Die jüngsten Maßnahmen der venezolanischen Regierung gegen die Hyperinflation können kaum überzeugen

Maduros Nullen

Die Schlangen vor den Tankstellen waren in Venezuela am Freitag und Samstag extrem lang. Zuvor hatte Präsident Nicolás Maduro angekündigt, den subventionierten, äußerst niedrigen Benzinpreis auf das internationale Niveau anzuheben. Dass dieser Schritt nach mehr als 30 Jahren, in denen Venezuela mit den weltweit billigsten Benzinpreisen aufwartete, irgendwann erfolgen musste, steht außer Frage. Ein Liter Benzin kostete zuletzt umgerechnet weniger als einen Eurocent. Die Subventionierung konnte sich die Regierung zwar schon lange nicht mehr leisten, behielt sie aber bei aus Angst vor Protesten; so war es etwa während des sogenannten Caracazo im Jahr 1989 zu Hunderten Toten gekommen. Inzwischen allerdings kommt ein großer Teil des Benzins aus dem Ausland, weil die nationalen Raffinerien nur noch einen Bruchteil des benötigten Treibstoffs produzieren.

Der subventionierte Treibstoff ist jedoch zu einer starken Belastung für den Landeshaushalt geworden. Mehrere Milliarden US-Dollar ließ sich die Regierung dieses Geschenk an die Bevölkerung pro Jahr kosten. Auch die Schmuggler, die subventioniertes Benzin in Kolumbien teurer verkaufen, profitierten in den vergangenen Jahren enorm davon. Damit solle es ab dem 20. August vorbei sein, so Maduro. Verbilligter Treibstoff soll fortan nur noch an Venezolanerinnen und Venezolaner mit dem carnet de la patria (Vaterlandsausweis) verkauft werden. Alle anderen sollen für Benzin künftig den »internationalen« Preis zahlen. Der Vaterlandsausweis ist in Venezuela die Voraussetzung für den Bezug staatlicher Hilfen, die Opposition bezeichnet ihn als Instrument der politischen wie sozialen Kontrolle.

Doch die Erhöhung der Benzinpreise ist nur eine von zahlreichen Maßnahmen, mit denen die Regierung versucht, der gravierenden Wirtschaftskrise zu begegnen. So soll die Landeswährung Bolívar, die unter einer Hyperinflation leidet, an die Kryptowährung »Petro« gekoppelt werden, um ein Gegengewicht zum US-Dollar zu schaffen, an dem sich derzeit alles in Venezuela orientiert. Der Petro wurde im Februar aufgelegt und orientiert sich am Wert eines Barrels Erdöl. Die neue Währung, die seit Montag zirkuliert, heißt »Bolívar soberano« und hat fünf Nullen weniger. Parallel dazu wurde der Mindestlohn angepasst. »Ich habe einen Plan. Vertraut mir«, versuchte Maduro seine Anhänger zu beruhigen.

Doch auch in seiner Partei rumore es, sagt Margarita López Maya. Die emeritierte Sozialwissenschaftlerin von der Zentraluniversität in Caracas bezweifelt, dass Maduros Reformen greifen werden. »Für mich sind diese Maßnahmen ein Eingeständnis des Scheiterns. Die Abwertung des Bolívar ist brutal und orientiert sich an dem Schwarzmarktpreis von sechs Millionen Bolívar pro US-Dollar. Das könnte kleine und mittlere Unternehmen in den Ruin treiben«, so die 68jährige Analystin zur Jungle World.
Diese Angst war ein Grund dafür, dass fast alle oppositionellen Parteien für Dienstag zum Generalstreik aufriefen. Es drohe die »Atomisierung der Wirtschaft«, heißt es von der Opposition. Es bleibt unklar, wie die Regierung die neue Währung und die Anhebung des Mindestlohns finanzieren will, denn Devisen sind knapp. »Die Idee, eine reale Währung unter Inflationsdruck an eine Kunstwährung zu koppeln, entspringt dem magischen Denken Maduros. Wie soll das funktionieren?« kritisiert López Maya die Pläne der Regierung, den Bolívar soberano an den Petro zu koppeln.

Die Krise wird also weitergehen, ebenso die Auswanderung in die Nachbarländer. Wer in Venezuela keinen Zugang zu US-Dollars hat, ist auf die offiziellen Löhne und Pensionen angewiesen. Die Rente von López Maya beläuft sich auf 50 Millionen Bolívar pro Monat – nach derzeitigem Schwarzmarktkurs rund 30 US-Dollar. Die ehemalige Dozentin lebt von Ersparnissen aus ihrem letzten Lehrauftrag im Ausland. »Sonst käme ich wie viele andere nicht über die Runden.«

Vertrauen in Maduros Reformpläne, wie er es in seiner Fernsehansprache von der Bevölkerung einforderte, hat sie nicht. Auch der mutmaßliche Drohnenangriff vom 4. August wirft Fragen auf. Bei einer Rede Maduros zum 81. Jahrestag der Gründung der Nationalgarde waren mehrere Soldaten durch eine Explosion verletzt worden; der Regierung zufolge handelte es sich um ein Attentat auf Maduro. Beurteilen will López Maya das Ereignis nicht: »Die Informationen, die uns hier zur Verfügung stehen, lassen das nicht zu. Es gibt viele Widersprüche. Wahr ist aber, dass dieses Attentat für die Opposition massive Folgen hat.«

Die Opposition steht im Fokus der Ermittlungen, mehrere Oppositionelle wurden bereits verhaftet. Die venezolanische Regierung versucht, über internationale Haftbefehle auch an Oppositionsvertreter sowie weitere Kritiker im Ausland heranzukommen. Zu letzteren gehören die ehemalige Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz und der ehemalige Erdölminister Rafael Ramírez, die sich in Kolumbien beziehungsweise in Spanien im Exil aufhalten. Sie sollen von den Gastländern ausgeliefert werden. Dass das passieren wird, hält López Maya für wenig wahrscheinlich. Aber der Widerstand gegen Maduro in der eigenen Partei und im Militär, hofft sie, könnte alsbald dafür sorgen, dass sich in Venezuela etwas ändert: »Nur dann ist es realistisch, dass das autoritäre Projekt Maduros nicht Realität wird.«