Der Protest von US-Football-Spielern gegen Rassismus

Patrioten stehen, Patrioten knien

In den USA reißt die Diskussion über den Protest von Football-Spielern gegen Rassismus nicht ab. Allerdings hat sie sich mittlerweile in eine Patriotismus­debatte verwandelt.

Ende Juli mischte sich auch noch Kareem Abdul-Jabbar ein. In einem offenen Brief im britischen Guardian an die Besitzer der Vereine der US-amerikanischen National Football League (NFL) schrieb der prominente ehemalige Basketballspieler: »Dass ihr den Sportlern das Recht verwehrt, friedlich ihre Verärgerung auszudrücken, ist eine Schande für die Verfassung, das Gegenteil von Patriotismus. Indem ihr der Ethik zugunsten des Profits schadet, zeigt ihr moralische Schwäche.« Und weiter kritisierte der 71jährige: »Ihr schreibt den Spielern vor, sich an eure weiße Wahrnehmung von sozialer Gerechtigkeit zu halten, obwohl ihr keine Erfahrungen gemacht habt mit der institutionellen Ungerechtigkeit, die ihren (der Spieler, Anm. d. Red.) Communities Leben, Hoffnung und Zukunft raubt. Ihr seid Besitzer, weil euch ein Franchise gehört, aber ihr besitzt nicht die Spieler und auch nicht deren Herzen oder Gedanken.« Das waren deutliche Aussagen des Manns, der 1968 die olympischen Spiele boykottiert hatte, um auf die Diskriminierung der schwarzen ­Bevölkerung in den USA aufmerksam zu machen. Und doch ging die Wortmeldung etwas unter in der emotional geführten und eskalierenden Debatte über Protestäußerungen während des Absingens der Nationalhymne vor den NFL-Spielen.

Auch der Republikaner Ted Cruz äußerte sich jüngst zum Thema: »Die NFL hat viel Schaden angerichtet. Viele Fans wollen Football feiern, und plötzlich werden sie mitten in die Politik geworfen. Leute sollen Football genießen können, ohne dass es zum politischen Statement wird.«

Der schwarze Football-Spieler Dak Prescott, der den Protest während der Hymne ablehnt, wurde öffentlich als Limonade servierender Haussklave bezeichnet.

Dass es vor dem Beginn der neuen NFL-Saison erneut hauptsächlich um diese Frage geht, ist erstaunlich. 2016 ging Colin Kaepernick erstmals auf die Knie, während die Hymne lief, um gegen Diskriminierung und Polizeigewalt zu protestieren, etliche taten es ihm in weiteren Spielen nach. Der Protest der Spieler polarisierte die US-amerikanische ­Öffentlichkeit und versetzte den US-Präsidenten Donald Trump in Rage. Die Liga sorgte sich vor allem um ihr Geschäft: Die Zuschauerzahlen im Fernsehen sanken in den ersten sechs Wochen der Saison 2017 um 18 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2015 und um sieben Prozent verglichen mit den ersten sechs Wochen der Saison 2016. Zwar ließ sich ein Zusammenhang mit dem Protest nicht belegen, auch andere Sportarten verloren im selben Zeitraum Zuschauer. Dennoch wurde die Verbindung immer wieder hergestellt.
Die NFL, sichtlich überfordert mit der heftigen Debatte und den Tiraden des US-Präsidenten, ging ungeschickt vor. Erst sagte der NFL-Leiter Roger Goodell im Herbst 2017, die Spieler sollten zwar während der Hymne stehen, man werde sie aber nicht dazu zwingen – was Trump als »totale Respektlosigkeit« bezeichnete. Als die Lage sich wieder be­ruhigt hatte, beschlossen die 32 Vereinsbesitzer im Mai 2018, die Spieler dazu zu verpflichten, während der Hymne zu stehen oder in der Kabine zu bleiben. Vorab die Spieler­gewerkschaft NFLPA zu fragen, hatten sie nicht für nötig befunden.

