სივრცე - Smalltalk mit dem Anwalt Giorgi makharadze über liberale Drogenpolitik

»Eine nüchterne Gesellschaft gibt es nicht«

Girogi Makharadze ist Strafverteidiger unter anderem für die NGO White Noise Movement. Mit der Jungle World sprach er über die die Liberalisierung der Drogenpolitik in Georgien.
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Die georgische Drogenpolitik gilt als eine der strengsten weltweit. Worin liegen ihre Besonderheiten und Probleme?

Das georgische Strafrecht definiert 147 Substanzen, für die bereits der Nachweis von Spuren mit fünf bis acht Jahren Gefängnis bestraft wird. Das Problem ist, dass diese Regelung erstens keine Rücksicht darauf nimmt, dass einige Menschen drogenabhängig sind und Hilfe bräuchten, und zweitens auch nicht den gewünschten Effekt erzielt, nämlich den Rückgang des Drogengebrauchs oder -missbrauchs. Außerdem wird sie häufig als Druckmittel eingesetzt. Wer Probleme mit der Polizei hat, muss befürchten, dass diese ihm etwas unterschiebt und ihn für Jahre ins Gefängnis schickt. Die strikte Drogengesetzgebung geht auf Präsident Saakaschwili zurück, der 2006, als es in Georgien große Probleme mit Kriminalität gab, eine Null-Toleranz-Politik für alles einführte, um der Bevölkerung zu beweisen, dass der Staat und die Kriminalitätsbekämpfung funktionieren. Inzwischen hat sich die Gesellschaft verändert, aber die Politik ist dieser Veränderung nicht gefolgt.

Wie arbeitet das White Noise Movement?

Die Hauptaktivitäten bestehen in der Unterstützung von Betroffenen, der Organisation von Straßenprotesten und Kampagnen in sozialen und anderen Medien. Außerdem arbeiten wir mit der Regierung und Abgeordneten zusammen. Mit 41 anderen Organisationen und NGOs haben wir die »Plattform für eine Humane Drogenpolitik« gegründet und an einem Entwurf für eine neue Drogengesetzgebung mitgewirkt. Dieser liegt dem Parlament seit zwei Jahren vor, seitdem hat erst eine Anhörung dazu stattgefunden.

Wie verbreitet sind Drogen in der georgischen Gesellschaft?

Beim Feiern in Clubs sind immer Drogen im Spiel, ungeachtet der drakonischen Gesetze. Eine vollkommen nüchterne Gesellschaft kann es nicht geben, und gerade die Georgier sollten das wissen, schließlich ist jeder zweite hier starker Trinker. Kein Gesetz der Welt würde sie davon abhalten, Wein zu trinken.

Können sie die jüngsten Änderungen in der Gesetzgebung zum Gebrauch von Cannabis erläutern?

Beka Tsikaraschwili, der zum White Noise Movement gehört, wurde 2014 wegen des Besitzes von 70 Gramm Marihuana festgenommen. Auf den Besitz einer solchen Menge steht laut Gesetz eine Gefängnisstrafe zwischen sieben und 14 Jahren. Er hat gegen sein Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Nun hat das Gericht geurteilt, dass die Strafe in diesem Fall nicht verfassungsgemäß ist – und damit auch in allen anderen Fällen, in denen es um den Besitz von bis zu 70 Gramm Marihuana geht. Das war das erste Urteil. Danach kamen die Urteile zu Desomorphin und zum Cannabisanbau. Es gab also keine parlamentarische Änderung der Drogengesetze, sondern Präzedenzfälle, die daraufhin Gesetz wurden und aufgrund derer viele weitere Leute freigekommen sind.

Muss man in jedem Einzelfall auf diese Weise vorgehen?

Ja, leider ist der Weg über das Verfassungsgericht, das unabhängig von den Parteien und der Politik arbeitet, der einzige, den zivilgesellschaftliche Aktivisten gehen können, um etwas zu bewegen. Ich habe derzeit den Metamphetamin-Fall vor dem Verfassungsgericht, daneben laufen weitere Fälle mit anderen Substanzen.

Was sind also die Perspektiven für die Zukunft?

Die Regierung weiß, dass sie die Veränderungen nicht aufhalten kann. Wir befinden uns in einem Prozess, in dem wir schließlich die europäische Gesellschaft werden, von der wir tief in unseren Herzen schon wissen, dass wir sie sind. Eines Tages werden wir  eine humane Drogenpolitik haben. Das Traurige ist, dass bis dahin Leute in den Gefängnissen sitzen, nur weil man irgendwelche Spuren oder leere Spritzen bei ihnen gefunden hat.