Die Tiefpunkte der Mode in diesem Sommer waren zahlreich

Hässlich ist nicht schön

Puffärmel, Rüschen und Streifen: Der vergehende Sommer hat in Sachen Mode und Stil einige Tiefpunkte erreicht. Der Herbst wird nicht besser. Dabei ist es nicht schwer, bestimmte Fehler zu vermeiden.

»Fäkalsprache ist ein Zeichen der Selbstaufgabe«, schrieb mein Deutschlehrer vor einer erklecklichen Anzahl an Jahren unter meine Jahresarbeit. In der Arbeit ging es um Drogen. Zitiert hatte ich einen Artikel aus der Konkret, in dem es unter der Überschrift »Genossen, wir haben Scheiße gebaut« um Fehler und Versäumnisse der linken Szene ging. Das alles ist eigentlich für einen Modeartikel völlig unerheblich – bis auf die Frage der Selbstaufgabe. Ist Fäkalsprache wirklich ein Zeichen dafür? Oder ist es vielleicht doch eher das Tragen von ballonförmigen grell- oder am Ende gar senfgelben Röcken?

Fangen wir vorn an. Nicht jeder und auch nicht jede ist schön. Oder intelligent. Oder kreativ. Manche Leute sind nicht sehr angenehm anzusehen, manche sind von troglodytischer Dämlichkeit und manche malen, dichten oder töpfern vielleicht gern, aber das Resultat ihrer Bemühungen ist keine Kunst.

Womit wir zur Mode kommen, beziehungsweise zur Mode des zu Ende gehenden Sommers. Nun ist nicht jede Mode auch wirklich Mode, die diesjährige ist beispielsweise statt Couture bloß Kittelschürze.

Zur Erklärung für die Jüngeren: Kittelschürzen waren das, was bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von westdeutschen Hausfrauen und werktätigen DDR-Bewohnerinnen getragen wurde, nämlich vorn durchgeknöpfte, unförmige, ärmellose Textilien von zweifelhafter Farbgebung und abenteuerlicher Bemusterung.

»In diesem Jahr dominieren cremige Farben, Paprika- und Chilirottöne, Senfgelb, Beige, Curry, Zimt, Koriandergrün und Marsala« – mit anderen Worten: Imbissbudenfarben.

Irgendeinen Vorteil müssen diese Kleidungsstücke gehabt haben, sonst wären sie nicht so massenhaft verbreitet gewesen, aber welcher das war, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei sagen. Möglicherweise waren es die aufgenähten Taschen, in denen man Zeugs verstauen könnte, vielleicht war aber auch das Gefühl so toll, dass man derart angezogen sicher von niemandem nur wegen äußerer Werte geschätzt wurde. Man weiß es einfach nicht. Eines jedoch steht fest: Was immer sich die Kittelschürzenträger­innen dabei dachten, wenn sie morgens in diesen Gipfel der Selbstaufgabe schlüpften, es war ganz sicher nicht: »Hach, was macht mich dieses wunderschöne Kleidungsstück glücklich.«

Warum nun ausgerechnet Sommerkleider in kittelschürzesken Mustern so angesagt sind, man ahnt es nicht. Vielleicht lagen irgendwo noch riesige Mengen der entsprechenden Stoffe herum, oder vielleicht laufen Hunderte Geschmacksmuster – etwa deprimierende Blümchen, wagemutige Karos und neckische Paysleys – diesen Herbst aus und irgendjemand dachte sich, man könne das Zeugs dann genauso gut nochmal schnell auf Kleiderstoff drucken, und da ist es nun.

Damit kann aber nicht überzeugend erklärt werden, warum so viele Menschen derzeit in so etwas herumlaufen, oder in dem, was Cosmopolitan mal »krasse Farben« nannte, was im Prinzip eigentlich alles außer Schwarz ist, aber im vorliegenden Fall grell leuchtende Kolorationen meint.

Knallfarben also, die sich prima auf Warntafeln machen, aber sehr anstrengend sind, wenn Menschen sie tragen, weil sie Bienen, Hummeln und jeder Menge anderer Tiere suggerieren, dass es sich um Blumen oder Wildkräuter oder wenigstens eine Wiese handelt, weswegen man zu bunt Angezogenen sehr viel Abstand halten sollte – außer man möchte gern einer empörten Wespe erklären, dass man ja auch nichts dafür kann, dass das Gelb an der Sitzplatznachbarin im Biergarten kein überreifer Pfirsich ist.

Und damit kommen wir zu den Puffärmeln, die in diesem Sommer so erschreckend en vogue sind. Das könnte daran liegen, dass die blödsinnigen Ärmel kaum jemandem gut stehen beziehungsweise dafür sorgen, dass ihre Träger und Trägerinnen immer ein bisschen nach Heimatkitsch und BdM aussehen. Oder vielleicht auch daran, dass etwas, das in der Biedermeierzeit derart begeistert geliebt wurde, dass es zu sogenannten Schinkenärmeln aufgebauscht wurde (französisch gigot, Hammelkeule), also grotesk aufgeplusterten Ärmeln, in denen wenigstens theoretisch eine ganze Schweinehaxe Platz gefunden hätte, niemals wieder wirklich modern werden kann.

