Die Ausstellung über die Situationisten und ihre Verbindung zu 1968 im HKW Berlin

The Name of the Game

Zwischen 1957 und 1972 konzipierte die Situationistische Internationale eine »Revolutionäre Front in der Kultur«, dann gab die Gruppe ihre Selbstauflösung bekannt. Von der Spieltheorie lieh sich die Bewegung Elemente einer Kritik am Spektakel der Warengesellschaft. Im Kontext neoliberaler Durchdringung aller Lebensbereiche untersucht die Ausstellung »The Most Dangerous Game«, welche Gültigkeit die Ideen Guy Debords und seiner Mitstreiter heutzutage besitzen.

Als die Situationistische Internationale (S.I.) Ende der fünfziger Jahre eingeladen war, an einer Ausstellung in Amsterdam teilzunehmen, stand die Gruppe vor einem Dilemma: Wie konnte eine radikale Gesellschaftskritik im Museum stattfinden, ohne zum reinen und folgenlosen Kunstgenuss zu werden, durch den alle revolutionären Impulse notwendigerweise erstickt würden?

Vorgeschlagen wurden die Errichtung eines Labyrinths, das das Umherschweifen möglich machen sollte, dazu die Ausstellung einiger situationistischer Dokumente und eine Versammlung. Verwirklicht wurde der Plan dann aufgrund einer Auseinandersetzung mit der Museumsleitung doch nicht. Das Problem allerdings stellt sich auch im Jahre 2018: Wie kann die proklamierte radikale Negation aller bürgerlichen Kunstkonventionen und letztlich der Kunst selbst in einer bürgerlichen Institution wie einem Museum präsentiert werden? Im Berliner Haus der Kulturen der Welt haben sich die drei Kuratoren Wolfgang Scheppe, Roberto Ohrt und Eleonora Sovrani dieser Herausforderung gestellt. Das Ergebnis kann in der Ausstellung mit dem Titel »The Most Dangerous Game. Der Weg der Situationistischen Internationalen in den Mai 1968« seit vergangenem Donnerstag begutachtet werden.

Fälschlicherweise wird der Begriff des Spektakels oft auf einen Aspekt der modernen Gesellschaft oder eine Technik der Werbung verkürzt; im Sinne der situationis­tischen Theorie meint er aber die zeitgenössische Erscheinungsform der Totalität des Kapitalismus, die die Produzenten zu Zuschauern des von ihnen geschaffenen Reichtums degradiert. Grob könnte man sagen: Wer von der Abschaffung des Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von den Situationisten schweigen.

Die Bewegung wusste, wie geschickt vor allem der Kunst- und Kulturbetrieb darin ist, noch die schärfste Kritik zum Zwecke einer den kontemplativen Genuss steigernden performativen Widersprüchlichkeit zu integrieren. »Rekuperation« wurde das genannt. Es wäre im Sinne der heutzutage herrschenden Rekuperation ein Leichtes gewesen, die Situationistische Internationale als eine Vorläuferorganisation all der transmedialen und immersiven sozialen Plastiken mit ihren entgrenzenden und subversiven Ästhetiken darzustellen, die inzwischen die Biennalen und Galerien bevölkern. Es wäre ein Leichtes, sie mit modischem Kuratorensprech zu garnieren. Wer würde sich nicht positiv auf die Avantgarden des 20. Jahrhunderts beziehen wollen?

Ihre Vertreter allerdings hatten in der Regel noch eine radikale Idee, warum und wozu der bürgerliche Kunstkanon aufgebrochen werden sollte. Dieser politische Zusammenhang ist gegenwärtig nicht mehr gegeben. Die Entgrenzung und Entkunstung der Kunst ist selbst der Modus geworden, der Konformismus generiert; die Aneignung ungewöhnlicher Mittel dient der Steigerung des Erfolgs auf einem umkämpften Markt. Wer aber von jedem Inhalt abstrahiert und nur auf ästhetische Effekte fokussiert, mag in der Situationistischen Internationale tatsächlich eine Vorform der Gegenwartskunst und in der Emphase für das menschliche Spiel eine Legitimation der heutigen gamification des Alltags erkennen.

»The Most Dangerous Game« erliegt dieser Versuchung nicht. Die Ausstellung ist mit jenem Ernst kuratiert, der seinem Gegenstand gerecht wird. Ihr Titel zitiert nicht nur auf einen Lieblingsfilm,einem US-Horrorstreifen von 1932, des situationistischen Theoretikers Guy Debord, sondern meint auch das gefährlichste Spiel überhaupt: die Revolution. Schon am Eingang der Ausstellung blickt man auf ein Plakat, auf dem verkündet wird: »Tous contre le spectacle« – alle gegen das Spektakel. Fälschlicherweise wird der Begriff des Spektakels oft auf einen Aspekt der modernen Gesellschaft oder eine Technik der Werbung verkürzt; im Sinne der situationistischen Theorie meint er aber die zeitgenössische Erscheinungsform der Totalität des Kapitalismus, die die Produzenten zu Zuschauern des von ihnen geschaffenen Reichtums degradiert. Grob könnte man sagen: Wer von der Abschaffung des Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von den Situationisten schweigen.

