Das Buch »Kill All Normies« von Angela Nagle ist auf Deutsch erschienen

Das Unbehagen in der Subkultur

Angela Nagle beschreibt, wie die US-amerikanische Rechte, vor allem im Internet, den subjektivistischen Habitus der Neuen Linken erfolgreich übernommen hat.

Ein Mann, Alter etwa Mitte 40, bekleidet mit Sakko und Jeans und mit einem adrett frisierten Vollbart, lässt während der Aufzeichnung einer Fernsehsendung die Hose fallen, um sich einen Dildo anal einzuführen. Ohne den Kontext zu kennen, würde man, lang eingeübte Seh- und Rezeptionsgewohnheiten vorausgesetzt, die Performance einer linken Kommunikationsguerilla vermuten, die den passiven Konsumenten aus dem Schlaf zu wecken versucht, dessen Wächter das Spektakel ist, wie Guy Debord es einmal formulierte. Bei der 2015 aufgezeichneten Sendung handelte es sich allerdings um eine Episode der »Gavin McInnes Show«, deren Namensgeber Mitgründer des Magazins Vice und damit eine prominente Figur der Hipsterkultur der Nullerjahre war.

Seit seinem Ausstieg bei Vice 2008 propagierte er immer lauter seine konservativen bis rechtsextremen ­Ansichten, 2016 gründete er die burschenschafts­ähn­liche Schläger­truppe »Proud Boys«, die statt an ­Couleur und Schmiss an ihren Polo-Shirts der Marke Fred Perry und ­teuren Tattoos zu erkennen sind. McInnes gilt als eine Galionsfigur der ang­lophonen Neuen Rechten und wird häufig der »Alt-Light« zugeordnet, die ein diffuses Milieu mit konservativen, radikal­liberalen bis rechtsextremen Exponenten wie etwa Lauren Southern oder Milo Yiannopoulos bildet und an deren Rändern fließende Übergänge zur Alt-Right bestehen, von deren allzu rassistischem und homophobem Gedankengut man sich allerdings gerne abgrenzt – wovon auch die eingangs geschilderte Szene zeugt.

Handelt es sich auf den ersten Blick um ein Essay über die Geburt des Trumpismus aus dem Geiste der Internetkultur, so enthält »Kill All Normies« auch provokante Thesen über die aus Nagles Sicht proble­matischen Fixierungen der Linken: Sich auf dissidente Vertreter der ­Birmingham School of Cultural Studies wie Sarah Thornton stützend, stellte Nagle den linken Nexus zwischen Sub- und Gegenkultur, Transgression und Progressivität in Frage.

2017 erschien Angela Nagles Buch »Kill All Normies« im kleinen Verlag Zero Books, zu dessen Autoren auch der verstorbene Mark Fisher gehörte. Es ist nun unter dem Titel »Die digitale Gegenrevolution« in deutscher Übersetzung erschienen. Im Jahr vor der Erstveröffentlichung wurde der im Untertitel auftauchende Donald Trump zum 45. Präsidenten der ­Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Der schmale Band wurde zum Verkaufsschlager und stieß aufgrund seiner Thesen bei einem Teil seines Zielpublikums auf heftige Kritik. Handelt es sich auf den ersten Blick um ein Essay über die Geburt des Trumpismus aus dem Geiste der Internetkultur, so enthält »Kill All Normies« auch provokante Thesen über die aus Nagles Sicht proble­matischen Fixierungen der Linken: Sich auf dissidente Vertreter der ­Birmingham School of Cultural Studies wie Sarah Thornton stützend, stellte Nagle den linken Nexus zwischen Sub- und Gegenkultur, Transgression und Progressivität in Frage.

McInnes tritt in »Die digitale ­Gegenrevolution« im dritten Kapitel »Gramsci und die Alt-Light« an prominenter Stelle neben ähnlich flamboyanten, meist durch das Internet bekannt gewordenen Figuren auf. Die Theorie der kulturellen Hegemonie des italienischen Marxisten Antonio Gramsci beeinflusst seit einigen Jahrzehnten das strategische Denken der rechten Intelligenz maßgeblich. Das Schlüsselereignis für diesen Paradigmenwechsel kann man im Jahr 1968 suchen. Vorher, so Nagle, verließ die Rechte sich auf die zähe Persistenz der konservativen Normen und Werte einer »schweigenden Mehrheit«, auf die man sich ausrichtete. Aus dem kulturellen Wandel, der sich vor den Augen der Rechten abspielte, lernte allmählich auch diese, avantgardistische Aktionsformen zu adaptieren oder wiederzuentdecken und mit ihnen die Maulwurfsarbeit auf dem Feld der (Gegen-)Kultur aufzunehmen – ein zeithistorischer Zusammenhang, dem auch Thomas Wagner in seinem Buch »Die Angstmacher. 1968 und die neuen Rechten« am Beispiel der Bundesrepublik nachgegangen ist, um ein Porträt der europäischen Neuen Rechten zu zeichnen. Neben den punkigen, medienkompetenten Stunts eines McInnes allerdings sehen die einschlägigen Bemühungen etwa der Identitären, trotz aller »konservativen subversiven Aktionen«, freilich etwas amateurhaft und altbacken aus.

