Ina Feige, Fachanwältin für Familienrecht, im Gespräch über den juristischen, institutionellen und gesellschaftlichen Umgang mit häuslicher Gewalt in Deutschland

»Häusliche Gewalt kommt in jeder gesellschaftlichen Schicht vor«

Ina Feige ist Fachanwältin und Mediatorin für Familienrecht am Leipziger »Anwältinnenbüro«, wo sie seit 15 Jahren Opfer häuslicher Gewalt anwaltlich berät und vertritt. Mit der »Jungle World« sprach sie über gegenwärtige Herausforderungen im Umgang mit häuslicher Gewalt in Deutschland.
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Wie helfen Sie als Anwältin Opfern häuslicher Gewalt?
Ich bin Fachanwältin für Familienrecht und übernehme ausschließlich familienrechtliche Mandate. Davon sind ein Großteil Mandate von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Ich bin darüber hinaus im Netzwerk gegen häusliche Gewalt der Stadt Leipzig tätig. Dort kooperieren verschiedene Institutionen, die mit der Bekämpfung häuslicher Gewalt befasst sind. Eine Schlüsselrolle hat die Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking des Vereins Frauen für Frauen e. V. Diese Stelle erlangt durch die Polizei Kenntnis von Fällen häuslicher Gewalt oder Betroffene melden sich persönlich. Es erfolgt eine Beratung und wenn anwaltliche Hilfe erforderlich ist, dann kann es sein, dass diese Frauen zu mir kommen.

Seit wann machen Sie das und wie viele solcher Mandantinnen sind schon zu Ihnen gekommen?
Ich mache das seit 15 Jahren. Wie viele Frauen zu mir gekommen sind, habe ich nie gezählt, aber es sind pro Woche mindestens zwei Fälle.

Die Bundesregierung hat einen Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen einberufen mit dem Ziel, die Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen auszubauen. Gibt es dafür ­einen besonderen Anlass?
Ich erlebe hier in Leipzig, wie die Beratungsstellen und Frauenhäuser jährlich um ihre Finanzierung ringen. Zumindest hat der Runde Tisch schon einmal vorab erklärt, dass zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen. Das schadet sicher nicht. Ich hoffe, dass dieses Geld dann auch in den Beratungsstellen und Frauenhäusern ankommt.

»Ein Problem besteht darin, dass jeder Richter und jede Richterin anders entscheidet, ob Gewalt oder unzumutbare Belästigung vorliegt.«

Ist die Situation denn so, dass häusliche Gewalt insgesamt eher zunimmt?
Das würde ich so nicht sagen. Die Situation war schon immer besorgniserregend. Insbesondere durch das Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes im ­Januar 2002 hat sich aber bereits einiges zum Besseren verändert. Für die, die von häuslicher Gewalt betroffenen sind, sowohl Erwachsene als auch Kinder, müssen die Hilfsangebote dringend ausgebaut werden.

Was versteht man genau unter häuslicher Gewalt?
Häusliche Gewalt ist, wenn eine Person eine andere Person im häuslichen Bereich an Körper, Gesundheit oder Freiheit verletzt. Darunter fällt schwere ­Gewaltanwendung, aber auch lang andauernde psychische Gewalt.

Was bedeutet das in der Praxis?
Zum einen erleben Frauen schwere Gewalt durch Schläge, Tritte, Würgen und sexuelle Übergriffe. Zum anderen habe ich auch Fälle, bei denen Frauen über Jahre beschimpft und beleidigt werden, es werden Dinge nach den Frauen geworfen, sie werden daran gehindert, die Wohnung zu verlassen. Auch das ist Gewalt, die von dem Gewaltschutzgesetz erfasst wird. Es können dann verschiedene Maßnahmen ­getroffen werden, um sie abzuwenden.

Wie hat dieses Gesetz die Situation verbessert?
Der Hintergrund ist der: Das Gewaltschutzgesetz bewirkt, dass der Täter geht. Die Person, die Gewalt erfahren hat, kann in ihrem häuslichen Umfeld bleiben.

Vorher war die Situation so, dass Frauen in der Situation, in der sie Gewalt ausgesetzt waren, verblieben sind, weil es keinen Ausweg gab. Durch das Gewaltschutzgesetz gibt es die Möglichkeit, dass die Person, von der die ­Gewalt oder unzumutbare Belästigung ausgeht, der Wohnung verwiesen und ein Annäherungsverbot gegen diese erlassen wird. Diese Maßnahme soll den Betroffenen etwas Zeit verschaffen – in der Regel sind es sechs Monate –, in Ruhe ihre Lebensverhältnisse zu sortieren.

