Frederick Wisemans neuer Film über die größte Bibliothek von New York

Wo Warhol, Dylan und Dietrich sich trafen

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Bei einer Jobmesse werben ein Feuerwehrmann, ein Grenzschutzbeamter und eine Bauarbeiterin für ihre Berufsstände. Es gibt Einführungskurse für Blinde und Veranstaltungen über die Vermittlung von Theater für Gehörlose, Informationsabende zum Thema Wohnungssuche für Menschen mit Behinderung, Lernhilfen und Lesekreise für Kinder. Indem Wiseman die mal kurzen, mal sehr ausführlichen Szenen mit Einstellungen von Gebäuden und Straßen einleitet, entwirft »Ex Libris« nicht zuletzt eine Kartographie der Stadt und ihrer multiethnischen Bevölkerung.

Nicht von ungefähr wird der Film, der beim Filmfestival von Venedig 2017 mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet wurde, als ein politischer verstanden. Denn Wiseman stellt der auf Ausschluss und Diskriminierung basierenden Politik der Regierung von Donald Trump einen Film gegenüber, der von Gleichheit und Meinungsfreiheit erzählt. Durch die wiederkehrenden Sitzungen der ­Bibliotheksführung zieht sich geradezu motivisch der Begriff der Inklusion. Gemeint ist dabei zum einen die »digitale Inklusion«, vom Ausbau des E-Book-Angebots bis hin zur Einrichtung von Internetzugängen für Menschen, die, wie es so schön heißt, in der »digitalen Dunkelheit« leben. Zum anderen wird die Frage danach diskutiert, wie man einen humanen Umgang mit den unzähligen Obdachlosen finden kann, die vermehrt die Bibliotheken der Stadt aufsuchen, auf der Suche nach Wärme, Ruhe und ein bisschen Schlaf.

Durch die Auswahl des Materials legt Wiseman aber vor allem den ­Fokus auf die Erfahrungen der afro-amerikanischen Besucher. Während Ta-Nehisi Coates, Autor von »Between the World and Me«, über strukturelle Gewalt gegen Afroamerikaner und die Bedeutung des schwarzen Körpers spricht, hört man im Schomburg Center for Research in Black Culture, das seinen Sitz am Malcom-X-Boulevard hat, minutenlang einem Vortrag über das Verhältnis von europäischer Macht, muslimischen Bewegungen und dem transatlantischen Sklavenhandel zu. Und in der kleinen Zweigstelle Macomb’s Bridge in Harlem am Adam Clayton Powell Jr. Boulevard – Powell war der erste New Yorker Politiker ­afroamerikanischer Herkunft, der in den Kongress gewählt wurde – wird in kleiner Runde über die Verfälschung schwarzer Geschichte in Schulbüchern debattiert, bevor durch einen Schnitt der Vortrag des Keramikers und Autors Edmund de Waal über das »weiße« Porzellan zu sehen ist. »Ex Libris« vermittelt das Bild eines Orts, an dem der Begriff der offenen Gesellschaft nicht bloß politische Rhetorik, sondern gelebte Realität ist.

 

Ex Libris: Die Public Library von New York (USA 2017) Regie: Frederick Wiseman.
Start: 24. Oktober