Brauhaus statt Bauhaus
Noch vor wenigen Wochen feierte die Stiftung Bauhaus Dessau die erfolgreiche Konzertreihe zdf@bauhaus. Doch ein Konzert der Band Feine Sahne Fischfilet war nicht erwünscht. Am 18. Oktober teilte die Stiftung der Öffentlichkeit mit, dass sie als Hausherrin dem Veranstalter ZDF das für den 6. November geplante Konzert untersagt habe. Das Bauhaus wolle nicht »Austragungsort politischer Agitation und Aggression« werden, »politische extreme Positionen, ob von rechts, links oder andere« fänden hier »keine Plattform«. Zudem wurde eine Mitteilung des Bauhauses in Weimar von 1920 zitiert, wonach »jede politische Tätigkeit im Bauhaus von jeher untersagt war«.
Der Stiftung zufolge war nicht die Band, sondern die Ankündigung rechter Proteste der Anlass für die Absage. Zu Protesten hatten kleinere rechtsextreme Gruppen in sozialen Medien aufgerufen, später forderten auch AfD und CDU eine Absage des Konzerts.
Diese Interessenkoalition ist besonders brisant vor dem Hintergrund der völkischen Kulturpolitik der AfD in Sachsen-Anhalt. Im Herbst 2016 hetzte die Partei gegen ein Tanztheaterprojekt deutscher und syrischer Jugendlicher am Anhaltischen Theater in Dessau, weil es sich angeblich um ein »manipulatives Theaterprojekt« handele, »das darauf abzielt, Jugendlichen den Sinn für die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden abzuerziehen«. Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Hans-Thomas Tillschneider, forderte 2017, Theater solle der »Vermittlung von nationaler Identität« dienen.
Der Zeit sagte die Stiftungsdirektorin Claudia Perren: »Es war nie mein Anliegen, die Freiheit der Kunst einzuschränken.« Sie freue sich, dass sich für das Konzert ein anderer Raum in Dessau gefunden habe, schließlich sei es ihr nur darum gegangen, das »Bauhaus als Unesco-Weltkulturerbe zu schützen – auch physisch«.
Wie bereits in der Debatte über das »Wir sind mehr«-Konzert in Chemnitz schossen sich CDU und AfD auf die angeblich »linksradikale« und »gewaltverherrlichende« Band Feine Sahne Fischfilet ein und zitierten immer wieder dieselben Textzeilen.
Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) zeigte zudem ein besonderes Kulturverständnis: Der Auftritt einer Punkband »im eher kammermusikalischen Ambiente der Bauhaus-Bühne« sei keine gute Idee. Viele Medien nahmen diese Stoßrichtung auf, im Deutschlandfunk fragte Moderator Axel Flemming: »Was hat eine Punkband im altehrwürdigen Bauhaus zu suchen?«
Die Band sprach derweil von einer »erbärmlichen« Haltung der Bauhaus-Leitung und kündigte an, am 6. November auf jeden Fall in Dessau zu spielen. Zudem meldeten sich zahlreiche Politikerinnen und Politiker von Grünen, Linkspartei und SPD sowie Kunst- und Kulturschaffende öffentlich zu Wort, die erkannten, dass es hier nicht um eine Geschmacksfrage ging. Dass die Androhung rechter Proteste zur Absage eines Konzerts führen, werteten sie als Kapitulation und als Eingriff in die Kunstfreiheit, konkret in die vertraglich festgeschriebene Programmautonomie des ZDF. Auch der Versuch der Stiftung, das Bauhaus als unpolitisch darzustellen, stieß auf scharfen Widerspruch.
Nach einigen Tagen kippte die Stimmung in den Medien. Feine Sahne Fischfilet erhielten zahlreiche Einladungen für ein Konzert, unter anderem vom Anhaltischen Theater in Dessau sowie vom Bauhaus in Weimar und dem Bauhaus-Archiv in Berlin. Die Stiftung Bauhaus Dessau stand deshalb unter Druck. In einer Pressemitteilung vom 22. Oktober hieß es, man bedauere sehr, »das Bauhaus als unpolitisch dargestellt zu haben«. Der Zeit sagte die Stiftungsdirektorin Claudia Perren am Mittwoch voriger Woche: »Es war nie mein Anliegen, die Freiheit der Kunst einzuschränken.« Sie freue sich, dass sich für das Konzert ein anderer Raum in Dessau gefunden habe, schließlich sei es ihr nur darum gegangen, das »Bauhaus als Unesco-Weltkulturerbe zu schützen – auch physisch«. Die Zeit fragte süffisant: »Ist der Schutz des Teppichs wichtiger, als polarisierende Kunst zu ermöglichen?«
Bei einer Debatte im sachsen-anhaltischen Landtag am Mittwoch vergangener Woche setzten Abgeordnete von CDU und AfD einmal mehr Feine Sahne Fischfilet mit gewalttätigen Neonazis gleich. Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei kritisierten hingegen das »Einknicken« der Stiftung und betonten die verfassungsrechtliche Bedeutung der Kunstfreiheit; manche Redner forderten personelle Konsequenzen. Insgesamt erweckte die Debatte den Anschein, als stünde die CDU in Sachsen-Anhalt der AfD politisch näher als ihren Koalitionspartnern, der SPD und den Grünen.
Gefragt wurde in der Landtagsdebatte auch, wie unabhängig Perrens Entscheidung war. Schließlich ist Kulturminister Robra zugleich Vorsitzender des Stiftungsrats in Dessau. Gab es, wie beide behaupten, nur eine Verständigung oder handelte die Stiftungsdirektorin auf Weisung der Staatskanzlei?
Hilfreich für die Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf die jüngere Geschichte der Stiftung. Der Vertrag des international renommierten Architekten Philipp Oswalt als Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau wurde 2014 nicht verlängert, weil er seine künstlerischen Vorstellungen nicht den politischen Vorgaben der Landesregierung unterordnen wollte. Zudem hatte Oswalt stets betont, dass das historische Bauhaus ein Ort war, an dem Ambivalenzen und Dissens offen ausgetragen wurden. Die Nichtverlängerung des Vertrags, de facto eine Absetzung, löste internationale Proteste aus, unter anderem trat der wissenschaftliche Beraterkreis der Stiftung geschlossen zurück. Oswalts Nachfolgerin Perren verfügte dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau zufolge bei ihrem Amtsantritt über »keinerlei Bauhaus-Expertise«, versprach aber, den Wünschen der Landesregierung zu folgen. Zu diesen gehörte offenbar die ästhetisierende und entpolitisierende Darstellung des Bauhauses.
Ein positives Ergebnis der Debatte könnte sein, dass der politische Charakter des Bauhauses bei den zahllosen Veranstaltungen zum 100jährigen Jubiläum 2019 eine sehr viel größere Rolle spielen dürfte, als es vor einigen Wochen noch den Anschein hatte.
Feine Sahne Fischfilet werden nun am 6. November im Brauhaus in Dessau auftreten.