 

Jedenfalls: Puffärmel und das dann auch noch in Knallfarben, das ist eindeutig zu viel.
Viel schlimmer als das Comeback des Puffgedöns waren in diesem Sommer jedoch die allgegenwärtigen Rüschen. Rüschen, also Volants und Gefaltetes aller Art. Gegen die Rüsche an sich ist nun nichts einzuwenden, aber in transparent und in zigfach über­einandergetragen? Es ist ein Elend.

Denn natürlich wirkt solches Gewalle zum Beispiel an einem südfranzösischen Strand bei solide wehendem Mistral durchaus sehr romantisch, elfenhaft und was nicht noch alles. An einer Bushaltestellte einer deutschen Innenstadt oder an einem Café-Tisch, während die Wallenwollende ihrer besten Freundin lang und breit davon erzählt, wie sie im Büro doch letztens fast diese immens wichtige Akte falsch abgelegt hätte, sehen Transparenz und Rüschen dagegen niemals mondän oder nach ephemerer Eleganz aus.

Und Statement-Streifen schon gar nicht. Welche Botschaft sie verkünden, ahnt man nicht, denn wie bei den Statement-Ketten bedeutet das englische Wort hier nur, dass sie da und möglichst groß sind. An sich ist gegen Streifen nichts einzuwenden, jedenfalls wenn man ein Zebra ist oder Mitglied der russischen Sonderpolizeitruppe Omon, aber sie müssen nicht sein. Auch nicht, wenn sie längs verlaufen, und schon gar nicht, wenn sie gelb sind.

Was immerhin ganz hübsch war, ist das Geglitter. Zu glänzen ist nie verkehrt, allerdings sollte man dabei auf die Hilfe von Pailletten verzichten. Pailletten haben nämlich den Nachteil, dass sie viele sind, sich aber das Fehlen auch nur eines einzigen Bestandteils des von ihnen gebildeten Glitzerkollektivs sofort bemerkbar macht. Eine einzige fehlende Paillette führt unweigerlich dazu, dass das Gesamtbild ruiniert wird, und das für alle Zeiten.

Nein, das war alles nicht schön in diesem Sommer. Und im Herbst wird es wohl auch nicht besser, denn wie die Jolie schrieb: »In diesem Jahr dominieren cremige Farben, Paprika- und Chilirottöne, Senfgelb, Beige, Curry, Zimt, Koriandergrün und Marsala« – mit anderen Worten: Imbissbuden­farben. Niemand sollte so angezogen sein, dass unweigerlich die Assoziation mit Currywurst und Fritten oder den Zimtschnecken von Ikea entsteht. Auch nicht im Herbst.

Dabei könnte ein sehr wichtiger Aspekt, der leider viel zu wenig beachtet wird, aber immerhin gut zum Herbst passt, die schlimmsten Fehler beim Ankauf neuer Kleidungsstücke verhindern: die eigene Sterblichkeit.

Es kann jedem jederzeit passieren: Ein jäher Schmerz in der Herzgegend, ein unbedachter Schritt auf die Fahrbahn, ein unvorsichtiger Stolperer im Treppenhaus – und schon liegt man da und ist tot. Natürlich möchte man auch in einer solchen einmaligen ­Extremsituation einen möglichst hübschen Anblick bieten, deswegen sollte man es sich zur Regel machen, auf dem Weg zur Kasse noch einmal kurz innezuhalten und sich folgende Fragen zu stellen:

1. Dies könnte das Anziehstück sein, in dem ich sterbe. Passt es wirklich zu dieser Gelegenheit?

2. Beißt sich eine seiner Farben mit dem Grau des Trottoirs meiner Heimatstadt, mit dem Teppichboden in den öffentlichen Gebäuden, die ich am häufigsten nutze, oder der Grundcouleur anderer Orte, an denen ich potentiell tot umfallen könnte? Passt es zur Auslegware in meinem Wohn­zimmer und zu den Badezimmer­fliesen?

3. Welche Risikofaktoren treffen auf mich zu, welche optischen Veränderungen gehen mit den dazugehörigen Todesarten einher? Passt das anzuschaffende Kleidungsstück in Form und Farbe oder wären nicht doch ein anderer Schnitt oder eine andere Kolorierung vorteilhafter?

Die Antwort auf diese drei Fragenkomplexe lautet mit Sicherheit niemals, dass man sich Klamotten in senfgelb, krassviolett oder mit transpa­renten Rüschen oder puffgeärmelten Statement-Streifen anschaffen sollte.