Der sächsische Verfassungsschutz bespitzelt »linksextremistische« Bands

Hardcore im Kriminalpräventiven Rat

Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz überwacht allein im Erzgebirgskreis mehr linke Bands als alle anderen Landesämter im restlichen Bundesgebiet zusammengenommen. Die Kunstfreiheit sieht das Amt dadurch nicht verletzt.

Mindestens zwölf sächsische Bands beziehungsweise Liedermacher ordnet das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) derzeit dem Beobachtungsobjekt »Linksextremistische Musikszene« zu. »Bei Bekanntwerden von Konzerten mit Beteiligung linksextremistischer Bands in Sachsen ­informiert das LfV Sachsen die zuständigen Behörden und die Polizei vorab über die geplanten Auftritte«, sagte Martin Döring, der Pressesprecher des LfV Sachsen, der Jungle World. Die ­zuständigen Polizeidirektionen und Stadtverwaltungen werden tätig, sobald sie derartige Informationen vom LfV erhalten. Das behördliche Proze­dere sieht in einem solchen Fall eine »Prüfung des Veranstaltungsraums auf Geeignetheit zur Durchführung von Veranstaltungen« vor.

Nachdem das LfV im vergangenen Jahr der Polizeidirektion und dem Landratsamt des Erzgebirgskreises ein Konzert der Band Dr. Ulrich Undeutsch im »AZ Dorftrottel« angezeigt hatte, stand denn auch prompt die örtliche Bau- und Brandaufsicht vor der Tür, um die Veranstaltungstauglichkeit des kleinen ­alternativen Zentrums zu prüfen. Der Antwort des sächsischen Innenminis­teriums auf eine Anfrage des Landtagsabgeordeten Valentin Lippmann ­(Grüne) zufolge wurden mehr als 20 Polizeikräfte, davon vier Beamte in ziviler Kleidung, »zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« bei dem Konzert der Band in der 1 000 Einwohner zählenden Gemeinde ab­gestellt.

»Der sächsische Verfassungsschutz demonstriert erneut, dass er außerhalb des Grundgesetzes steht und eigentlich selbst zum Überwachungsziel werden müsste.« Klaus Farin, Publizist

Das LfV beobachtet nach eigener Auskunft sowohl als »linksextrem« ein­gestufte Bands als ganze als auch einzelne Mitglieder der Gruppen. Die sächsische Punkband Dr. Ulrich Undeutsch erklärte in einer Stellungnahme: »Wir finden es unsäglich, dass in einem Rechtsstaat, dessen Vorgängerregime den Holocaust an Millionen Menschen zu verantworten hat, eine staatliche ­Behörde, die den Schutz der Verfassung gewährleisten soll, Antifaschismus als Bedrohung wahrnimmt.«

Nachfragen der Jungle World bei anderen Landesämtern für Verfassungsschutz ergaben, dass »linksextreme Bands« auch in Bayern und Hessen beobachtet werden. Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Baden-Württemberg gaben dagegen an, derzeit keine »linksextremen Bands« zu observieren. Glaubt man den Auskünften der Landesämter, dann werden allein im sächsischen Erzgebirgskreis mehr »linksextreme Bands« vom Verfassungsschutz überwacht als im gesamten restlichen Bundesgebiet.

Die Legitimität der Beobachtung von Musikerinnen und Musikern durch den Inlandsgeheimdienst ist höchst umstritten und wird von zahlreichen Juristen als schwerer Eingriff in die Grundrechte Einzelner gewertet. »Unter dem Deckmantel des Verfassungsschutzes wird Politik gegen missliebige politische Vorstellungen betrieben«, sagte Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie der Jungle World. Nach Einschätzung von Klaus Farin, Publizist und ehemaliger Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, erinnern die »Denunziationsmaßnahmen« des LfV »oft bis ins Detail an Stasi-­Aktionen gegenüber der Punkszene«.

Martin Döring vom LfV Sachsen betonte gegenüber der Jungle World, dass der Einstufung der Bands als »links­extrem« eine sorgfältige Prüfung vorausgehe, ob dem Verfassungsschutz­gesetz gemäß »Bestrebungen gegen die freiheitliche Grundordnung« oder die »Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen« vorlägen. Dass die Bands keine Flugblätter verteilen, sondern ihre vermeintlich verfassungsfeindlichen Texte musikalisch vortragen, ist Döring zufolge kein Argument dafür, dass das LfV sie nicht beobachten dürfe. Die Verwendung künstlerischer Stilmittel ­ändere nichts an den inhaltlichen Grundaussagen der Liedtexte. So sagte Döring: »Die erforderliche Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisse im Rahmen der Prüfung schließt auch die Möglichkeit einer reinen Persiflage aus.«

