Small Talk mit Tobias Bernet, Historiker und Sozialwissenschaftler, über die Rolle von Wohungsbaugenossenschaften

»Keine Projekte, die es sich gemütlich machen«

Welche Rolle können Genossenschaften beim Kampf gegen Wohnungsnot und Mieterhöhungen spielen? Tobias Bernet, der zur Wohnungspolitik forscht, sich in der »Recht auf Stadt«-Bewegung engagiert und Mitgründer sowie ­Vorstandsmitglied der Leipziger Solidarischen Wohngenossenschaft (SoWo eG) ist, hat mit der Jungle World gesprochen.
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Wie entstand die Idee zur SoWo?
Einerseits ist in Leipzig in den vergangenen etwa zehn Jahren ein großer Erfahrungsschatz bezüglich selbstverwaltetem Wohnen entstanden. Wegen großen Leerstands gab es eine Zeit lang gute Voraussetzungen für die Gründung gemeinschaftlicher Hausprojekte. Mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum gibt es nun aber ­leere Häuser zu vernünftigen Preisen so gut wie nicht mehr. Andererseits kommen die Bewohner in normalen Mietshäusern immer stärker unter Druck. Gerade in Gebäuden, die nicht auf dem neuesten Sanierungsstand sind, drohen nach einem Verkauf empfindliche Mietsteigerungen. An diesem Punkt will die SoWo mittels genossenschaftlicher Hausübernahmen intervenieren und so auch bewährten Selbstverwaltungsmodellen in einer wachsenden Stadt eine Zukunft schaffen.

Wie viele Häuser gehören zur SoWo und wer wohnt dort?
Die SoWo hat bisher zwei Häuser erworben, ein drittes dürfte bald dazu kommen, über weitere wird verhandelt. Unter den bisherigen Bewohnern und Projektmitgliedern sind viele, aber keineswegs ausschließlich Studierende und Akademiker. Die Einkommen dürften eher unterer Durchschnitt sein, der Altersschwerpunkt liegt deutlich unter 40.

Wie unterscheidet sich die SoWo von anderen Genossenschaften wie dem Mietshäusersyndikat?
Beim Mietshäusersyndikat gibt es für jedes Projekt eine eigene Rechtskörperschaft. Damit werden Risiken minimiert, aber die Skaleneffekte einer Expansion auch nur bedingt mitgenommen. Das Modell eignet sich erfahrungsgemäß nur für Gruppen, die von sich aus ein selbstverwaltetes Projekt anstreben. Mit der SoWo wollen wir hingegen zumindest so groß werden, dass wir einen Teil der Verwaltungs- und Projektentwicklungsarbeit professionalisieren und damit auch ein Dachverband für Hausgemeinschaften sein können, die diesen Aufwand nur bedingt eigenständig betreiben können oder wollen.

Sie bezeichnen die SoWo als »handlungsfähige Alternative auf dem zunehmend profitgetriebenen Leipziger Wohnungsmarkt«. Aber kann das eine Lösung sein, wenn so viele Wohnungen fehlen?
Das sicher nicht. Aber es ist wesentlich effizienter, bezahlbare Mieten im Altbaubestand durch eine dauerhaft nicht profit­orientierte Bewirtschaftung zu sichern, als von hohen Neubaukosten teuer »herunterzufördern«. Zudem wollen wir in absehbarer Zeit auch sinnvolle Neubauprojekte angehen und auch ein bisschen ein Stachel im Fleisch der etablierten großen ­Genossenschaften sein, die bisher eine sehr besitzstandswahrende Haltung einnehmen.

Sie wollen keine Schöner-Wohnen-Inseln, sondern Teil der »Recht auf Stadt«-Bewegung sein. Was heißt das konkret?
Das ist im Prinzip in unserer Wachstumsstrategie angelegt: keine einzelnen Hausprojekte, die es sich gemütlich machen, sondern das ökonomische und organisatorische Gewicht des Bestehenden ­jeweils nutzen, um mehr Leuten sicheres, selbstverwaltetes Wohnen zu ermöglichen. Häuser, in denen man nicht nur aneinander vorbeilebt, sind auch im Alltag wichtige Bausteine einer solidarischen Stadt. Außerdem sind viele SoWo-Mitglieder auch in anderen stadtpolitischen Gruppen in Leipzig aktiv und bringen dort ihr spezifisches Know-how etwa zum Wohnungsmarkt ein.