Die Situationistische Internationale wurde 1957 von Debord, Ralph Rumney und Asger Jorn gegründet, um eine »revolutionäre Front in der Kultur« zu eröffnen. Ein besonderes Anliegen von Debord und Jorn wurde nun erstmals für die Ausstellung realisiert. Es handelt sich dabei um die Situationistische Bibliothek von Silkeborg. In seinem Heimatort hatte Jorn ein Museum gegründet; der damals 28jährige Debord machte Vorschläge für eine dort einzurichtende Bibliothek, die neben den Schriften der Situationisten auch Texte und Manifeste der Futuristen, der Dadaisten, der Surrealisten, der Lettristen, der Gruppe Cobra, des Movimento Arte Nucleare und der Gruppe SPUR enthalten sollte. Verteilt auf 21 Vitrinen liegen Schriften und Flugblätter, von André Breton und Raoul Hausmann über Arthur Cravan und Comte de Lautréamont bis László Moholy-Nagy, Johan Huizinga und Henri Lefebvre.

An dieser Stelle lohnt sich unbedingt der Blick in die knapp über 900seitige, im Verlag Merve erschienene Begleitpublikation, die akribisch auflistet, welchen Beitrag zur Kritik der Gesellschaft und der Kunst die einzelnen hinter Glas ausgestellten Objekte geleistet haben. Neben Erläuterungen zu den über 700 Gegenständen in den Vitrinen und an den Wänden findet sich in dem Band außerdem Bildmaterial auf über 400 Seiten, so dass das Buch die gesamte Ausstellung dokumentiert.

Im Mittelteil der Ausstellung schreitet man durch einen Gang, rechts und links mit Bilderwänden versehen. Auf der einen Seite hängen Abbildungen des Aufstands von 1968, Barrikaden, Steine, Straßenkämpfe, im Hintergrund Graffiti und Parolen der Situationistischen Internationale. Die Fotografien sind zum Teil aus dem Archiv der Polizei und zum Zweck der Strafverfolgung angefertigt worden. Bei anderen handelt es sich um Pressebilder, die auf den Titelblättern die staatsgefährdende Gefahr, die von der Straße ausgeht, illustrieren. Auf der anderen Seite hängen Ausschnitte aus dem 1968 gegründeten Post-Shop-Magazin der Warenhauskette Otto, das speziell »die Jugend« ansprechen sollte. In der Werbung finden sich Zitate aus der revolutionären Ikonographie. Die Jugend erkor auch schon der für die Situationisten wichtige Begründer des Lettrismus, Isidore Isou, zum neuen revolutionären Subjekt; ganz im Sinne der damals populären Randgruppentheorie betrachtete er sie als ökonomisch ausgeschlossen.

Um die Jugend, die Kinder von Marx und Coca-Cola, kämpften 1968 die Revolutionäre und die große Industrie. Ein Kampfbereich war die Befreiung des Sexus. Die Werbung befreite die Sexualität als Mittel, um Waren zu verkaufen. Dem entgegen stand die Entfesselung der Sexualität sowohl aus der traditionellen Sexualmoral als auch ihrer Inanspruchnahme durch den Konsumkapitalismus – Revolution statt Warenform. Dabei versuchte die Bewegung nicht, ein vermeintlich ursprüngliches Bild für eine unschuldige Sexualität zu finden. Isou und auch Raoul Vaneigem, Autor des »Handbuchs der Lebenskunst für die jungen Generationen«, schrieben unter Pseudonymen pornographische Romane, in denen auch Travestie und eine Geschlechtsumwandlung vorkamen. In ihren Schriften scheute sich die Situationistische Internationale auch nicht, Bilder der Werbung für eigene Zwecke zu nutzen.

Hinter einem Aufsteller mit der Warnung »Bereich anti-situationistischer Kunst« verbirgt sich der letzte Teil der Ausstellung. Die Situationisten hatten Anfang der sechziger Jahre alle Künstler aus der Bewegung ausgeschlossen; im Haus der Kulturen der Welt finden sich Werke der Malerei aus den frühen Jahren der Situationisten, darunter erstmals ausgestellte sogenannte Kollektivwerke.

Die Situationistische Internationale forcierte im Laufe ihrer Geschichte immer mehr den Gedanken der Aufhebung der Kunst, als deren erstes Moment die Negation der Kunst begriffen wurde. Als letzte Avantgarde wollte sie das Ende der Kunst herbeiführen, in der Hoffnung, dass dies einen qualitativen Umschlag der Gesellschaft nach sich ziehe. Der Mai 1968 in Frankreich konnte in dieser Hinsicht Hoffnungen wecken. In seinen späten Texten, den »Kommentaren zur Gesellschaft des Spektakels« und »Panegyrikus«, beschreibt Debord, was zu analysieren bleibt, wenn das Spiel zunächst verloren ist und die Hoffnungen enttäuscht wurden. Die Ausstellung »The Most Dangerous Game« ermöglicht eine Annäherung an die Situationistische Internationale und den von ihr verbreiteten revolutionären Geist.

The Most Dangerous Game. Der Weg der Situationistischen Internationale in den Mai 68. Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, bis 10. Dezember

 

Wolfgang Scheppe und Roberto Ohrt: The Most Dangerous Game. Band 1 – Dokumente. Merve Verlag, 2018. 908 Seiten, mit Ausstellungsticket 2 Euro.