Der letzte linke Kleingärtner hat Ökos in Freiburg besucht

Schock in Freiburg

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 44
Kolumne Von

Die Ordnung in der Natur und bei den Anarchisten ist dahin. Wie das? In vielen Gebieten Deutschlands hat es seit Mitte Juni nicht mehr ergiebig geregnet, von einzelnen Starkregenereignissen abgesehen. Es herrscht also Trockenheit. Das ist ungünstig für alle, die Pflanzen anbauen und sich um die Ernährung der Leserinnen und Leser dieser Zeitung kümmern. Gut, meine Kürbisse habe ich geerntet. Kein Debakel, aber der Ertrag hätte besser sein können. Ich baue bevorzugt den Roten Hokkaido an, weil er nicht nur phantastisch schmeckt, sondern sich auch gut lagern lässt bis zum Februar und März nächsten Jahres. Aber bis dahin habe ich ihn längst verspeist. Wie üblich beteilige ich mich nicht an den sinnentleerten Monsterkürbiswettbewerben. Dort präsentieren sich Hobbygärtner – also keine Kleingärtner wie ich – pathetisch in die Kamera grinsend mit ihren 30, 40, 50 und mehr Kilogramm schweren Kürbissen. Davon rate ich dringend ab. Diese Kürbisse schmecken nicht und müssen zudem nach dem Anschneiden ratzfatz verarbeitet werden, sonst faulen sie dahin.

Und weil die Ordnung nicht nur in der Natur leidet, sondern auch bei den Anarchisten nicht mehr das ist, was sie mal war, hat die Anarchistische Gruppe Freiburg mit mir eine Lesung aus dieser Gartenkolumne veranstaltet. Es sollte wieder Ordnung in ihren Kosmos kommen. Gemeinsam ist uns die Feinjustierung der ­lebensprägenden Balance zwischen Spontanität und Planung zur Zufriedenheit aller gelungen.

Und dann das. Bei meinem Auftritt in Freiburg erlebte ich einen Jahresendzeitschock. Vor dem Bahnhof steht ein Fahrradparkhaus. Ich habe sofort mehrere Beweissicherungsfotos gemacht. Sonst denken meine Kleingärterkollegen, ich hätte halluziniert. Klar, Fahrradfahren ist ökologisch, hip, ist gut für das kommunale Image und das nationale politische Klima. Schließlich bedeutet es, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Aber das versteht kein Öko. Was mich mehr stört, ist der enorme Platzbedarf eines solchen ­Gebäudes – und das in zentraler Lage. Damit nimmt man gefühlt 200 Autofahrern eine sinnvolle Parkmöglichkeit in ebenfalls zent­raler Lage. Darüber redet keiner. Außer uns Autofahrern. Obwohl alle – na ja, nicht ganz, aber ich und ein paar andere, also schon sehr viele – Auto fahren, ist diese Fortbewegungsart nicht sonderlich angesehen. Ich halte eine Allianz zwischen uns Kleingärtnern und uns Autofahrern für überfällig. Wir gehören beide zu den Betrogenen, auf die die gescheiten Leute aus der Upper East Side hämisch herabschauen. Ein Garten gilt als uncool, von vorgestern und noch dazu als schmuddelig. Da ist etwas dran, denn im Supermarkt ­sehen die Lebensmittel deutlich sauberer aus. Ein ähnlich miserables Image haben wir Autofahrer.

Dafür ist in Freiburg aber alles megaökomäßig. Am Freiburg-Öko soll die Welt – hier wäre es der Schwarzwald – genesen. Und weil Öko schick ist, wollen immer mehr Leute am Ökoboom partizipieren, ziehen nach Freiburg, wollen voll cool in einer Ökowohnung mit Blick auf eine ökologisch wertvolle paradiesische Landschaft leben und sich ökologisch fortbewegen. Dafür braucht man Wohnungen und Platz, Platz, Platz. Und so passiert es dann, dass ein paar Ökos für die Erschließung des neuen Baugebiets »Dietenbach« sind und dafür 168 Hektar Fläche in Beschlag nehmen wollen. So weit, so gut. Nur steht diese Fläche nicht einfach sinnentleert in der Landschaft herum, sondern wird bereits von meinen Freunden im Geiste, den Bauern, bebaut. Nicht mit Wohnungen, sondern mit Ackerfrüchten. Dort werden nicht nur, aber auch Produkte für den regionalen Markt angebaut. Das finden die Ökos zwar meistens ganz gut, weswegen die Nummer mit den regionalen Lebensmitteln in jedem Ökoprojektantrag bis zum Abwinken durchgenudelt wird, aber wenn es ums Bauen geht, trennt sich auch bei den Ökos die Spreu vom Weizen. Eigentlich ist es ganz einfach: Man kann Wohnungen schaffen durch innerstädtisches Verdichten, da ist die Kreativität von Architekten gefragt. Und man kann durch Baugesetze und kommunales Management Sozialwohnungen schaffen, den politischen Willen vorausgesetzt. Aber heutzutage noch so zu tun, als könne man jeder Bauanfrage in einem Ballungsraum nachkommen, indem man einfach so Wohngebiete erschließt, zeugt von einem technokratischen Denken von vorgestern. Es gibt natürliche Grenzen fürs Bauen. Das sage ich als praktizierender Kleingärtner und Autofahrer.

Diese Gedanken bringen mich an den Rand meiner geistigen Leistungsfähigkeit. Als Entschädigung muss ich mir dafür etwas ökologisch Gutes und Nahrhaftes antun. Ich fahre zur Kelterei meines Vertrauens, kaufe mir für wenig Geld vier Liter frisch gepressten Apfelsaft – keine Ahnung, ob dies versteuert wird – und ziehe mir zur Erholung von den intellektuellen Schwarzwaldstrapazen ein paar Gläser rein. Ganz risikolos ist das nicht, da das köstlich schmeckende Teufelszeug abführend wirken kann. Aber der Geschmack entschädigt wie bei einem alkoholischen Besäufnis für spätere Qualen.