Wie funktioniert das genau?
In der Regel wird die Polizei zu einem Vorfall häuslicher Gewalt gerufen. Dort wird die Situation bewertet. Entsprechend dem jeweiligen Polizeigesetz des Bundeslands kann die Polizei den ­Täter für zehn bis 14 Tage der Wohnung verweisen. In dieser Zeit kann die oder der von Gewalt Betroffene entscheiden, ob sie dies verlängern möchte. Ist das der Fall, wird bei dem zuständigen Amtsgericht ein Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz eingereicht.

Das Gericht regelt sodann, wie lange der Täter sich der Wohnung und der antragstellenden Person nicht nähern darf. Es gibt aber auch den anderen Fall, dass sich die betroffene Person an eine Beratungsstelle oder Anwältin wendet und dann entschieden wird, einen entsprechenden Antrag bei Gericht zu stellen.

Das Gewaltschutzgesetz regelt auch die zivilrechtlichen Möglichkeiten in Fällen von Stalking. Darunter versteht man unzumutbare Belästigungen ­un­abhängig davon, ob es jemals eine Beziehung oder ein Zusammenleben gegeben hat.

Welche Erfahrung haben Sie mit der Wirksamkeit des Gesetzes und wo, denken Sie, könnte es verbessert werden?
Ein Problem besteht darin, dass jeder Richter und jede Richterin das individuell Erlebte anderes bewertet und entscheidet, ob Gewalt oder unzumutbare Belästigung vorliegt. Entsprechend ist es für mich als Anwältin schwer vorauszusagen – und damit auch eine Mandantin zu beraten –, ob ein Antrag bei beschriebener Gewalt durch Boxen auf den Oberarm oder Würgen tatsächlich durchgeht. Reicht es aus, wenn es nur einmal stattgefunden hat, damit sofort reagiert wird? Oder wird das als übliche eheliche oder Beziehungsstreitigkeit angesehen und erwartet, dass ­andere Wege gegangen werden, sich zu trennen?

Es gibt Richter, die es normal finden, wenn jemand an den Haaren durch die Wohnung gezogen wird?
Das möchte ich so nicht bewerten. Ich bin nur ab und an erstaunt, wenn ich Situationen beschreibe, wo Frauen noch nach einer Woche sichtbare Hämatome am Körper haben und andauernde Schmerzen beschreiben, dies jedoch leider nicht für den Erlass einer Wohnungswegweisung reicht.

Wird bei dem Verweis des Täters aus der Wohnung auch die Schwere der Gewalt berücksichtigt oder geht es ausschließlich darum, erst einmal das Opfer zu schützen, unabhängig davon, ob diese Gewalt in erster ­Linie die Würde verletzt oder lebensbedrohlich ist?
Das ist tatsächlich die Abwägung, die ein Richter, eine Richterin vorzunehmen hat. Eine Wohungswegweisung ist ein Eingriff in die Rechte der vermeintlich gewaltausübenden Person. Ist der Vorfall schwerwiegend genug, in diese Rechte einzugreifen, und wurde der Vorfall ausreichend glaubhaft gemacht? Dies hat größere Chancen auf Erfolg, wenn zum Beispiel ärztliche Atteste vorliegen.

Der Verweis aus der eigenen Wohnung wirkt sicher auch auf die meisten Gewaltausübenden als eine harte und vielleicht auch völlig ­unerwartete Sanktion. Wie gehen die mutmaßlichen Täter damit um?
Wenn sie das damit bezweckte Signal verstehen, tun sie etwas gegen ihre ­Aggressivität und verändern etwas. Das ist insbesondere dann erforderlich, wenn beispielsweise gemeinsame Kinder mitbetroffen sind. Selbstverständlich gibt es auch rechtliche Möglich­keiten, gegen einen gerichtlichen Beschluss vorzugehen.

Wie sieht die Situation in den Frauenhäusern aus?
Da sind wir wieder bei der Finanzierungsfrage: In den großen Städten wie Berlin, Hamburg, aber inzwischen auch in Leipzig gibt es kaum bezahlbaren Wohnraum. Es wird immer schwieriger, Frauen in den Frauenhäusern unterzubringen, weil diese gerade in den Ballungszentren überbelegt sind. Die Frauen müssen dort länger bleiben, weil sie keine geeigneten Wohnungen finden. Sich aus einer Gewalt­situation heraus zu trennen, ist sehr anstrengend. Es braucht viel Unter­stützung, Ruhe und eine gesicherte Perspektive, insbesondere in finanzieller Hinsicht.

Wo Sie die ökonomische Situation ansprechen: Ist häusliche Gewalt ein Problem bestimmer Gesellschaftsschichten?
Meine Erfahrung ist, dass häusliche Gewalt wirklich in jeder gesellschaftlichen Schicht vorkommt. Es gibt Unterschiede darin, was sichtbar wird oder wie lange Situationen ausgehalten ­werden. Aber ich erlebe nicht, dass Menschen, die besser situiert sind, damit einen besseren Umgang haben als Menschen, die von staatlichen Leistungen abhängig sind.