfte der Bundespolizei Mitte Juli einen Syrer im sächsischen Plauen. Der 22jährige steht im Verdacht, in zwei Fällen Mitglieder oder Unterstützer für den IS geworben zu haben. Nach Angaben des Generalbundesanwalts hatte sich der Beschuldigte selbst als »Medientätiger« ­bezeichnet. Seit September 2017 soll er zahlreiche Propagandaveröffent­lichungen des IS sowie eigene Äußerungen in öffentlich zugänglichen Chatgruppen gepostet haben. »Zwei Veröffentlichungen enthielten kon­krete Handlungsanweisungen, wie eine Beteiligung am IS erfolgen sollte«, ­teilte die Generalbundesanwaltschaft mit. Darüber hinaus habe der Mann Bild- und Videomaterial des IS mit grausamen Folter- und Hinrichtungsszenen verbreitet. Beinahe gleich­zeitig ließ die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden die Wohnung einer 36 Jahre alten Syrerin durchsuchen. Die Frau soll eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt und bei der Anwerbung von Helfern mitgewirkt zu haben.

Der 22jährige Syrer steht dem sächsischen Verfassungsschutz zufolge in ­enger Verbindung mit der al-Muhajirin-Moschee in Plauen. Träger dieser ­Moschee sei der 2008 gegründete Verein Vogtländisch-Islamisches Zentrum al-Muhajirin. »Zumindest seit Mitte 2017 wird im Rahmen von Freitagspredigten und Lehrstunden die salafistische Ideologie verbreitet«, heißt es in dem Bericht der Behörde.

An den Freitagspredigten in der Moschee nähmen bis zu 250 Personen teil. In den Predigten fänden sich typische Merkmale salafistischer Ideologie. Die Zuhörer ­würden zum Beispiel vor dem deutschen Sozialversicherungssystem ­gewarnt, da es die Selbständigkeit von Frauen fördere und Scheidungen ­erleichtere. Außerdem sei das deutsche Schulsystem für muslimische Kinder eine Gefahr, da es Selbstbestimmung und freie Partnerwahl lehre.

Vor allem die stark abgeschottete Szene der salafistischen Akteure nordkaukasischer Herkunft übt auf hiesige Exil-Tschetschenen und -Tschetscheninnen großen Druck aus, um Geschlech­teremanzipation und Selbstbestimmung zu verhindern. Frauen, die den westlichen Lebensstil übernehmen, werden auch körperlich attackiert. Wie das Portal Queer.de bereits 2017 berichtete, kursiert unter Tschetschenen in Berlin ein Video, in dem ein anonymer Mann droht: »Tschetschenische Frauen und diese (verweiblichten) Wesen, die sich tschetschenische Männer nennen, wir werden sie alle ›korrigieren‹, bei jeder Gelegenheit. Wir haben auf den Koran geschworen. Das ist unsere Botschaft, damit ihr nicht sagt, wir hätten euch nicht gewarnt. Möge Allah uns Frieden bringen, lasst ihn uns zu Gerechtigkeit führen.«

Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt diese Entwicklung in seinem neuen Bericht. Betroffen seien vor allem ost- und norddeutsche Bundesländer sowie Nordrhein-Westfalen. Die Szene schotte sich weitgehend ab, weil sie als verbindendes Element ­neben der Religion vor allem von einer traditionellen Clanstruktur geprägt sei. Bisher werde Westeuropa von den Mitgliedern der nordkaukasischen ­islamistischen Szene vor allem als Ruhe- und Rückzugsraum betrachtet. Angesichts des Niedergangs des im Nord­kaukasus agierenden »Kaukasischen ­Emirats« und des Bedeutungszu­wachses global agierender jihadistischer ­Organisationen könne sich das in ­Zukunft jedoch ändern.