Im Juli wurde außerdem bekannt, dass die Miami Dolphins einen Strafkatalog eingeführt hatten, in dem im Fall des Niederkniens eines Spielers während der Hymne eine Sperre für vier Spiele vorgesehen ist. Zudem verkündete Jerry Jones, der Besitzer der Dallas Cowboys, seine Spieler müssten fortan während des Singens der Hymne stehen, »mit den Zehen an der Linie«. Sein Sohn Stephen Jones, Vizepräsident der Dallas Cowboys, ging in einem Radio­interview so weit, Spielern bei Zuwiderhandlung mit der Entlassung zu drohen. Gleichwohl sagte er, er halte den von Kaepernick begonnen Protest für eine »löbliche Sache« und der Verein unterstütze soziale Anliegen seiner Spieler – solange diese nicht während der Hymne vor dem Spiel geäußert würden.

Jerry Jones wurde seither mehrfach als Plantagenbetreiber und Sklavenbesitzer bezeichnet, der schwarze Spieler Dak Prescott, der den Protest vor den Spielen ebenfalls ablehnte, als Limonade servierender Haussklave. Die im Mai beschlossene Regelung wurde inzwischen wieder aufgehoben, Gespräche zwischen den Vereinsbesitzern und der Gewerkschaft finden statt.

 

In der Öffentlichkeit sind Fragen rassistischer Diskriminierung allerdings der Diskussion über patriotische Gesinnung gewichen. Die Debatte kreist mittlerweile vor allem darum, ob es »antipatriotisch« sei, während der Hymne zu knien. Die Befürworter der Protestpose argumentieren dabei auf derselben Ebene wie ihre Gegner: Es sei patriotisch, sich kniend für Gerechtigkeit einzusetzen. So wird zwar ausgiebig über die Kniefälle diskutiert wird, Probleme wie Polizeigewalt, Armut und geringere Aufstiegschancen für Schwarze bleiben aber häufig unerwähnt.

Dabei haben die Spieler genügend Anlass zum Protest: Einer Studie der Universitäten Harvard und Stanford vom März zufolge besteht für männliche Schwarze, die in wohlhabenden Familien aufwachsen, eine weitaus größere Wahrscheinlichkeit als für Weiße aus vergleichbaren Verhältnissen, im Erwachsenenalter einen sozialen Abstieg zu erleben. Eine Untersuchung der David Geffen School of Medicine an der University of California in Los Angeles vom Mai ergab, dass Polizisten in den USA 2015 und 2016 überproportional viele junge Männer erschossen, von denen wiederum überproportional viele Nichtweiße waren. Zudem lag der Studie zufolge die Rate der durch Polizeigewalt getöteten Schwarzen bei 7,2 Personen pro einer Million Einwohner, bei Weißen bei 2,9, wobei 62 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung weiß sind.

Die Ansichten von schwarzen und weißen Amerikanern zum Hymnenprotest unterscheiden sich. Umfragen zufolge lehnen weiße NFL-Fans die Kniefälle mehrheitlich ab, während schwarze sie mehrheitlich begrüßen. Auch ein weiterer Aspekt ist auffällig: Alle Vereinsbesitzer sind Weiße, dafür sind 70 Prozent der Spieler schwarz. Als Reaktion auf die Kniefälle und die Debatte engagieren sich etliche NFL-Spieler mittlerweile für soziale Projekte in mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Gegenden. Auch prominente Basketballspieler wie LeBron James unterstützen solche Initiativen.

Die NFL-Leitung hat Jerry Jones, dem Besitzer der Dallas Cowboys, Ende Juli Redeverbot zum Thema erteilt. Der Schaden aber ist angerichtet, daran können auch Maulkörbe nichts mehr ändern. Und er trifft die NFL, der ohnehin der Zuschauerschwund, die Klagen sexuell belästigter Cheerleader, die beinahe dikta­torischen Praktiken mancher Franchise-Besitzer und ein twitternder Trump zu schaffen machen.

Kareem Abdul-Jabbar formulierte es so: »Ihr habt an einer historischen Schwelle gestanden und hattet die Aufgabe, zu entscheiden, ob ihr die Grundsätze der US-Verfassung anstelle kommerziellen Profits wählen möchtet, Patriotismus statt Begünstigung, Moral statt Mobmentalität, soziale Gerechtigkeit statt Bierverkäufe. Leider habt ihr gekniffen. Mut wird anscheinend nur von Spielern erwartet.« Die Stimmung zum Saisonbeginn ist denkbar schlecht. Am 6. September sollen die ersten Spiele stattfinden.