Die Energiegewinnung aus Braunkohle wird in Deutschland wirtschaftlich immer unattraktiver, doch der Ausstieg gilt als politisch riskant

Fossilien unter Druck

Im Hambacher Forst geht die Polizei gegen Umweltschützerinnen und Umweltschützer vor – doch die Zukunft der Braun­kohle­förderung hängt nicht vom Ausgang dieser Auseinandersetzung ab.

Lange Zeit interessierte die Besetzung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen vor allem das Publikum der deutschen Indymedia-Websites. Nun steht sie im Zentrum der Aufmerksamkeit aller großen deutschen Medien. Die Frage nach einem Ausstieg aus der Förderung und Verarbeitung von Braunkohle ist eher brisant geworden, als viele es erwartet haben. Das liegt nicht an den seit Jahren immer wieder an verschiedenen Orten stattfindenden Protesten gegen die Erweiterung und Fortführung von Tagebauen, sondern ist vielmehr das Resultat ökonomischer Entwicklungen. Einerseits werden auch hierzulande die negativen Folgen der durch die von Menschen verursachten Freisetzung großer Mengen von Kohlendioxid immer spürbarer. Dadurch steigt der Druck auf die Indus­triestaaten, substantielle Schritte zur Verringerung der Treibhausgasemis­sionen zu unternehmen.

Die Carbon Tracker Initiative legte kürzlich ein Papier vor, das das bevorstehende Ende der fossilen Energiewirtschaft prognostiziert.

Vom 3. bis 14. Dezember wird die 24. UN-Klimakonferenz im südpolnischen Katowice stattfinden. Dort soll besprochen werden, wie sich die Zielvereinbarung des 2015 verabschiedeten Pariser Protokolls zur UN-Klimarahmenkonvention wahren lässt, die Erderwärmung auf deutlich unter einen Anstieg von zwei Grad Celsius im Vergleich zu den Werten vor der Industrialisierung zu begrenzen. Ob es die Bundesregierung schafft, zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Handlungsplan für Deutschland vorzulegen, ist zweifelhaft. Es ist politisch keine einfache Aufgabe, die Emmission von Treibhausgasen im erforderlichen Maß zu verringern. Perspektivisch geht es ­darum, die Braunkohleindustrie zu opfern. Denn bei der Verbrennung von Braunkohle wird besonders viel Kohlendioxid freigesetzt. Und die wirtschaftliche Bedeutung anderer Industriebereiche, die die Höhe der deutschen Kohlendioxidemissionen maßgeblich beeinflussen, wie zum Beispiel die Autoindustrie, ist wesentlich größer als die der Braunkohleindustrie. Zudem gerät die fossile Energiewirtschaft selbst immer mehr unter Druck. Vor allem die Entscheidung der chinesischen Regierung, aus Gründen wirtschaftlicher Unabhängigkeit wie auch des Umweltschutzes verstärkt erneuerbare Energien zu fördern, hat den technologischen Fortschritt in diesem Bereich rasant beschleunigt. In Verbindung mit der voranschreitenden Digitalisierung und ­Innovationen im Bereich der Energiespeicherung führt dies dazu, dass Solar- und Windenergie mittlerweile mit Energie aus fossilen Brennstoffen konkurrieren können.

 

Das Ende der fossilen Energie

Die Finanzmarktanalysten der Londoner Carbon Tracker Initiative, eines Think Tank, der sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzmärkte beschäftigt, legten Anfang September ein Papier vor, das das bevorstehende Ende der fossilen Energiewirtschaft prognostiziert. Demnach wird der Höhepunkt der weltweiten Nachfrage nach fossiler Energie im kommenden Jahrzehnt erreicht sein. Für die folgenden 30 Jahre sehen sie ­einen dramatischen Umschwung voraus, ab 2050 würden dann erneuer­bare Energien fossile Brennstoffe als vorrangigen Energielieferanten ablösen. Wie alle Vorhersagen sind selbstverständlich auch diese unsicher. Bezeichnend ist aber, dass kein renommierter deutscher Energiekonzern das Geschäft übernehmen wollte, als sich der schwedische Konzern Vattenfall 2015 entschied, seine Braunkohletagebaue in der Lausitz abzustoßen. Obwohl es sich aufgrund der oberflächennahen Lage der Kohle, der vorhandenen In­frastruktur und des niedrigen Lohnniveaus um den lukrativeren Teil des deutschen Braunkohlebergbaus handelte, war es am Ende die tschechische Holding EPH, die Vattenfalls Vermögen und Verbindlichkeiten in der Lausitz übernahm. Große Versicherungsgesellschaften wie Allianz, Axa oder Generali investieren nicht mehr in Unternehmen, die neue Kohlekraftwerke planen. Im Juli verkündeten die französischen Versicherungen Macif und AG2R La Mon­diale, nicht mehr beim Energiekonzern RWE, dem weltweit größten Braunkohleproduzenten, zu investieren. Noch allerdings lässt sich die Braunkohle gewinnbringend fördern und RWE im Westen und EPH im Osten wollen so lange wie möglich daran festhalten.

Dass trotz der internationalen Entwicklungen, die ein Ende der Braunkohleverstromung nahelegen, sich der Abschied von diesem Energieträger in Deutschland zäh gestaltet, liegt nicht nur an den Interessen der Energiekonzerne. Auch aus den Förderregionen gibt es Widerstand gegen die Beendigung des Abbaus. Das liegt an der spezifischen gesellschaftlichen Verfasstheit im Rheinischen Braunkohlerevier und in der Lausitz. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diente die Braunkohle als Grundlage der Industrialisierung dieser Gebiete. Die Förderung der Braunkohle, ihre Verarbeitung zu Briketts und später die Verstromung in großen Kraftwerken dominieren bis heute die regionale Wirtschaft. Die Tätigkeit der meisten mittelständischen Unternehmen ist auf die Zulieferung und die Erbringung von Dienstleistungen für die Kohleindustrie ausgerichtet. Die Kommunen vor Ort sind mit der Braunkohleindustrie eng verknüpft, im Rheinischen Revier sind beispielsweise viele Kommunen Aktionäre von RWE. Das Entstehen einer modernen Industriegesellschaft war in diesen ­Gebieten ausschließlich an die Braunkohle gekoppelt. Dementsprechend ist der Bergbau dort bis heute für viele Menschen identitätsbestimmend. Zum anderen sind in beiden Regionen negative Erfahrung mit Transformationen der klassischen Industriegesellschaft prägend.