Die Wahl Donald Trumps, so legt Nagle nahe, war diesem Paradigmenwechsel geschuldet, sei dieser doch an der »Konsensfabrik« (Chomsky) bis zum rechten Rand der im Sender Fox News vertretenen Ansichten vorbei gewählt worden, flankiert von der Meme-Propanda einer digitalen Subkultur, deren rechter Flügel vor allem auf Imageboards wie 4chan aktiv ist und deren Genealogie und Morphologie Nagle das erste Kapitel widmet. Die von der Interneteuphorie der neunziger Jahre gespeisten Hoffnungen der Cyberutopien linker Provenienz hätten wider Erwarten eine dystopische Erfüllung erhalten, so der Tenor. Das zentrale Argument von Nagles Schrift ist die These, dass sich Linke wie Rechte, sich selbst als Avantgarde empfindend, plötzlich einen Nonkonformismus pflegen, der eher Ortega y Gasset als Adorno gerecht werde. Das Erbe eines Teils der undogmatischen Neuen Linken – ein subjektivistischer Habitus, eine Vorliebe für sexuelle und ästhetische Transgression, die Feier der Irrationalität und einschlägige Kultbücher wie dem »Anti-Ödipus« von Deleuze und Guattari (das dem selbsterklärten Neoreaktionär Nick Land als Inspirationsquelle dient) – ist den Rechten teils in die Hände gefallen, teils ­gezielt von dieser angeeignet worden. Die Linke, so Nagle, pflege parallel dazu – vor allem im Internet – einen »Stalinismus ohne die Utopie«, um ein Wort Mark Fishers aufzugreifen, nämlich einen Politikstil, der von ­intellektueller Sterilität, Reinheitsphantasien und denunziatorischer Niedertracht gekennzeichnet ist und sich auf performative Identitäts­politik festlegt.

Dieses von Nagle beschriebene Szenario war hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sie sich mit Vorwürfen konfrontiert sah, sie vertrete insgeheim wertkonservative Ansichten oder gebe gar der Linken Schuld am Aufstieg der Rechten. Die Energie, mit der die Kampagnen gegen Nagle seit der Veröffentlichung geführt wurden, lässt vermuten, dass ihre Thesen tatsächlich eine heftige narzisstische Kränkung darstellen. So elegant die Beweisführung und so einleuchtend die Diagnose der linken »Kinderkrankheiten« (Lenin) der Gegenwart auch ist, so lässt Nagle den Leser doch etwas hilf- und perspektivlos zurück.

Die Rückkehr zu einer etwas radikaleren Sozialdemokratie, die zumindest an einigen Stellen als impliziter Horizont durchscheint, wird manchem ebenso nostalgisch erscheinen wie das von Nagle kritisierte Pathos der Transgression. Auch merkt man dem Buch bereits jetzt einen gewissen Zeitkern an: Allzu eng darf man sich etwa die Verbindung zwischen Trump und der rechten Internet-Gegenkultur nicht vorstellen, die meisten der radikaleren Forderungen hat Trump bislang nicht erfüllt. Ein weiteres Problem stellen einige Übersetzungsentscheidungen dar, beginnend mit dem Titel, der im englischen ­Original nicht nur mehr Esprit hat, sondern auch eine etwas andere ­Lesart nahelegt. Nuancen, wie der Songtitel von The Smiths »That Joke Isn’t Funny Anymore«, mit dem das letzte Kapitel überschrieben ist, gehen häufig verloren, und damit auch ein Teil des anspielungsreichen Humors, der auch zum Erfolg von »Kill All Normies« beigetragen hat. Dennoch zeichnet sich ab, dass man an Nagles Buch für absehbare Zeit nicht vorbeikommen wird, will man in Debatten über (Online-)Kultur und Politik das Wort erheben.

 

Angela Nagle: Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen ­Rechten von 4chan und Tumblr bis zur ­Alt-Right und Trump. Transcript-Verlag, Bielefeld 2018, 148 Seiten, 19,99 Euro