Juristen widersprechen dem Verfassungsschützer. Mehrere Verfahren zur Auslegung von Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes, der unter anderem die Freiheit der Kunst garantiert, waren bereits beim Bundesverfassungsgericht anhängig und sorgten dafür, dass übereifrige Justiz- und Sicherheitsbehörden immer wieder höchstrichterlich zurückgepfiffen wurden. Das Grundrechtekomitee kritisiert die Über­wachung der Bands durch das sächsische LfV in einer Stellungnahme, die der Jungle World vorliegt, als »Verletzung der Kunstfreiheit«. In einem ­Urteil vom 17. Februar 2000 stellt das Bundesverfassungsgericht fest, das Grundgesetz schütze durchaus das Recht, Liedzeilen wie »Deutschland muss sterben, damit wir leben können« oder »Deutschland verrecke« öffentlich abzuspielen. Dem Urteil zufolge liegt auch dann keine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grund­ordnung vor, wenn Demonstrationsteilnehmer diese Zeilen öffentlich mitsingen.

 

Das Bundesverfassungsgericht kommt in seinem Urteil darüber hinaus zu dem Schluss, dass der gesetzliche Schutz des Staats und seiner Symbole nicht zu einer Immunisierung gegen Kritik oder gegen die Ablehnung der Bundesrepublik führen dürfe. Wenn die Gattungsanforderungen von »Komposition« und »Dichtung« erfüllt seien, komme es »bei der verfassungsrechtlichen Einordnung und Beurteilung auf die ›Höhe‹ der Dichtkunst nicht an«. Auch »plakative, drastische Kritik«, »symbolhaft überfrachtete Bilder« oder »kari­katurhaft überzeichnete Ausdrücke« gegen den deutschen Staat müssten ausgehalten werden. Es erscheine »zumindest zweifelhaft«, ob das Abspielen oder Mitsingen von Liedern »zu einer Gefährdung des Bestands der rechtsstaatlich verfassten Demokratie der Bundesrepublik Deutschland« führen könne.

Klaus Farin sieht keine Legitimation dafür, Bands oder andere Künstler durch einen Geheimdienst überwachen zu lassen. Wenn Musiker Straftaten ­begehen, also zum Beispiel zur Ermordung von Menschen oder zu gezielter Gewalt aufrufen, sei dies ein Fall für die Justiz und nicht für den Verfassungsschutz. »Mit der Beobachtung von Bands, also Kulturschaffenden, und noch mehr mit der gezielten Denunziation und repressiven Drohungen gegenüber Gemeinden und Veranstaltern demonstriert der sächsische Verfassungsschutz erneut, dass er außerhalb des Grundgesetzes steht und eigentlich selbst zum Überwachungsziel werden müsste«, sagte Farin der Jungle World.

Die Hardcoreband One Step Ahead berichtete der Jungle World, dass der Verfassungsschutz wiederholt versucht habe, ihre Konzerte durch Anrufe bei den Veranstaltern oder den Stadtverwaltungen zu verhindern. Einer Antwort des sächsischen Innenministerium auf eine parlamentarische Anfrage zufolge wirft das LfV der Band vor, dass sie in ihren Texten »teilweise zur Gewalt« aufrufe und ein Bild mit der Aufschrift »Antifaschistische Aktion« Teil ihres Bandlogos sei. Das LfV informierte den Kriminalpräventiven Rat von Limbach-Oberfrohna, der Heimatstadt von One Step Ahead, über die vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit der Band. Während einer Sitzung des Rats hörten die Ratsmitglieder gemeinsam mit Vertretern der örtlichen Polizei das neueste Album von One Step Ahead, um nach »problematischen« Textzeilen zu suchen. »Das muss man sich mal vorstellen, was für eine immense Kraft das LfV und die CDU in die versuchte Kriminalisierung von Menschen stecken, die nicht weniger als das Grundgesetz verteidigen, während überall in Sachsen der rechte Mob marodiert und auf Menschenjagd geht«, kommentierte die Band dieses Vorgehen.
Der sächsische Landtagsabgeord­nete Lippmann, der mehrere Anfragen zur Beobachtung »linksextremistischer Bands« durch das LfV an das sächsische Innenministerium gestellt hat, vermutet, dass das LfV darum bemüht ist, den Bereich Linksextremismus auf­zublähen, um »sich selbst, seine Arbeit und seinen überdimensionierten ­Personalbestand zu rechtfertigen«.