Verschwörungstheorien haben Konjunktur in den USA

Die neue Dolchstoßlegende

Der Anschlag von Pittsburgh markiert eine neue Qualität antisemitischer Gewalt in den USA.

Vorige Woche versetzte eine Serie antisemitischer Schmierereien und versuchter Brandstiftungen den New Yorker Stadtteil Brooklyn kurzzeitig in Aufregung. In verschiedenen jüdischen Einrichtungen hatte der Täter die Aufschriften »Kill all Jews« und »Jews better be ready« angebracht. Das klang sehr nach »All Jews must die«, dem Satz, den der Attentäter von Pittsburgh ­gerufen haben soll, als er das Feuer auf seine Opfer eröffnete.

Doch der inzwischen gefasste mutmaßliche Brandstifter von New York war im Gegensatz zum Attentäter von Pittsburgh kein white nationalist, sondern ein 26jähriger Schwarzer aus der antirassistischen und queeren Szene und hatte offenbar psychische Probleme. Er lebte zuletzt in einer Obdach­losenunterkunft, von der er glaubte, sie werde von CIA und FBI kontrolliert. Während des Sommers befand er sich in psychiatrischer Behandlung. Ob die Nachricht vom Anschlag von Pittsburgh keinen Handlungsimpuls bei ihm auslöste, ist unklar. Im Bundesstaat New York ereignen sich nach Angaben der jüdischen Bürgerrechtsorganisation Anti-Defamation League (ADL) besonders häufig antisemitische Vorfälle. Seit Jahren berichten Zeitungen regel­mäßig von antisemitischen Brandanschlägen. In anderen Worten: Die Tat ist nicht unbedingt ungewöhnlich – im Gegensatz zum Anschlag von Pittsburgh.

Viele US-Konservative sehen in George Soros vor allem einen Finanzier der verhassten demokratischen Politiker Obama und Clinton. Auch viele US-­Linke können ihn nicht ausstehen, weil er im Vorwahlkampf der Demo­kraten Hillary Clinton gegen ihren Wunschkandidaten Bernie Sanders unterstützte. Nicht immer ist sofort zu ­erkennen, wo politische Differenzen aufhören und antisemitische Ressentiments beginnen.

Von allen bisherigen Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in den USA hat der von Pittsburgh die höchste Zahl von Todesopfern gefordert. Elf Menschen starben. Er markiert eine neue Qualität des Antisemitismus in den USA. Nicht nur wegen der Opferzahl, sondern auch wegen der zu vermutenden Kausalbeziehung zwischen der Tat und Äußerungen des US-Präsidenten.

Der Zusammenhang zwischen ­Donald Trumps Wahlkampagne vor den Midterm-Wahlen, dem Anschlag von Pittsburgh und der vorausgegan­genen Paketbombenserie sticht ins Auge: Trumps ­lärmende Rhetorik spielt immer wieder mit dem Feuer rassistischer, frauenfeindlicher, homophober und antisemitischer Ressentiments. Verschwörungsideologen gedeihen unter Trumps Präsidentschaft, der seine eigene politische Kar­riere mit der »Birther«-Verschwörungstheorie begann. Diese besagte, Barack Obama sei nicht auf US-amerikanischen Boden geboren und deshalb nicht zur Präsidentschaft berechtigt.

Doch mit dem Ende der Amtszeit Obamas bedurfte es eines neuen Feindbilds. Die ständig von Trump beschworene Gefahr aus Zentralamerika ist inzwischen das US-amerikanische Pendant zur sogenannten Grenzöffnung durch Angela Merkel 2015, eben die »Flüchtlingskrise« der USA. Die Panikmache, die Angst vor den angeblich die Grenzen stürmenden Horden aus dem globalen Süden schürt, und das Raunen über die Macht des jüdischen Milliardärs George Soros sind zwei den europäischen und den US-amerikanischen Rechtspopulismus verbindende Feindbilder. Gemeinsam bilden sie die Dolchstoßlegende des weißen Nationalismus im 21. Jahrhundert. Wie das 1918/19 von der deutschen Militärführung erfundene Märchen von der im Feld unbesiegten Armee enthält diese extrem bildhafte Vorstellung eine starke antisemitische Kodierung durch die Verknüpfung von Soros oder der HIAS (ehemals Hebrew Immigrant Aid Society) mit der angeblichen Flüchtlingsinvasion.

Alles, was bisher über die Tatmotive des Briefbombers und des Pittsburgh-­Attentäters bekannt ist, deutet darauf hin, dass beide unbedingt etwas gegen die drohende Invasion unternehmen wollten. Eine der Paketbomben war selbstverständlich auch an Soros adressiert.