In Peru kämpfen zwangssteriliserte Frauen für Gerechtigkeit

Weiblich, indigen, zwangsterilisiert

Seite 2 – Indigene Kinder unerwünscht
Reportage Von

Bereits damals sei ihr allerdings klar geworden, dass es vor allem indigene Frauen wie sie waren, gegen die sich das Sterilisationsprogramm richtete. »Diese Frauen, die oft nur Quechua sprechen, sind die ärmsten, die verletzlichsten, leben in abgelegenen Gegenden ohne staatliche Infrastruktur und wurden entrechtet, gequält und verletzt. Den Ärzten wurden sogar Prämien pro Sterilisation gezahlt«, sagt Vigo. Für diese Frauen engagiert sie sich, hat unzählige Leidensgeschichten gehört – von Frauen, deren Männer sie verstoßen hatten, weil sie unter Spätfolgen litten, nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnten. Dies habe dazu geführt, dass diese Frauen in den indigenen Gemeinden an Ansehen und Geltung verloren hätten und oftmals in Armut lebten. »Viele leiden bis heute an Spätfolgen, weil oft schlecht operiert wurde und es keine medizinische Versorgung im Anschluss an die Operation gab«, schildert Vigo ihre Erkenntnisse aus vielen Gesprächen. 22 Jahre ist sie nun aktiv, 22 Jahre, in denen sie den Mund aufgemacht hat. »Ich habe die Wahrheit auf meiner Seite. Ich will, dass die Peruaner begreifen, was in ihrem Land vorgegangen ist, ich will Gerechtigkeit.«

Ein Grund für sie, nach Lima zu ziehen, sei die Tatsache gewesen, dass in Perus Hauptstadt alle für ihre Bemühungen wichtigen Instanzen sind. Hier befinden sich die Büros der Anwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen beschäftigen, hier sitzen die Gerichte, hier leben aber auch die politisch Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen an den Frauen, Gesundheitspolitiker wie Marino Costa Bauer oder der Leibarzt und Berater Fujimoris, Alejandro Aguinaga. All diese Männer macht Vigo mitverantwortlich für das »Attentat auf meinen Körper und meine Reproduktionsfähigkeit«. Sie sollen sich, zusammen mit Fujimori, 17 Jahre nach dem Auslaufen der Sterilisationspolitik, die als Armutsbekämpfungspolitik verkauft wurde, vor Gericht verantworten.

Laut den Recherchen der Defensoria del Pueblo, der Ombudsstelle für die Rechte der Bevölkerung, wurden im Rahmen des Sterilisationsprogramms 272 028 Frauen und 22 004 Männer zwischen 1996 und 2001 sterilisiert. Der peruanische Kongress, das Einkammerparlament des Landes, geht hingegen von mehr als 300 000 Frauen aus, die in jenem Zeitraum sterilisiert wurden, viele davon ohne ihre Einwilligung. 77 Frauen haben vor vier Jahren Klage erhoben, darunter Vigo.

In dem seit Ende 2015 existierenden Register der Opfer von Zwangssterilisationen stünden mittlerweile die Namen von mehr als 6 000 Opfern, weiß Vigo. Immer mehr Frauen, aber auch einige Männer, machten den Mund auf, schildern, was ihnen angetan wurde. Beim Treffen im Mai in den Räumen des CNDDHH habe Vigo mit zwei Frauen gesprochen, die im Alter von 18 beziehungsweise 23 Jahren sterilisiert wurden und noch nicht registriert sind. »So jung sterilisiert zu werden, führen wir auf die Quoten zurück, die ausgelobt wurden, und die die Ärzte erfüllen sollten – was sie oft auch taten«, sagt Vigo. Anders als viele andere Frauen habe sie immer die Unterstützung ihres Mannes und ihrer Kinder gehabt. Das habe ihr geholfen, sich zu wehren, ihr Recht und Wiedergutmachung einzufordern.

 

Der Druck auf die Regierung steigt

Auch andere betroffene Frauen, etwa Inés Condori aus Santo Tomás im Verwaltungsdsitrikt Cuzco oder die von Vidal erwähnte Rute Zúñiga aus Anta nahe Cuzco,  und die sie vertretenden Anwältinnen und Anwälte der Frauenrechtsorganisation Estudio para la Defensa de los Derechos de la Mujer (Demus) fordern eine umfassende Wiedergutmachung. Auf dem Weg dahin haben Aktivistinnen wie Vigo bereits kleine Erfolge errungen. Ein Achtungserfolg war die Einrichtung des nationalen Registers der Opfer von Zwangssterilisationen Ende 2015 – auf Druck der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Doch trotz steigender nationaler und internationaler Aufmerksamkeit, unter anderem von Amnesty International, aber auch von Filmemacherinnen wie Rosemarie Lerner, die mit ihrer Freundin Maria I. Court einen Dokumentarfilm über das Thema mit dem Titel »Quipu Project« gedreht hat, wurde die Klage der Frauen von der verantwortlichen Staatsanwältin Gutiérrez mehrfach abgewiesen. Zuletzt am 7. Dezember 2017, als die 77 Klagen wegen gewaltsamer Sterilisation ins Archiv kamen.

Dennoch reißen die Inititiaven nicht ab. Lerner und Court haben Kontakt zum Lugar de la Memoria (Ort der Erinnerung, LUM) in Lima aufgenommen. Sie wollen, dass das Museum, in dem Hintergrund und Fakten zum blutigen Bürgerkrieg in Peru (1980–2000) aufbereit werden, den Film und eine Ausstellung mit Fotos und den Erinnerungen der Frauen zeigt. In der derzeitigen politischen Situation ist dies allerdings alles andere als einfach, so dass die Frauen immer wieder neue Anläufe unternehmen.

So hat sich auch Vigo mit ihrer Anwältin María Ysabel Cedano von Demus wieder zusammengesetzt, Fälle dokumentiert und Eingaben geschrieben. »Jedes Mal ist es ein Neuanfang, aber wir lernen dazu, werden mehr«, sagt Vigo mit entschlossener Miene und verschränkt die Arme über der Brust. Hoffnung macht den Frauen die Weisung des leitenden Staatsanwalts Luis Landa. Er hat Ende April 2018 seine Untergebene Gutiérrez angewiesen, Klage gegen den ehemaligen Präsidenten Fujimori und dessen direkte Vertraute zu erheben – darunter Gesundheitsminister Aguinaga. Allerdings hat die Staatsanwältin der Weisung bisher noch nicht Folge geleistet, weshalb es in den vergangenen Monaten mehrfach zu Protesten von Frauenorganisationen kam – in Lima, aber auch in Cuzco. Dabei forderten die Demonstrierenden neben Wiedergutmachung auch therapeutische Angebote und eine individuelle Gesundheitsversorgung für alle Opfer.

Sonderlich optimistisch ist Vigo trotzdem nicht: »In Peru gibt es keine unabhängige Justiz. Hier hat die Politik überall ihre Finger drin«, sagt sie. Wenn die peruanische Justiz nicht endlich tätig wird, bleibt nur noch der Weg zu einem internationalen Gerichtshof wie dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte der OAS in San José. Das wäre dann wieder ein Neuanfang für Vigo – vielleicht aber der letzte auf dem Weg zur Gerechtigkeit. Sie ist gewillt, diesen zu gehen.
Anmerkung: Die Recherche wurde mit Mitteln des Evangelischen Entwicklungsdiensts gefördert.